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Prostitution: Wann sind die Menschenrechte betroffen?

23.03.2010

 

Der Schutz von Prostituierten lässt in der Schweiz zu wünschen übrig. Darin sind sich Polizei, Behörden, Beratungszentren einig, wie einem Artikel der NZZ vom Februar 2010 zu entnehmen ist. In mehreren Schweizer Städten und Kantonen werden deshalb derzeit Prostitutionsgesetze diskutiert. In der Debatte um die wichtigsten anstehenden Probleme und mögliche Lösungen engagiert sich unter anderem die Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration FIZ, die im übrigen seit kurzem über eine neue, sehr informative Website verfügt.

Welches sind aus Sicht der Menschenrechte die wichtigsten Aspekte der Diskussion um mehr Schutz für Prostituierte?

Rechtliche Bestimmung zum Schutz von Prostituierten

In der Schweiz ist die freiwillig ausgeübte Prostitution rechtlich anerkannt (Art. 27 BV) und seit 1942 legal. Frauen, welche sich aus freien Stücken für gelegentliche oder regelmässige Sexarbeit gegen Entgelt entscheiden, können dies tun – ohne dass eine Strafe droht. Der Staat ist allerdings verpflichtet, die Ausbeutung von Prostituierten zu unterbinden (Art. 6 der UNO-Frauenrechtskonvention). Die schweizerische Rechtsordnung kennt deshalb zahlreiche Bestimmungen, welche dem Schutz von Sexarbeitern/-innen dienen (etwa Verbote der sexuellen Nötigung Art. 189 StGB oder der Förderung von Prostitution Art. 195 StGB). Allerdings gibt es in der Rechtsordnung diverse Lücken, welche störend sind.

Handlungsbedarf sehen Menschenrechtsorganisationen seit Jahren bei der Problematik Menschenhandel, insbesondere im Bereich Opferschutz. Dieses Thema ist auf humanrights.ch an anderer Stelle eingehend thematisiert (siehe Rubrik Menschenhandel).

Im Bereich Sexarbeit gibt es jedoch auch andere menschenrechtsrelevante Fragen, welche ungenügend geregelt sind. Kinderrechtsorganisationen in der Schweiz fordern etwa ein weitergehendes Verbot der Prostitution Minderjähriger. In der Schweiz ist die Prostitution von 16- bis 18-Jährigen nicht verboten und weder die jungen Sexarbeiter und –arbeiterinnen noch ihre Freier machen sich strafbar. Dies obschon die Strafrechtsentwicklung in Europa dahin geht, dass die Inanspruchnahme sexueller Dienste von minderjährigen Prostituierten zwischen 16 und 18 Jahren gegen Entgelt unter Strafe gestellt wird (Europaratskonvention zum Schutze von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch vom 25. Oktober 2007, welche die Schweiz nicht ratifiziert hat). Eine Motion, welche ein entsprechendes Verbot verlangt hatte, war in der Herbstsession 2009 vom Nationalrat abgelehnt worden. Das Thema dürfte damit auf politischer Ebene allerdings nicht erledigt sein, denn der Bundesrat hat im Mai 2010 in einer Antwort auf eine Motion Bereitschaft signalisiert, das entsprechende Europaratsabkommen zu ratifizieren.

Schutz vor Ausbeutung brauchen auch andere potentielle Sexarbeiterinnen. So muss der Staat bemüht sein, dass Frauen nicht gezwungen sind, sich aus wirtschaftlichen Gründen zu prostituieren. Der Schattenbericht der Organisation Post Beijing forderte deshalb von der Schweiz im April 2008, dass sie den Zugang zu umfassender Bildung für alle gewährt sowie Möglichkeiten für junge Frauen vorsieht, im Erwachsenenalter einen Minimallohn zu verdienen. Darüber hinaus forderte die NGO die Bekämpfung von sozialen Stigmas, die Sexarbeiter/innen oft daran hindern, nach Wunsch eine andere Tätigkeit zu ergreifen.

Schutz der Sexarbeiterinnen

Für den Schutz der Sexarbeiterinnen ist es gemäss Expertinnen, etwa des FIZ, elementar, dass der Prostitution nicht zu viele rechtliche Einschränkungen gesetzt werden. Dies führe nur dazu, dass die Prostitution im rechtlichen Graubereich zunehme, womit für eine grössere Anzahl von Prostituierten der Schutz vor Ausbeutung abnehme. In Zürich wird derzeit eine Verordnung erarbeitet, welche mehr Schutz für Prostituierte bringen soll. Die Probleme, welche sich den Behörden stellen, drehen sich neben den kriminellen Machenschaften wie Menschenhandel um Themen wie bessere Arbeitsbedingungen oder besserer Schutz vor Gewalt. Aber auch die Interessen der Anwohnerschaft in der Nähe vom Strich werden als wichtig gesehen.

Lücken bei den Sozialrechten

Handlungsbedarf besteht insbesondere bei den Sozialrechten der Sexarbeiterinnen. Das FIZ fordert dementsprechend rechtliche Vorschriften, welche die Arbeitsbedingungen verbessern sowie deren konsequente Umsetzung. Bisher können Prostituierte etwa ihr Recht, den Lohn für ihre Arbeit einzufordern, häufig nicht durchsetzen. Denn die Behörden verweisen bei Streitigkeiten auf die Sittenwidrigkeit der Arbeit, das bedeutet wiederum, dass sie die Vereinbarungen zwischen Prostituierten und ihren Arbeitgebern als nicht verbindlich betrachten und damit bei der Durchsetzung des Rechts der Sexarbeiterinnen keine Hilfe bieten. Auch Streitigkeiten über Abgaben für Zimmermieten und andere Vereinbarungen mit den Vermittlern werden von Gerichten und Behörden aus demselben Grund kaum beurteilt. Weitere Menschenrechte, auf die Prostituierte in der Schweiz häufig nicht zählen können, sind das Recht auf Kranken- und Sozialversicherung, auf Gesundheit und Sicherheit und auf Aufenthalt (50 Prozent der Prostituierten in der Schweiz sind Migrantinnen). Für den besonderen Fall der Cabarettänzerinnen fordert das FIZ im übrigen spezifische Massnahmen, unter anderem proaktive Kontrollen bei Cabarets und Vermittlungsagenturen.

Dokumentation

Weiterführende Informationen