humanrights.ch Logo Icon

Empfehlungen des Kinderrechtausschusses zum Umgang mit Kindern mit ASS

21.12.2023

Im folgenden Artikel finden Sie eine Zusammenfassung sowie den Originaltext der Empfehlungen des Kinderrechtsausschusses aus dem zweiten (2025) und dritten (2021) Berichtszyklus an die Schweiz, die im Zusammenhang mit dem Umgang mit ASS-betroffenen Kindern relevant sind.

Der Kinderrechtsausschuss fordert die Schweiz auf, im Grundsatz einen menschenrechtsorientierten Ansatz im Umgang mit Kindern mit Behinderungen zu verfolgen (2015/Nr. 55) und den Fokus stärker auf Inklusion, als auf Integration zu setzen (2015/Nr. 55 c.). Er betont dies im Besonderen für Kinder mit ASS (2015/Nr. 55 e.), indem «einer Inklusionspädagogik, welche auf die Bedürfnisse dieser Kinder ausgerichtet ist, höhere Priorität beizumessen [sei] als behindertenspezifischen Förderschulen und Betreuungseinrichtungen». So anerkennt der Ausschuss 2021 zwar die Bemühungen seit 2015 hinsichtlich der Förderung des Zugangs von Kindern mit Behinderungen zur Regelschule (2021/Nr. 33), hingegen stellt er fest, dass noch immer «viele Kinder mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Autismus, Sonderschulen oder Klassen außerhalb der Regelschulen besuchen» (2021/Nr. 33 a.) und fordert diesbezüglich die Intensivierung der Bemühungen (2021/Nr. 34, a.). 2021 wiederholt der Ausschuss die Forderung nach angemessener Ausbildung der Lehrkräfte integrativer Klassen und allgemein des Fachpersonals, das mit Menschen mit ASS arbeitet (2015/Nr. 55, e.; 2021/Nr. 34, b. und c.). Im Bericht 2021 wird festgehalten (2021/Nr. 33 c.), dass trotz entsprechender Empfehlung (2015/Nr. 55 g.) «Kinder mit Behinderungen, einschließlich autistischer Kinder, […] manchmal noch immer in Heimen untergebracht [werden], manchmal zusammen mit Erwachsenen». Es seien «alle notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass Kinder mit Behinderungen in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht werden, und sicherzustellen, dass diesen Kindern nicht willkürlich das Recht abgesprochen wird, von ihren Eltern besucht zu werden.» Dabei dürfe eine ASS-Diagnose niemals Grund für einen Obhutsentzug sein. Der Kinderrechtsausschuss fordert die Schweiz auf, sicherzustellen, dass Kinder nur dann von der Familie getrennt werden, «wenn dies zu ihrem Wohl notwendig ist und einer gerichtlichen Überprüfung gemäß Artikel 9 Absatz 1 der Kinderrechtskonvention unterliegt» (2021/Nr. 34 e.). Bereits 2015 stellt der Kinderrechtsauschuss fest, dass «es Hinweise darauf gibt, dass Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen, insbesondere im Kanton Genf, unangemessen behandelt werden. Zu solchen Behandlungsmethoden gehört das sogenannte «Packing» (einwickeln in kalte, nasse Laken), das einer Misshandlung gleichkommt.» (2015/Nr. 54 e.) und fordert wiederholt ein gesetzliches Verbot des «Packings» (2015/Nr. 55 f. und 2021/Nr. 34 d.). Schliesslich fordert der Kinderrechtsausschuss auch dazu auf, neben der Schulung von Fachpersonal «sicher[zu]stellen, dass Eltern von Kindern mit Behinderungen weiterhin geschult, beraten und unterstützt werden.» (2021/Nr. 34 f.). (vgl. auch nächster Abschnitt).

Originaltext der Empfehlungen des Kinderrechtsausschusses 2015 und 2021

Im Rahmen des zweiten Berichtzyklus im Jahr 2015 (vgl. Abschnitt F, Nr. 54 und 55 über Kinder mit Behinderungen) stellt der Ausschuss fest:

«54. Der Ausschuss begrüsst das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen und die Verabschiedung der interkantonalen Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik. Dennoch ist der Ausschuss besorgt:

(a) darüber, dass es keine umfassenden Daten zu Kindern mit Behinderungen, einschliesslich Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen, gibt;

(b) darüber, dass Kinder nicht in allen Kantonen angemessen in die Regelschule integriert werden und zu wenig personelle und finanzielle Ressourcen für ein gut funktionierendes inklusives Bildungssystem zur Verfügung gestellt werden;

(c) darüber, dass in der frühen Kindheit keine ausreichende Förderung und Betreuung geboten wird und Möglichkeiten der inklusiven Berufsbildung für Kinder mit Behinderungen fehlen;

(d) darüber, dass Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen in vielen Aspekten des sozialen Lebens diskriminiert und ausgegrenzt werden, insbesondere im Kanton Genf. Dazu gehört, dass die Autismus-Spektrums-Störung zu selten bereits in der frühen Kindheit entdeckt wird, dass intensive Frühförderungsprogramme und ein Zugang zum Regelunterricht fehlen, insbesondere aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal für die spezifische Unterstützung dieser Kinder in der Regelschule, und dass die Ausbildung der Fachkräfte, die mit Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen arbeiten, unzureichend ist;

(e) über Hinweise darauf, dass Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen, insbesondere im Kanton Genf, unangemessen behandelt werden. Zu solchen Behandlungsmethoden gehört das sogenannte Packing (einwickeln in kalte, nasse Laken), das einer Misshandlung gleichkommt;

(f) über das Fehlen von Informationen zu getroffenen Massnahmen, welche verhindern sollen, dass Kinder mit Behinderung in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht werden und Ihnen willkürlich das Recht abgesprochen wird, von ihren Eltern besucht zu werden.

55. Im Sinne der allgemeinen Bemerkung Nr. 9 (2006) zu den Rechten von Kindern mit Behinderungen empfiehlt der Ausschuss dem Vertragsstaat eindringlich, im Umgang mit Behinderung einen menschenrechtsorientierten Ansatz zu verfolgen und empfiehlt dem Vertragsstaat daher:

(a) Daten zur Situation aller Kinder mit Behinderung zu erheben (aufgeschlüsselt nach Alter, Geschlecht, Art der Behinderung, ethnischer und nationaler Herkunft, geografischer Lage und sozioökonomischem Hintergrund etc.) und zu analysieren.

(b) seine Bestrebungen zu verstärken, landesweit ein inklusives, diskriminierungsfreies Bildungssystem sicherzustellen, insbesondere indem die dazu nötigen Ressourcen bereitgestellt und die Fachkräfte angemessen ausgebildet werden sowie indem klare Orientierungshilfen für Kantone erstellt werden, die noch keinen Inklusionsansatz verfolgen.

(c) eher die Inklusion als die Integration zu fördern.

(d) sicherzustellen, dass Kinder mit Behinderungen in allen Kantonen Zugang zu frühkindlicher Bildung und Betreuung, zu Frühförderprogrammen und zu Möglichkeiten der inklusiven Berufsbildung erhalten.

(e) die spezifischen Bedürfnisse von Kindern mit Autismus-Spektrum- Störungen in allen Kantonen aufzugreifen und insbesondere sicherzustellen, dass diese Kinder in sämtlichen Bereichen des sozialen Lebens vollständig integriert werden, einschliesslich Freizeit- und kulturelle Aktivitäten. Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss dem Vertragsstaat, der Inklusionspädagogik, welche auf die Bedürfnisse dieser Kinder ausgerichtet ist, höhere Priorität beizumessen als behindertenspezifischen Förderschulen und Betreuungseinrichtungen. Ausserdem sollen Früherkennungsmechanismen eingerichtet und Fachkräfte angemessen ausgebildet werden. Ferner empfiehlt der Ausschuss sicherzustellen, dass diese Kinder in wissenschaftlich fundierte Frühförderprogramme aufgenommen werden.

(f) die Anwendung von «Packing» gesetzlich zu verbieten und die nötigen Massnahmen zu ergreifen, damit Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung mit Würde und Respekt behandelt werden und ihnen wirksam Schutz gewährt wird.

(g) alle notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass Kinder mit Behinderungen in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht werden, und sicherzustellen, dass diesen Kindern nicht willkürlich das Recht abgesprochen wird, von ihren Eltern besucht zu werden.

Sechs Jahre später (2021) im dritten Berichtszyklus stellt der Kinderrechtsausschuss zu den Rechten von Kindern mit Behinderungen (Abschnitt F, Nr. 33 und 34) fest:

«33. Der Ausschuss begrüßt die Fortschritte, die bei der Sicherstellung des Zugangs von Kindern mit Behinderungen zum integrativen Unterricht in Regelschulen erzielt wurden, ist jedoch besorgt darüber, dass:

(a) Einigen der neuesten verfügbaren Daten zufolge müssen viele Kinder mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Autismus, Sonderschulen oder Klassen außerhalb der Regelschulen besuchen;

(b) Unter bestimmten Umständen kann der Unterricht in integrierten Klassen und Sonderschulen den Zugang von Kindern mit Behinderungen zur allgemeinen Hochschul- und Berufsausbildung einschränken;

(c) Kinder mit Behinderungen, einschließlich autistischer Kinder, werden manchmal noch immer in Heimen untergebracht, manchmal zusammen mit Erwachsenen;

(d) Kinder mit Behinderungen sind nach wie vor von Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung betroffen.

34. Unter Hinweis auf seine früheren Empfehlungen empfiehlt der Ausschuss dem Vertragsstaat:

(a) das Recht auf integrativen Unterricht in Regelschulen für alle Kinder mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Autismus und Kindern mit Lernschwierigkeiten, zu stärken und den Kantonen, die immer noch einen segregierten Ansatz anwenden, klare Anweisungen zu geben;

(b) die Ausbildung von Lehr- und Fachkräften in integrativen Klassen zu verstärken, die Kindern mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit schwerem Autismus und Kindern mit Lernschwierigkeiten, individuelle Unterstützung und gebührende Aufmerksamkeit bieten, und den Umfang der für diese Kinder verfügbaren Unterstützung zu erhöhen;

(c) ihre Maßnahmen zur Entwicklung und Sicherstellung der Verfügbarkeit mobiler Bildungsangebote in allen Kantonen, integrativer frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsdienste, außerschulischer Kinderbetreuungsdienste und beruflicher Ausbildungsmöglichkeiten für Kinder mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Autismus und Kindern mit geistigen und psychosozialen Behinderungen, durch entsprechend ausgebildete Lehrkräfte und angepasste Lehrpläne fortsetzen und sicherstellen, dass diese Maßnahmen mit angemessenen Mitteln ausgestattet werden;

(d) die Praxis des "Packings" von Kindern im öffentlichen und privaten Sektor gesetzlich verbieten und die Spezialisierung von Fachkräften im Gesundheitswesen auf Autismus fördern;

(e) das Angebot an angemessenen Unterstützungsdiensten für Kinder mit Behinderungen ausbauen, um die Unterbringung solcher Kinder in speziellen Zentren zu verhindern;

(f) Sicherstellen, dass Eltern von Kindern mit Behinderungen weiterhin geschult, beraten und unterstützt werden;

(g) Sensibilisierungskampagnen durchführen, um die Stigmatisierung und Diskriminierung von Kindern mit Behinderungen zu bekämpfen und ein positives Bild dieser Kinder als Träger*innen von Rechten zu fördern, wobei ihre sich entwickelnden Fähigkeiten gleichberechtigt mit anderen Kindern geachtet werden.»

Weiter sind die Forderungen des Ausschusses bezüglich der Frage der Fremdplatzierung (Abschnitt E, Nr. 31) relevant, insbesondere drei Forderungen (c, d und e):

«(c) Verstärkte Maßnahmen zur Verringerung der Anzahl Tage, die Kinder in Heimen verbringen, u. a. durch Bereitstellung ausreichender Mittel für Kinderschutzdienste und für die Ausbildung, Unterstützung und Beratung von Pflege- und Adoptiveltern;

(d) Sicherstellen, dass Kinder in alternativer Betreuung bei Entscheidungen angehört werden, die sie während ihres gesamten Aufenthalts betreffen, und dass die zuständigen Behörden über die technischen Möglichkeiten verfügen die erlauben, die Ansichten der Kinder in alternativer Betreuung zu respektiert;

(e) Sicherstellen, dass Kinder nur dann von ihrer Familie getrennt werden, wenn dies zu ihrem Wohl notwendig ist und einer gerichtlichen Überprüfung gemäß Artikel 9 Absatz 1 der Kinderrechtskonvention unterliegt, und dass Armut und Behinderungen, einschließlich Autismus-Spektrum-Störungen, niemals ein Grund dafür sind, ein Kind aus der elterlichen Obhut zu nehmen.»