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Unabhängige Beschwerdestellen und Untersuchungsinstanzen zu polizeilichem Fehlverhalten

02.05.2018

Wird man in der Schweiz Opfer von übermässiger Gewaltanwendung oder rassistischem Profiling durch Polizisten/-innen, so stehen die Chancen für die Betroffenen schlecht. Es fehlt an unabhängigen Beschwerdestellen und oft auch an der nötigen Unabhängigkeit der Untersuchungsinstanzen. Trotz regelmässiger internationaler Kritik geschieht in der Schweiz nun seit beinahe zwei Jahrzehnten so gut wie nichts, um dauerhafte Lösungen für diese Problematik zu institutionalisieren.

Ausgangslage

Seit dem Jahr 2002 sieht sich die Schweiz von diversen internationalen Gremien regelmässig mit der Forderung konfrontiert, Massnahmen einzuführen, welche die unabhängige Untersuchung von polizeilichem Fehlverhalten – wie beispielsweise übermässige Gewaltanwendung oder rassistischem Profiling  sicherstellen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. So geschehen ist dies Anfang November 2017 im Rahmen der Allgemeinen Periodischen Überprüfung (UPR) der Schweiz vor dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf, als mehrere Vertreter/innen der Staatengemeinschaft sich mit entsprechenden Forderungen an die Schweiz wandten. Diverse Organisationen aus der Zivilgesellschaft machen ebenfalls seit mehr als zehn Jahren auf unwirksame Beschwerdemechanismen und die mangelhafte Unabhängigkeit des Justizverfahrens bei der Untersuchung solcher Vorfälle aufmerksam.

Statistische Grundlagen fehlen

Welches Ausmass die übermässige Gewaltanwendung oder sonstiges Fehlverhalten durch Polizisten/-innen in der Schweiz angenommen hat, lässt sich nicht feststellen. Dies liegt einerseits daran, dass die Polizeikorps Anzeigen gegen Polizisten/-innen nicht systematisch erfassen oder die entsprechenden Daten nicht öffentlich sind. Andererseits gibt es in der Schweiz keine spezifischen Straftatbestände, welche bei der übermässigen Gewaltanwendung durch Polizisten/-innen zur Anwendung kommen, was eine Quantifizierung der Fälle erschwert.

Kaum Verurteilungen wegen Amtsmissbrauchs

In der Schweiz erlaubt einzig der Straftatbestand des Amtsmissbrauchs (Art. 312 StGB) grobe Rückschlüsse. Dieser betrifft jedoch nicht bloss Angehörige der Polizei, sondern ist grundsätzlich auf alle Amtsträger/innen anwendbar. Gemäss der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundesamts für Statistik wurden 2017 in der Schweiz 105 Strafanzeigen wegen Amtsmissbrauchs registriert. Davon kam es allerdings nur in vier Fällen zu einer Verurteilung. Das sind so wenige wie noch nie. Nur bei zwei Delikten aus dem Strafgesetzbuch, das über 200 Taten auflistet, lag die Quote tiefer.

Wie viele dieser Fälle Polizisten/-innen betreffen, lässt sich aus der Statistik nicht ablesen. Zu wie vielen Anzeigen gegen Angehörige der Polizei es wegen sonstiger Straftatbestände – wie beispielsweise wegen Körperverletzung oder Gefährdung des Lebens – kam, ist ebenfalls offen.

Zeigt die Polizei jemanden an, ist eine Verurteilung viel warhscheinlicher. 2017 lag die Verurteilungsquote wegen «Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte» bei 85 Prozent. Gemäss Strafrechtsprofessor Marc Thommen lässt sich dieser krasse Unterschied nicht nur damit erklären, dass es Wutbürger/innen gibt, welche zu Unrecht Beamte anzeigen. «Es gibt Gründe, ein Verfahren im Zweifelsfall eher einzustellen als bei normalen Bürgern». Die Beamten/-innen seien auf ein gutes Klima angewiesen, so Thommen gegenüber der Sonntagszeitung.

Hohe Hürden für Prozessführung

Dass die Hürden für eine Verurteilung von Polizeibeamten/-innen sehr hoch sind, zeigt der Fall von Wilson A. beispielhaft. Im Oktober 2009 wurde er mutmasslich Opfer rassistischer Polizeigewalt. Das Bezirksgericht Zürich sprach am 18. April 2018 alle drei beschuldigten Polizisten/-innen frei. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft zwei Mal versucht, das Verfahren trotz klarer Beweislage einzustellen.

Als Ausnahme gilt ein Fall aus Bern vom Februar 2014: Ein Betrunkener wurde auf der Polizeiwache von den involvierten Beamten unter anderm durch seine eigene Urinlache gezogen und aufgefordert diese aufzulecken. Zu einer Verurteilung der beiden Polizisten wegen Amtsmissbrauchs kam es gemäss der Gerichtspräsidentin nur, weil eine Polizeiaspirantin gegen ihre Kollegen ausgesagt hatte.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele mutmassliche Opfer von Polizeigewalt den Schritt einer Strafanzeige gegen die involvierten Beamten/-innen nicht wagen. Eine Strafanzeige bedeutet für die Betroffenen ein gewisses Kostenrisiko und sie laufen Gefahr, selbst eine Strafanzeige angehängt zu bekommen. Dies ist beispielsweise im Fall Wilson A. geschehen: Nach der Einreichung einer Strafanzeige gegen die drei betroffenen Polizisten/-innen kam es zu einer Gegenanzeige wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte. Dies ist kein Einzelfall, sondern ein Muster. Engagierte Anwälte/-innen und Menschenrechtsorganisationen raten den Betroffenen deshalb, die Risiken einer Strafanzeige sorgfältig abzuwägen.

Rechtliche Vorgaben

Losgelöst von konkreten Einzelfällen sind die Schweizer Behörden bei polizeilichem Fehlverhalten grundsätzlich zu folgendem Vorgehen verpflichtet: (1) Falls genügend hinreichende Verdachtsmomente vorhanden sind, muss eine effiziente und unabhängige Untersuchung durchgeführt werden und (2) es müssen wirksame Beschwerdemöglichkeiten für die Opfer von Polizeigewalt zur Verfügung gestellt werden. Diese Verpflichtungen ergeben sich aus der nationalen Gesetzgebung und den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz. Das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) hat in einer Studie aus dem Jahre 2014 die internationalen und nationalen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Untersuchung von polizeilichem Fehlverhalten detailliert dargestellt.

Auf der Ebene des Bundes enthält die Schweizerische Strafprozessordnung (StPO) u.a. in Art. 4 den Grundsatz der Unabhängigkeit für sämtliche Strafbehörden und in Art. 302 die Anzeigepflicht von Polizeimitarbeitenden. Die Strafprozessordnung überlässt die Regelung zentraler Aspekte von Beschwerdemöglichkeiten und Untersuchungsmodalitäten allerdings den Kantonen, wie beispielsweise die Anzeigepflicht für Strafverfolgungsbehörden und die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft. Allerdings ist die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für Fälle mutmasslicher übermässiger Polizeigewalt selten ausdrücklich in kantonalen Gesetzen oder Weisungen geregelt.

Beschwerdemechanismen in der Schweiz

Die Schweiz kennt diverse Beschwerdemechanismen: Weiche oder vermittelnde Verfahren (u.a. Ombudsverfahren) auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Rechtsschutzverfahren (u.a. Strafanzeige). Eine detaillierte Übersicht zu den Beschwerdemechanismen in der Schweiz gibt dieser Artikel auf humanrights.ch.

Weiche Verfahren

Die Praxis der Kantone bei der Ausgestaltung der weichen Verfahren fällt sehr unterschiedlich aus. Einzig der Kanton Genf verfügt über einen unabhängigen Beschwerdemechanimus, der spezifisch für Beschwerden über die Polizei eingerichtet wurde. Allerdings ist dieses Organ nicht für physische Gewalt zuständig.

Sechs weitere Kantone (Baselland, Basel-Stadt, Waadt, Freiburg, Zürich und Zug) haben eine parlamentarische Ombudsstelle eingerichtet, welche unter anderem auch Beschwerden wegen mutmasslicher übermässiger Gewaltanwendung durch Polizeibeamte/-innen behandeln und Mediationen organisieren können. Seit Jahren ist keine weitere kantonale Ombudsstelle mehr dazu gekommen. Wiederholte Versuche, eine kantonale Ombudsstelle im Kanton Bern einzuführen, scheiterten jeweils im Grossen Rat (Der Bund vom 24.01.2017).

Eine flächendenke Schaffung kantonaler Ombudsstellen wäre in der Praxis von grosser Bedeutung, da sie  bei entsprechender Ausgestaltung – einen niederschwelligen Zugang bieten, um gegen polizeiliches Fehlverhalten vorzugehen. Ombudsstellen ermöglichen die Überprüfung eines Vorfalls durch eine polizeiexterne unabhängige Stelle; sie können zwischen den Betroffenen und der Polizei vermitteln, zeigen den Opfern ihren Handlungsspielraum auf und beraten diese in Bezug auf die Einleitung eines Strafprozesses.

Eine andere niederschwellige Möglichkeit, polizeiliches Fehlverhalten direkt bei der Polizei zu rügen, besteht in der sogenannten Bürgerbeschwerde. Auch diese Beschwerdemöglichkeit ist in den Kantonen uneinheitlich ausgestaltet: Lediglich drei Kantone (Schwyz, Thurgau und Luzern) regeln die Bürgerbeschwerde in ihren jeweiligen Rechtsordnungen. In den restlichen Kantonen finden sich entsprechende Regeln – wenn überhaupt – in polizeiinternen Reglementen. Ergeben sich bei der Untersuchung solcher Beschwerden Hinweise auf eine Dienstpflichtverletzung, kann gegen die betroffenen Polizisten/-innen ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden. Ist ein Disziplinarverfahren nicht vorgesehen, kann eine personalrechtliche Massnahme vom Personaldienst des Polizeikorps angeordnet werden. In den meisten Kantonen werden die Bürgerbeschwerden in den Personaldossiers der Polizeibeamten/-innen vermerkt. Pro Jahr soll es – gemäss den Aussagen der Polizei – in grösseren Kantonen zu ca. 30 bis 100 solcher Beschwerden kommen.

Die Aufsichtsbeschwerde bietet eine niederschwellige Möglichkeit, polizeiliches Fehlverhalten bei einer polizeiexternen Behörde zu melden. Die zuständige Stelle ist je nach Kanton der Regierungsrat oder das übergeordnete Departement. Auch bei dieser Beschwerdemöglichkeit bestehen drastische Unterschiede zwischen den Kantonen. Neun Kantone haben diese Form der Beschwerde in ihren kantonalen Rechtsordnungen nicht geregelt. Dies führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit für Bürger/innen. Es erstaunt somit nicht, dass in der Praxis diese Beschwerdemöglichkeit kaum genutzt wird. Konsequenz eines solchen Verfahrens können interne Weisungen an die Polizei sein. Zu personalrechtlichen Konsequenzen kommt es nur sehr selten.

Rechtsschutzverfahren

Das Strafverfahren ist die wichtigste Rechtsschutzmöglichkeit, mit welcher der Untersuchungspflicht des Staates nachgekommen wird. Es kann von Opfern mutmasslicher übermässiger Gewaltanwendung durch Polizisten/-innen entweder bei der Polizei oder direkt bei der Staatsanwaltschaft eingeleitet werden. Sämtliche Strafverfolgungsbehörden – also auch die Polizei – sind zudem verpflichtet, entsprechendes Fehlverhalten selbst zur Anzeige zu bringen. In der Praxis geschieht dies jedoch äusserst selten.

Daneben existieren noch weitere formelle Beschwerdemechanismen: (1) das Staatshaftungsverfahren, welches primär bei der Beschädigung von Vermögenswerten relevant ist, in der Praxis aber nur geringe Bedeutung aufweist. (2) Die Beschwerde nach Art. 393 StPO, welche jedoch nur Fehlverhalten im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens abdeckt, wie beispielsweise die Nichtentgegennahme einer Strafanzeige. (3) Das Verwaltungsrechtsverfahren, welches für die Anfechtung von Verfügungen konzipiert ist. Bei der übermässigen Gewaltanwendung durch Polizisten/-innen handelt es sich jedoch um Realakte, welche mit dem Verwaltungsrechtsverfahren in der Regel nicht gerügt werden können. Einige Kantone sehen in diese Möglichkeit allerdings in ihren Rechtsordnungen vor.

Unabhängigkeit der Strafuntersuchung

Die Unabhängigkeit der Strafuntersuchung sollte durch die Strafprozessordnung und die jeweiligen kantonalen Erlasse eigentlich sichergestellt sein. Fälle wie derjenige von Wilson A. zeigen jedoch auf, dass dem in der Praxis nicht immer so ist. Die Polizei nimmt als Strafverfolgungsbehörde und Arbeitgeberin verschiedene Funktionen wahr, die einer unabhängigen Untersuchung nicht zuträglich sind. Zudem arbeitet die Staatsanwaltschaft im Alltag eng mit der Polizei zusammen und ist auf eine gute Kooperation angewiesen. Die involvierten Ermittlungsbehörden und die angeschuldigten Polizisten/-innen sind sich häufig persönlich bekannt. Verfahren gegen Polizisten/-innen werden denn auch von den untersuchenden Staatsanwälten/-innen oft eingestellt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft bei Untersuchungen gegen die Polizei selten ausdrücklich in Gesetzen oder Weisungen verankert ist und oft auf ad-hoc Entscheidungen basiert. Diesbezüglich ist die Praxis und Rechtsordnung in der Schweiz nicht einheitlich. Vier Arten von Zuständigkeitsregelungen bei Strafklagen gegen Angehörige der Polizei lassen sich unterscheiden:

  • Keine besonderen Zuständigkeiten: Grundsätzlich ist die Staatsanwaltschaft der Region zuständig, wo das Delikt verübt wurde (beispielsweise im Kanton Luzern).
  • Regionale Differenzierung: Zuständig ist in der Regel die Staatsanwaltschaft, die üblicherweise in einer anderen Region als die angeschuldigten Beamten/-innen tätig ist (beispielsweise die Kantone Solothurn und Aargau).
  • Zuständigkeit einer spezifischen Abteilung der Staatsanwaltschaft (beispielsweise im Kanton Bern).
  • Die Mandatierung der Zuständigkeit an eine ausserkantonale Staatsanwaltschaft ist zwar möglich, geschieht in der Praxis aber äusserst selten und meistens erst aufgrund politischen Drucks. In keinem Kanton in der Schweiz ist die Einsetzung einer ausserkantonalen Staatsanwaltschaft – selbst in gravierenden Fällen – zwingend vorgesehen.

Um eine möglichst weitgehende Unabhängigkeit bei der Untersuchung mutmasslicher übermässiger Gewaltanwendung durch Polizeibeamte/-innen sicherzustellen, ist die Einsetzung ausserkantonaler Staatsanwälte sicherlich eine passable Zwischenlösung. Doch mittelfristig müssten interkantonale Konkordate für Sonderstaatsanwaltschaften geschaffen werden, um die institutionelle Unabhängigkeit einer Strafuntersuchung gegen Polizeibeamte/-innen zu gewährleisten und damit die Problematik der beruflichen Bindungen zwischen den Untersuchungsbehörden und den Angeschuldigten entscheidend abzuschwächen. Das Mandat dieser Sonderstaatsanwaltschaften sollte auf eine rasche, gründliche und wirksame Untersuchung von Strafanzeigen gegen Polizeibeamte/-innen fokussiert sein.

Der Blick über den Tellerrand

Lässt man den Blick über die Grenzen der Schweiz hinweg streifen, zeigt sich ein anderes Bild. Nordirland hat beispielsweise seit geraumer Zeit einen Beschwerdemechanismus implementiert, welche die Unabhängigkeit des Untersuchungsverfahrens sicherstellen soll. Seit einigen Jahren sind auch in Deutschland zögerliche Versuche zu erkennen, dem Problem mit neuen Ideen zu begegnen. Auch in weiteren Ländern wie Dänemark, Schottland, Belgien und England wurden in den letzten Jahren neue institutionelle Lösungen zur Linderung der Problematik eingeführt. Im Folgenden werden die Beispiele Nordirland und Deutschland kurz dargestellt.

Die nordirische Polizei-Ombudsstelle

Die nordirische Ombudsstelle wurde 1998 aufgrund einer grundlegenden Polizei- und Justizreform geschaffen, welche die Neutralität und Legitimation der nordirischen Polizei wiederherstellen sollte. Angegliedert ist die operativ – jedoch nicht institutionell - unabhängige Ombudsstelle dem Justizministerium, das auch die politische Verantwortung für die Polizei trägt. Dieses ist gegenüber dem nordirischen Parlament verantwortlich, bewilligt aber selbst die strategischen Leitlinien und die Finanzen der Ombudsstelle. Das Justizministerium kann die Leitung der Ombudsstelle bei schlechter Amtsführung zudem vorzeitig aus dem Amt entlassen.

Die Ombudsstelle ist zuständig für die unabhängige Ermittlung von Beschwerden gegen die Polizeikräfte. Ein polizeiinternes Beschwerdemanagement als solches existiert in Nordirland nicht. Bei der Bearbeitung von Beschwerden verfügt die Ombudsstelle über sämtliche Ermittlungsbefugnisse der Polizei (Beschlagnahmung, forensische Untersuchung, Festnahme von Verdächtigen, etc.), und sie kann - auch losgelöst von einer konkreten Beschwerde - eigeninitiativ tätig werden. Zur Erfüllung dieses Mandats stehen der Ombudsstelle rund 150 Mitarbeitende zur Verfügung, welche in interdisziplinären Teams zusammenarbeiten.

Bemerkenswert ist der niederschwellige Zugang zur Ombudsstelle: Die Website steht beispielsweise in neun Sprachversionen zur Verfügung und enthält auch barrierefreie Angebote für Menschen mit Behinderungen. Im Berichtsjahr 2015/2016 leitete die Ombudsstelle in 1'148 Fällen eine offizielle Untersuchung ein. In 21 Fällen empfahl die Ombudsstelle der Staatsanwaltschaft die Eröffnung eines Strafverfahrens und für 355 Beamte/-innen wurden den Vorgesetzten disziplinarische Massnahmen empfohlen.

Neben der Bearbeitung von individuellen Beschwerden spricht die Ombudsstelle gegenüber der Polizei auch «policy recommendations» aus, zum Beispiel zu Grosseinsätzen, Sicherheit in den Gewahrsamszellen, etc. Der Inhalt dieser Empfehlungen wird jedoch nur selten veröffentlicht.

Polizeibeauftragte in Deutschland

Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden-Würtemberg haben das Amt des Polizeibeauftragten zwischen 2014 und 2016 eingeführt. Diese Ombudsstellen sind dem Prinzip der Mediation verpflichtet, weshalb der Fokus auf einer einvernehmlichen Streitbeilegung zwischen Beschwerdeführenden und der Polizei liegt. Neben der Mediation können die Polizeibeauftragten die Innenministerien zur Stellungnahme auffordern, und mit Einverständnis der Beschwerdeführenden können sie die für Disziplinar- und Strafmassnahmen zuständigen Stellen (insb. Polizei und Untersuchungsrichter/innen) informieren. Gewählt werden die Polizeibeauftragten vom Landtag (Legislative) der jeweiligen Bundesländer, und sie sind diesem gegenüber rechenschaftspflichtig. Damit soll die institutionell-hierarchische Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive sichergestellt werden.

Im Gegensatz zu klassischen Ombudsstellen fällt bei den drei Polizeibeauftragten auf, dass sie nicht nur für Beschwerden der Bürger/innen zuständig sind, sondern sich auch mit Beschwerden aus Polizeikreisen befassen. Das Mandat der Ombudsstellen ist dementsprechend breit ausgestaltet: Sie bearbeiten Beschwerden, welche auf eine Verletzung von Grund- und Menschenrechten schliessen lassen, beschäftigen sich aber auch mit Eingaben, welche «im dienstlichen Kontext stehende soziale oder persönliche Konfliktsituationen zum Gegenstand haben». Es ist anzunehmen, dass diese Zweigleisigkeit zu einer höheren Akzeptanz der Ombudsstelle bei den Mitarbeitenden der Polizei führt.

Trotz ihrem breiten Mandat zur Bearbeitung von Beschwerden gegen und von Polizeibeamten/-innen sind die deutschen Ombudsstellen personell schwach aufgestellt. Dies ist insofern ein Problem, als die Anzahl der eingehenden Beschwerden sich seit der Einführung dieser Beschwerdestellen stark erhöht hat: Im Bundesland Rheinland-Pfalz hat sich die Anzahl Beschwerden im ersten Jahr seit der Einführung vervierfacht. Diesen Anstieg einzig auf vermehrtes Fehlverhalten der Polizei zurückzuführen, greift allerdings zu kurz. Mitverantwortlich für den Anstieg der Beschwerden können u.a. auch der gestiegene Bekanntheitsgrad und die niederschwellige Zugänglichkeit der Ombudsstellen sein.

Die Ombudsstellen in Deutschland sind vergleichbar mit den sechs parlamentarischen Ombudsstellen in der Schweiz, da es Gemeinsamkeiten in der Organisation und den Befugnissen gibt. Auch die Ombudsstellen in der Schweiz wirken unabhängig von der Exekutive, verfügen über ein breites Mandat und nehmen in begrenztem Umfang auch Beschwerden aus der Verwaltung entgegen. Ein zentraler Unterschied liegt jedoch darin, dass es in der Schweiz keine Ombudsstellen gibt, welche auf die Behandlung von Beschwerden gegenüber der Polizei spezialisiert sind.

Fazit: Dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf in der Schweiz

Im westeuropäischen Umfeld hat man die Problematik bei der Meldung und Untersuchung von polizeilichem Fehlverhalten erkannt und entsprechende Lösungen bereits umgesetzt oder geht diese zumindest schrittweise an. In der Schweiz lässt sich diesbezüglich leider nur Stagnation feststellen, zumindest in Bezug auf die Einführung von unabhängigen Beschwerde- und Ombudsstellen. Auch im Bereich der Unabhängigkeit von Strafuntersuchung sind lediglich vereinzelt Reformbemühungen zu erkennen.

In Zeiten, da polizeiliches Fehlverhalten – insbesondere auch rassistisches Profiling  als Problem immer offenkundiger wird, kann dieser zögerliche Kurs der Politik nicht akzeptiert werden. Schliesslich ist es die Aufgabe der Parlamentarier/-innen aller Ebenen, der Verpflichtung zu einer effizienten und unabhängigen Untersuchung und zur Schaffung von wirksamen Beschwerdemöglichkeiten für die Opfer von polizeilichem Fehlverhalten nachzukommen. Es ist an der Zeit, die flächendeckende Schaffung kantonaler spezialisierter Ombudsstellen und interkantonaler Konkordate für Sonderstaatsanwaltschaften an die Hand zu nehmen.

Dokumentation