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Zusammenarbeit von Alliance Sud mit Nestlé in Kolumbien

25.08.2011

Während rund fünf Jahren haben Alliance Sud und Nestlé einen aussergewöhnlichen Dialog auf höchster Ebene geführt. Dieser startete 2006 als Folge des sogenannten «Nestlé-Tribunals», welches die Plattform Multiwatch, der auch Alliance Sud angehört, in Bern veranstaltet hatte. Der Konzern hatte damals vergeblich versucht, das Tribunal und die dadurch erfolgte negative Berichterstattung durch die Medien zu behindern. Diese Intervention führte in den vertraulichen Dialog mit Alliance Sud und zu Reisen einer Delegation nach Kolumbien. Ziel war es dabei für Alliance Sud, dass Nestlé die Menschen- und Gewerkschaftsrechte besser respektiert, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und der Zulieferer verbessert und einen Beitrag zur Entwicklung der lokalen Gemeinschaften leistet.

Die Zusammenarbeit von Alliance Sud mit Nestlé in Kolumbien hat im Sommer 2011 in NGO-Kreisen und in der Öffentlichkeit widersprüchliche Reaktionen ausgelöst. Während die Medien den Dialog als innovativen Schritt sehen, äusserte sich etwa die Erklärung von Bern (EvB) kritisch gegenüber der Zusammenarbeit und fragte u.a. im Tages-Anzeiger, woher Alliance Sud die Legitimation nehme, im Namen der Betroffenen mit Nestlé zu verhandeln.

Humanrights.ch hat sich den Bericht, der aus der Zusammenarbeit von Alliance Sud und Nestlé hervorging, genauer angesehen.

Empfehlungen teilweise umgesetzt

Eine Delegation von Alliance Sud besuchte 2008 erstmals zwei von fünf Niederlassungen von Nestlé in Kolumbien. Daraus resultierten rund 40 Empfehlungen, welche der Konzern rund zur Hälfte annahm. 2010 kam es zu einer zweiten von Alliance Sud finanzierten Reise zur Prüfung der Umsetzung dieser Empfehlungen. Alliance Sud schreibt zum Ende des Dialogs, er habe konkrete Verbesserungen zur Folge gehabt. Das Zerwürfnis zwischen Nestlé und den kolumbianischen Gewerkschaften bleibe aber bestehen.

Zu den Empfehlungen, deren Umsetzung Nestlé in Angriff nahm, gehörte die Änderung der Politik gegenüber den Gewerkschaften. Diese erhielten erleichterten Zugang zu den Produktionsstätten und die Neuangestellten erhielten Informationen über ihre Arbeits- und Menschenrechte. Im Gegensatz zu früher verlief zudem zwischen 2008 und 2010 das Aushandeln von Gesamtarbeitsverträgen mit den Gewerkschaften friedlich. Für Fortschritte im Bereich Menschenrechte und Sicherheit sorgte der Wechsel zu einer neuen Sicherheitsfirma und der Umstand, das Nestlé nun dafür sorgt, dass das Sicherheitspersonal besser ausgebildet ist. Nestlé erhöhte ferner die Anzahl der Festangestellten.

Nicht umgesetzt wurde hingegen etwa die Empfehlung, bei der Festlegung der Löhne nicht den gesetzlichen Mindestlohn, sondern das Existenzminimum als Referenz zu nehmen. Nestlé lehnte es auch ab, am Hauptsitz in Vevey eine Ombudsstelle für Menschenrechtsverletzungen zu schaffen oder in Kolumbien einen Mediator einzusetzen.

Zum Inhalt des Berichts

Alliance Sud veröffentlichte einen 18-seitigen Bericht über den Dialog. Er hält die wichtigen Entwicklungsschritte fest. Trotz Lücken ist er aufschlussreich, zum einen weil er den Blick öffnet für die Arbeitswelt in Kolumbien und dabei sowohl historisch gewachsene Strukturen wie auch aktuelle politische Entwicklungen berücksichtigt. Dem Lesenden wird rasch klar, dass mit dem Schweizer Nahrungsmittelkonzern (der seit 1944 im Land aktiv ist) und den starken kolumbianischen Gewerkschaftsbewegungen zwei Kulturen aufeinander treffen, die sehr verschieden waren und sind. 

Der Bericht trägt ausserdem zur Klärung des Konfliktes zwischen NGOs und Nestlé bei. Dieser dreht sich unter anderem um eine gegensätzliche Bewertung des Images von Nestlé. Auf der einen Seite steht die Binnensicht des Konzerns, der sich selber als sozialverantwortlichen Player auf dem Markt positioniert, auf der andern Seite die Sicht nationaler und internationaler Organisationen und Gewerkschaften, welche Nestlé die Missachtung von Menschenrechten vorwerfen. Der Blick auf die Nestlé-Aktivitäten in Kolumbien zeigt, worauf diese unterschiedliche Wahrnehmung basiert.

Alliance Sud hält fest, Nestlé trage zur Entwicklung Kolumbiens bei und investiere viel in das Land, etwa in den Bereichen Abwasserreinigung, Gesundheit, Ausbildung oder Innovation. Die Arbeitssicherheit in den Niederlassungen ist vergleichsweise hoch. Bei Nestlé sind mehr Angestellte gewerkschaftlich organisiert als in andern Firmen und der Konzern setzt sich für bessere Lebensbedingungen der Mitarbeitenden ein. Der Bericht zeigt, dass Nestlé in Kolumbien aufgrund seiner langen Präsenz, dem wirtschaftlichen Gewicht und der Qualität seiner Produkte über ein gewisses Renommee verfügt. Nicht uninteressant ist ferner, dass Nestlé grösstenteils kolumbianische Rohstoffe verarbeitet und diese in Kolumbien wieder verkauft.

Auch die Menschenrechtsverletzungen, welche NGOs Nestlé vorwerfen, thematisiert der Bericht. Vor dem Hintergrund bis heute nicht aufgeklärter und geahndeter Morde an aktiven Gewerkschaftern in den vergangenen Jahren habe der Konzern zu lange eine passive Rolle inne gehabt, schreibt Alliance Sud. 13 Arbeiter beziehungsweise ehemalige Beschäftigte von Nestlé sind seit 1986 ermordet worden. Erst 2008 distanzierte sich der Konzern von der Gewalt gegen Gewerkschafter. Gleichzeitig hatte Nestlé davon profitiert, dass die Gewerkschaften Persönlichkeiten verloren. Dies hat das Verhältnis zu den Gewerkschaften schwer beeinträchtigt. Doch auch heute agiere Nestlé oft technokratisch und zu rentabilitätsorientert, urteilt Alliance Sud. Zahlen und Indikatoren zur Verbesserung der Lebensbedingungen interessierten ihn oft mehr als die Menschen selber. Sensibilität für die lokalen Bedingungen fehle oft.

Endlich rechtliche Grundlagen schaffen!

Mit viel Engagement, zeitlichem und finanziellem Aufwand konnte Alliance Sud offenbar dazu beitragen, dass die Aktivitäten von Nestlé in Kolumbien vermehrt den lokalen Gemeinschaften zu Gute kommen. Die Lektüre des Berichtes hinterlässt den Eindruck, dass von einem solchen Dialog in der Tat alle Seiten profitieren können. Allerdings dürfte der Dialog kaum Vorbild für neue ähnliche Partnerschaften sein, denn der Aufwand war für Alliance Sud zu gross, um vergleichbare Projekte zu starten, wie Peter Niggli gegenüber der WOZ festhielt.

Vorstellbar und wohl wünschenswert wäre, dass sich der Bund näher mit dem Dialog von Alliance Sud mit Nestlé befasst und ihn als Anstoss sieht, ähnliche Dialogprogramme in Konfliktgebieten anzustreben. Die Grundlagen für solche Programme bestehen dank den Arbeiten von John Ruggie, dem UNO-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte. Sie sollten im Sinne einer breiter verstandenen Entwicklungspolitik das Ziel verfolgen, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit die rechtsstaatlichen Strukturen im Partnerland stärkt. Wie der Dialog zwischen Alliance Sud und Nestlé gezeigt hat, ist es dabei unter anderem zentral, dass die transnationalen Unternehmen angehalten sind, die Gewerkschaften als Dialogpartner anzuerkennen und insbesondere die Gewerkschaftsfreiheit zu respektieren.

Dokumentation