humanrights.ch Logo Icon

Widerstand gegen das ACTA-Abkommen

14.02.2012

Das Handelsabkommen Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) verpflichtet die Vertragsstaaten gegen Fälschung und Piraterie in verschiedensten Bereichen vorzugehen. In der Schweiz und Europa haben Piratenparteien und andere Organisationen zu Protestmärschen und Demonstrationen aufgerufen. Sie befürchten unter anderem, dass das Abkommen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit im Internet führt.

Auch in anderen Bereichen sind Menschenrechte betroffen. Die Schweiz gehört zu denjenigen Staaten, welche das Abkommen ausgehandelt haben. Sie hat es bisher weder unterschrieben noch ratifiziert.

Die Protestbewegung konnte in einigen Staaten zahlreiche Gegner/-innen des Abkommens mobilisieren. Ausserdem haben sich verschiedene Persönlichkeiten kritisch zum Abkommen geäussert und insbesondere dessen vage Formulierungen kritisiert. Deshalb hatten mehrere EU-Staaten die Ratifizierung des Abkommens vorerst ausgesetzt. In der Schweiz hat der Bundesrat am 9. Mai 2012 beschlossen, mit der Unterzeichnung des ACTA-Abkommens zu warten. Die Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates hatte ihn zuvor in einem Schreiben gebeten, vorerst von einer Ratifizierung abzusehen. Der Bundesrat will das Vorgehen neu beurteilen, sobald weitere Entscheidungselemente vorhanden sind.

Im Juli 2012 hat das europäische Parlament das Handelsabkommen mit einer grossen Mehrheit zurückgewiesen. Somit haben die Parlamentarier dem Ratifizierungsprozess innerhalb der EU ein Ende gesetzt. Die Erklärung von Bern begrüsst diesen Entscheid und erwartet nun vom Bundesrat, dass er dieses Vertragswerk ebenfalls ablehnt.

Weiterentwicklung des TRIPS-Abkommen

Bereits heute gibt es im internationalen Handel Bestimmungen zum Schutz von Patenten, Copyrights, Handelsmarken, Urheberrechten etc. Diese sind im Abkommen über handelsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte (englisch TRIPS: Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights) festgehalten, welches seit 15 Jahren in Kraft ist. Seither haben Piraterie und Fälschungen in verschiedensten Bereichen nach Ansicht von Produzenten und Firmen sowie westlichen Industriestaaten stark zugenommen. Betroffen sind verschiedenartigste Produkte wie Filme und Songs, Bücher, Medikamente oder Designerkleider.

Die Antwort der Staatengemeinschaft auf diese Entwicklung ist nun das ACTA-Abkommen (deutsch: Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie). Es soll die Produzenten von Markenprodukten und Kunstschaffende besser schützen, etwa mit konkreteren strafrechtlichen Massnahmen. Vorgesehen sind abschreckende Strafen in Fällen vorsätzlicher Verletzungen von Marken-, Urheber- oder verwandten Schutzrechten sowie Strafverfolgung von Amtes wegen in schweren Fällen. Ausserdem soll der Schutz vor Piraterie im Internet erhöht werden: Internet-Provider werden stärker in die Pflicht genommen bei Verstössen gegen das Urheberrecht. In Staaten, die das Abkommen ratifizieren, können die Provider haftbar gemacht werden für illegales Verhalten der Nutzenden.

Unklar ist, was die Folge davon wäre, denn das Abkommen lässt mit Kann-Formulierungen den Staaten viel Handlungsspielraum. Denkbar und nicht unwahrscheinlich wäre etwa, dass die Provider verpflichtet werden, den Datenverkehr der Kunden zu überwachen und einen Internetzugang nach drei Verstössen gegen das Urheberrecht sperren, wie dies etwa in Frankreich bereits gesetzlich vorgesehen ist. Das Abkommen ermöglicht es den Staaten zudem, auch die Beihilfe zu Verletzungen des Urheberrechts für strafbar zu erklären. Geschäftsmodelle, wie jenes der Online-Plattform YouTube, die von den Veröffentlichungen der Nutzer/-innen leben, könnten kaum mehr funktionieren.

Menschenrechte für den Markenschutz preisgeben?

ACTA setze neue Standards, um eine breite Palette von intellektuellen Eigentumsrechten, wie Marken- und Urheberrechte oder Patente, durchzusetzen, schreibt Amnesty International. Nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation beeinträchtigen Inhalt, Prozess und institutionelle Strukturen des Abkommens in verschiedener Weise die Menschenrechte. Betroffen seien insbesondere Verfahrens- und Freiheitsrechte, wie das Recht auf Privatsphäre, Informationsfreiheit, Meinungsäusserungsfreiheit und das Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung. Amnesty International fordert deshalb die Schweiz auf, das ACTA-Abkommen nicht zu unterzeichnen.

Die Erklärung von Bern (EvB) hält in einem Mediencommuniqué fest, das ACTA-Abkommen bedrohe nicht nur die Meinungsfreiheit im Internet sondern auch den Zugang zu lebenswichtigen Generika in Entwicklungs- und Schwellenländern. «Unter dem Vorwand, Medikamentenfälschungen zu bekämpfen, könnten Generika beim Grenzübertritt beschlagnahmt werden, wie in Europa bereits geschehen.» Die EvB unterstützt deshalb die Forderung an die Schweizer Regierung dieses «antidemokratische und Menschenrechte beschneidende Abkommen» zurückzuweisen.

Vergessen ging in der Diskussion um Menschenrechte und deren Einschränkung durch das ACTA-Abkommen bisher allerdings ein wichtiger Punkt. Auch die Verfechter eines stärkeren Schutzes von Urheberrechten können sich für ihre Interessen auf die Menschenrechte berufen, etwa auf die Kunstfreiheit. Für diese gibt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) sowie im UNO-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte deutliche Garantien. Gemäss Art. 15, UNO-Pakt I erkennen die Vertragsstaaten «das Recht eines jeden an, den Schutz der geistigen und materiellen Interessen zu geniessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.»

Das Institut für Geistiges Eigentum versucht zu beschwichtigen

Das Institut für Geistiges Eigentum (IGE), welches in der Schweiz für die Aushandlung des ACTA-Abkommens verantwortlich war, versucht derweil zu beschwichtigen. Es bestehe kein Grund zur Aufregung, sagte ein Verantwortlicher des IGE gegenüber der Tagespresse. Nach Ansicht des IGE gäbe das Abkommen den Ländern zwar die Möglichkeit, die Provider stärker in die Pflicht zu nehmen, zu den zwingenden Inhalten des Abkommens gehöre dies aber nicht. «Das Abkommen enthält viele Kann-Bestimmungen, welche die Schweiz nicht umsetzen muss.» Der Bundesrat habe erst kürzlich in einem Bericht bekräftigt, dass das Herunterladen von geschützten Daten zum Privatgebrauch in der Schweiz legal bleiben solle.

Das IGE hat auf seiner Website übrigens einige hilfreiche Informationen und Antworten auf drängende Fragen zusammengestellt.

Dokumentation

Weiterführende Informationen