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Der Zugang zur Justiz ist nur für Reiche gewährleistet

13.09.2016

Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes, welches sowohl in der Bundesverfassung (als Rechtsweggarantie in Art. 29a BV) wie auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 EMRK) verankert ist, stellt ein zentrales Charakteristikum eines Rechtsstaates dar. Es räumt dem Einzelnen den Anspruch ein, eine ihn betreffende Streitigkeit durch eine richterliche Behörde beurteilen zu lassen. Dieses «Zugangstor» zur Justiz ist in der Schweiz im Bereich von privatrechtlichen Ansprüchen einer breiten Schicht der Bevölkerung verwehrt. Wie verschiedene Untersuchungen zum Thema zeigen, kann sich ein Zivilprozess nur leisten, wer wohlhabend ist. Für mittellose Personen und für den Mittelstand ist die heutige Situation hingegen prekär.

Zugangshürden zum Gericht

Gleich mehrere Hürden machen den Zugang zu einem Zivilgericht für die meisten Leute schwierig, und für viele zu einem untragbaren Kostenrisiko: Gerichtskosten, Parteientschädigungen, Kostenvorschüsse und Inkassorisiken.

Gerichtskosten: grosse Kantonale Unterschiede

Generell fallen in einem Zivilprozess etliche Gerichts- oder Verfahrenskosten an, für welche die klagende Partei mit einer festgelegten Beteiligung am Streitwert aufkommt. Wie hoch diese Beteiligung ist, wird in den kantonalen Tarifordnungen festgelegt, welche völlig unterschiedliche Vorgaben machen.

Herr X hat 10 Jahre lang bei der Firma Y im Kanton Thurgau gearbeitet. Nach einer heftigen Auseinandersetzung mit seinem Arbeitgeber erhält Herr X die Kündigung. Die Lohnansprüche mit Spesen und Provisionen betragen rund 100'000 Franken. Die Firma Y weigert sich, die vertraglich festgelegten Leistungen zu bezahlen. Im Gegenteil: Sie macht ihrerseits Forderungen in der Höhe von CHF 30'000 Franken geltend. Der Streitwert beträgt im vorliegenden Fall gem. Art. 94 der eidgenössischen Zivilprozessordnung (ZPO) CHF 100‘000.-. Um die ihm zustehenden Forderungen einzuholen, leitet Herr X ein Schlichtungsverfahren gemäss Art. 197 (ZPO) ein. Hierbei handelt es sich nicht um einen freiwilligen Aussöhnungsversuch; das Schlichtungsverfahren muss grundsätzlich obligatorisch durchlaufen werden.

Herr X hat Glück: Weil der Gerichtsstand Thurgau ist, muss er für das Schlichtungsverfahren einen Maximalbeitrag von CHF 400.- bezahlen. Würde derselbe Fall hingegen von einem Gericht in Basel-Stadt beurteilt, müsste Herr X mit Kosten bis zu CHF 30‘000.- rechnen.

Kommt eine Einigung im Schlichtungsverfahren nicht zustande, kann die klagende Partei ein Rechtsmittel ergreifen und den Fall durch ein erstinstanzliches Gericht beurteilen lassen. Auch im Falle eines Rechtsmittelverfahrens gestalten sich die Gerichtskosten in den einzelnen Kantonen sehr unterschiedlich. Im Kanton Thurgau muss Herr X im erstinstanzlichen Verfahren mit Kosten bis maximal CHF 4‘000.- rechnen. Spitzenreiter beim erstinstanzlichen Verfahren ist der Kanton Fribourg, der bei allen Rechtsmittelverfahren (erst- und zweitinstanzlich) einen Maximalbetrag von CHF 500‘000.- festschreibt. Die theoretisch mögliche Differenz der Beteiligung an den Gerichtskosten zwischen den Kantonen beträgt also CHF 496'000.-.

Im zweitinstanzlichen Verfahren sind die Unterschiede bei den Tarifrahmen zwischen den Kantonen ähnlich gross. Während der Kanton Waadt für den Streitwert CHF 100‘000.- einen Maximalbetrag von CHF 1'000.- vorsieht, muss im Kanton Graubünden mit Kosten bis zu CHF 30'000.- gerechnet werden. Für Herrn X im Kanton Thurgau fallen im zweitinstanzlichen Verfahren Kosten von bis zu CHF 4'500.- an.

Die Juristin Linda Weber hat in ihrer Masterarbeit die für das obenstehende Beispiel herangezogenen Tarifrahmen der kantonalen Gerichte für unterschiedliche Streitwerte zusammengestellt (vgl. Weber, S. 8 ff.). Weber bezeichnet die grossen Unterschiede zwischen den Kantonen als «stossend» und kommt zum Schluss, «dass die zum Teil schwindelerregend hohen Kosten eines Zivilprozesses in der Schweiz breite Bevölkerungsschichten faktisch vom Zugang zum Gericht und damit von der Wahrnehmung ihrer Rechte ausschliessen können».

Happige Parteientschädigungen

Zu den Verfahrenskosten kommen bei Unterliegen noch Parteientschädigungen hinzu. Diese sind in Art. 95 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 ZPO geregelt und umfassen hauptsächlich die gegnerischen Anwaltskosten. Die kantonalen Tarife differieren in diesem Bereich etwas weniger stark. Bei einem Streitwert von CHF 100‘000.- betragen die Parteientschädigungen im erstinstanzlichen Verfahren zwischen CHF 4'000.- in Graubünden und CHF 23'700.- in Bern. Herr X müsste im Kanton Thurgau bis zu CHF 9'000.- Parteientschädigung bezahlen (falls er unterliegt). Einige Kantone haben gar keine Tarife für die Parteientschädigung. Der Richter legt hiernach die Entschädigung nach Ermessen und den eingereichten Honorarnoten fest.

Problematisch ist, dass die Parteientschädigungen bei geringen Streitwerten selbst im Erfolgsfall die Kosten des eigenen Anwalts oder der eigenen Anwältin oftmals nicht in vollem Umfang decken. Das hat zur Folge, dass auch die obsiegende Partei die vereinbarten, den Tarif übersteigenden Kosten selbst zu tragen hat.

Hohe Kostenvorschüsse

Die Gerichte sind befugt, von der klagenden Partei einen Vorschuss bis zur Höhe der mutmasslichen Gerichtskosten zu verlangen. Auch hier sind die kantonalen Unterschiede gross. Weber verweist in ihrer Masterarbeit auf ein Beispiel eines Pizzakuriers in Meilen ZH, der sich von seiner Frau scheiden lassen wollte und hierfür einen Vorschuss von CHF 6000.- leisten musste. Hätte sich das Paar in Winterthur scheiden lassen, hätten sie vermutlich keine Kosten vorschiessen müssen, da dieses Bezirksgericht bei familienrechtlichen Angelegenheiten in der Regel darauf verzichtet (vgl. Weber, S. 67).

Die durchschnittlichen Gerichtskostenvorschüsse in den Kantonen Aargau, Bern, St. Gallen, Zürich betragen (vgl. Weber, S. 22):

  • Bei einem Streitwert von CHF 20‘000.-: im Kanton Aargau CHF 2‘490; im Kanton Bern CHF 3'600.-; im Kanton Zürich CHF 3'150.
  • Bei einem Streitwert von CHF 50'000.-: im Kanton Aargau CHF 4'290; im Kanton Bern CHF 6'660; im Kanton St. Gallen CHF 8'000 und im Kanton Zürich CHF 5'550.
  • Bei einem Streitwert von CHF 100‘000.-: im Kanton Aargau CHF 7‘700.-; im Kanton Bern CHF 12‘000.-; im Kanton Zürich CHF 8‘750.

Die einschlägige Bestimmung (Art. 98 ZPO) gilt seit der Einführung der einheitlichen Zivilprozessordnung 2011. Der Vorentwurf zu dieser Bestimmung war weitaus klagefreundlicher ausgestaltet, indem er einen Kostenvorschuss der klagenden Partei von höchstens der Hälfte der zu erwartenden Gerichtskosten vorsah. Dieser Vorentwurf fand in der Vernehmlassung aber keine Zustimmung - die Kantone bemängelten das durch sie zu tragende Inkassorisiko. Art. 98 ZPO führte allerdings bereits bei der Entstehung zu kontroversen Diskussionen. Kritisiert wurde, dass so Parteien, auch wenn sie ein besseres Recht besitzen, vom Klagen abgehalten würden. Somit könnten sich letzten Endes nur noch Reiche oder ganz arme Menschen einen Prozess leisten.

Der Kostenvorschuss ist gemäss Weber das gravierendste Hindernis zum Zugang zur Justiz, «weil gar nicht erst die Möglichkeit besteht, das Anliegen einer Gerichtsinstanz zu unterbreiten und so allenfalls auch in einer Vergleichsverhandlung den Konflikt zu lösen.» Die abschreckende (prohibitive) Wirkung belegt sie mit Statistiken: So sei im Kanton Zürich, wo vor dem Inkrafttreten der ZPO grundsätzlich kein Kostenvorschuss erhoben wurde, ein deutlicher Rückgang der Klageeingaben zu sehen. Weber macht aber auch auf das Versäumnis der Anwälte und Anwältinnen aufmerksam, einen Antrag auf Befreiung des Kostenvorschusses zu stellen. Dies werde in der Praxis nicht gemacht, obwohl es sich bei Art. 98 ZPO um eine «Kann-Vorschrift» handelt, welche dem Gericht einen grossen Ermessensspielraum einräumt. Dem Anwalt oder der Anwältin seit deshalb zu empfehlen, «bereits bei der Klageeinleitung einen Antrag auf Befreiung des Kostenvorschusses zu stellen und die Gründe anzugeben, weshalb von einem vollen Kostenvorschuss abzusehen sei» (vgl. Weber, S. 85).

Die Teilklage als Trick, um Kosten zu senken

Ein Trick, um Kosten zu senken, ist gemäss Martin Hablützel von schadenanwälte.ch die Teilklage nach Art. 86 ZPO. Jede Forderung lasse sich aufteilen: Auch einen Autounfall oder einen ärztlicher Kunstfehler, die zu einer viel höheren Schadenersatzforderung führten, könne man erst einmal aufteilen. Dies habe den Vorteil, dass für vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 30'000.- ein vereinfachtes Verfahren durchgeführt werden muss, welches deutlich weniger koste. Bei der Klage könne man einen Vorbehalt für den Rest der Forderung anbringen. Wobei rechtlich umstritten sei, ob es diesen Vorbehalt überhaupt brauche. Durch das Einfordern eines Teilbetrags von z.B. CHF 25'000.- schätze der Kläger ab, wie sich das Gericht dazu stelle.

Kantone schieben das Inkassorisiko auf Kläger ab

Art. 111 ZPO schreibt sinngemäss vor, dass das Gericht seine Kosten nach Abschluss des Verfahrens aus dem geleisteten Gerichskostenvorschuss deckt. Die obsiegende Klägerin, welche den Gerichtskostenvorschuss geleistet hat, muss den geleisteten Vorschuss bei der Gegenpartei eintreiben. Hat die Gegenpartei finanzielle Probleme, so bleibt die zu 100% obsiegende Klägerin im schlimmsten Fall auf den Gerichtskosten sitzen.

Es ist offensichtlich, dass diese Übertragung des Inkassorisikos vom Gericht auf die klagende Partei dazu führen kann, dass ein Kläger trotz guter Prozesschancen von der Durchsetzung eines Anspruchs absieht, namentlich wenn die Kreditwürdigkeit der Gegenpartei nicht über alle Zweifel erhaben ist. Weber fordert deshalb, dass diese Regel «dringend aus dem Gesetz entfernt wird».

Zur Illustration folgendes Beispiel: Herr Mike Muster hat eine Firma im Kanton Uri, die Occasions-Autos vertreibt. Ein unzufriedener Kunde (Herr X) reicht eine Betreibung in der Höhe von CHF 100'000.- gegen ihn ein, mit der Begründung, dass das Auto nicht den vertraglichen Vereinbarungen entsprochen habe. In Wahrheit ist die Forderung rechtlich unbegründet. Im Schweizerischen Zwangsvollstreckungsrecht kann allerdings jeder jeden betreiben; ob eine gerechtfertigte Forderung besteht, wird nicht überprüft. Weigert sich ein Gläubiger, eine ungerechtfertigte Betreibung zurückzuziehen, bleibt dem Betriebenen nur die Einreichung einer Klage auf Aufhebung der Betreibung. Im Kanton Uri fällt beim vorliegenden Streitwert ein Gerichtskostenvorschuss von CHF 12'000.- an, die Herr Muster bezahlen müsste. Weil der betreibende Herr X mittellos ist, ist der Regressanspruch nicht durchsetzbar und Herr Muster würde auf den Kosten sitzen bleiben. Er steht also vor der Wahl, ob er bereit ist, einen fünfstelligen Betrag abzuschreiben, um wieder einen «sauberen» Betreibungsregistereintrag zu haben. Der Tagesanzeiger hat in einer Umfrage unter den erstinstanzlichen Gerichten die Kostenvorschüsse für verschiedene Kantone für einen Streitwert von CHF 100'000.- ermittelt.

Unentgeltliche Rechtspflege nur mit Vorbehalt

Personen, die am Existenzminimum leben, haben einen Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung. Dies bedeutet, dass ihr die Gerichtskosten erlassen, bzw. diese vom Kanton übernommen werden. Deshalb hat sie als Klägerin auch keinen Vorschuss zu leisten.

Im Falle einer Niederlage muss sie aber der Gegenpartei eine Parteientschädigung zahlen. Diese ist von der unentgeltlichen Rechtspflege nämlich nicht erfasst (vgl. Art. 118 ZPO / Art. 122 Abs.1 lit.d). Angesichts der zum Teil hohen Anwaltskosten kann diese Bestimmung eine starke abschreckende Wirkung haben. Als Resultat kann die mittellose Partei nämlich betrieben und ihre wertvollen Gegenstände gepfändet werden, wenn sie die Anwaltskosten der Gegenpartei nicht bezahlt und über pfändbare Gegenstände verfügt. Sobald sie dazu in der Lage ist, ist die mittellose Partei zudem zur Nachzahlung der Parteientschädigung wie auch der weiteren Kosten verpflichtet (Art. 123 ZPO). Die Klägerin, welche nicht über die entsprechenden Mittel verfügt, muss sich demnach überlegen, ob sie für einen Prozess den finanziellen Ruin (bzw. das Leben am Existenzminimum auf lange Sicht) in Kauf nehmen will.

Umgekehrt wird die Gegenpartei - aufgrund des oben beschriebenen Inkassorisikos - ihre Parteikosten nicht unmittelbar einfordern können, da die unterliegende Partei (nachweislich) mittellos ist. Aus einem Prozess dieser Art gehen daher letztlich beide Parteien als «Verlierer» hervor.

Hinzu kommt, dass die Einkommenslimite zur Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung in der Schweiz sehr tief angesetzt ist. So sind alle in der Schweiz zu einem Durchschnittslohn angestellten Personen (Nettolohn von CHF 5'317.-) von der unentgeltlichen Rechtspflege ausgeschlossen (Weber, S. 72).

Dreiklassengesellschaft

Isaak Meier spricht von einer Dreiklassengesellschaft beim Zugang zur Justiz. Es gebe einerseits die vermögenden Leute. Diese könnten ohne Weiteres prozessieren und das volle Kostenrisiko eines Gerichtsverfahrens in Kauf nehmen. Sie hätten auch eine grosse Verhandlungsmacht, beispielsweise bei aussergerichtlichen Vergleichen. Die finanziell schwächere Partei habe häufig gar keine Alternative zum Vergleich, weil sie sich einen Prozess nicht leisten könne.

Als zweite Kategorie erwähnt Meier Personen, welche am Existenzminimum leben. Diese hätten zwar einen Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung, blieben aber im Falle einer Niederlage auf einer happigen Parteientschädigung von unter Umständen mehreren 10‘000 Franken sitzen, weil die Parteientschädigung von der unentgeltlichen Rechtspflege ausgeschlossen ist.

Zur dritten Gruppe gehören Personen aus dem breiten Mittelstand sowie KMU. Für diese Kategorie sei die Möglichkeit zum Prozessieren aufgrund der finanziellen Konsequenzen faktisch stark eingeschränkt.

Zurückhaltende Praxis des Bundesgerichts

Weber untersucht in ihrer Masterarbeit die Umsetzung der Rechtsweggarantie anhand konkreter Entscheide des Bundesgerichts zur Angemessenheit von Gerichtskosten (siehe etwa: BGE 139 III 334), zur Angemessenheit von Kostenvorschuss und Kaution (siehe etwa BGer 4A_680/2011) und zur Angemessenheit der Parteikostenentschädigung (siehe etwa BGer 8C_727/2014). Der Anspruch auf Zugang zum Gericht nach Art. 6 EMRK und Art. 29a BV wird gemäss Weber durch das Bundesgericht nur geprüft, wenn dies explizit verlangt wird.

Weber kritisiert die Zurückhaltung des Bundesgerichtes. Denn das Bundesgericht wäre eigentlich befugt, die anfallenden Kosten hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Einzelfall zu prüfen und je nachdem als willkürlich zu erklären. Eine solche bundesgerichtliche Praxis würde zu einer Vereinheitlichung führen und wäre gut umsetzbar. Dadurch könnte eine Senkung der Kosten und eine Zurückhaltung bei den Kostenvorschüssen veranlasst werden.

Wegweisender Entscheid zu überhöhten Gerichtsgebühren

In einem neueren Urteil hat das Bundesgericht nun seine Zurückhaltung abgelegt. Die Anwaltskanzlei «Schadenanwaelte.ch» hat als Partei eine gerichtliche Überprüfung einer vom Zürcher Regierungsrat erlassenen Verordnung verlangt. Dieses Instrument der sogenannten abstrakten Normenkontrolle ist ein fundamentales Rechtsmittel einer demokratischen Rechtsordnung und sie soll ermöglichen, dass Verordnungen bereits vor deren Inkrafttreten auf ihre Rechtmässigkeit überprüft werden. Nachdem das Verwaltungsgericht die Verordnung als gesetzeskonform erachtete und die Beschwerde abwies, hat es den Beschwerdeführern Fr. 12‘000.- Gerichtsgebühren auferlegt.

Daraufhin haben sich schadenanwaelte.ch beim Bundesgericht wegen der Höhe der Gerichtsgebühren beschwert und mit Urteil vom 12. Mai 2016 Recht bekommen. Das Bundesgericht gewährt zwar dem kantonalen Gericht bei der Bemessung der Gerichtsgebühr einen grossen Ermessensspielraum und schreitet bloss ein, sofern ein offensichtliches Missverhältnis zwischen der Gebühr und der «Leistung» des Gerichts besteht (Erw. 3.2).

Das Bundesgericht anerkannte in seinem Entscheid, dass sich ein erhöhter Aufwand für das Gericht daraus ergab, dass statt in Dreier- in Fünferbesetzung entschieden wurde. Dies rechtfertige indessen nur insofern eine Erhöhung der Gerichtsgebühr, als daraus auch ein erhöhter Aufwand resultiere. Weiter sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, bei abstrakten Normenkontrollen aufgrund einer präsumierten grösseren politischen Bedeutung oder von weitgehenden Auswirkungen solcher Verfahren die Gerichtskosten pauschal höher anzusetzen (E 3.5). Das Bundesgericht erachtet die Gebühr von Fr. 12‘000.- als klar übersetzt und damit als willkürlich (Erw. 3.5).

Massnahmen für einen besseren Rechtsschutz

Als Massnahmen zur Linderung der Kostenbelastung und damit zu einem besseren Rechtsschutz im Schweizer Zivilprozess wird erstens eine Vereinheitlichung des Kostenrahmens sowie eine signifikante Herabsetzung der Gerichtskosten gefordert. Hierbei müsste man gemäss Haberbeck die Gerichtskosten nicht ganz abschaffen (wie beispielsweise in Frankreich und Luxemburg), «aber man sollte doch so weit gehen, dass auch eine durchschnittliche mittelständische Familie in der Lage ist, einen Anspruch mit höherem Streitwert nötigenfalls durch drei Instanzen hindurch prozessual durchzusetzen». Haberbeck plädiert für einen Maximalbetrag von einigen Tausend Franken für einen gesamten, allenfalls mehrstufigen Prozess.

Als zweite Massnahme wird die Abschaffung oder zumindest eine massive Reduktion des Gerichtskostenvorschusses gefordert. Die Erhebung einer Art Einschreibegebühr, die sich im Bereich von einigen Hundert Franken bewegt, wird allgemein als unproblematisch erachtet. Laut Meier/Schindler sollte der Kostenvorschuss ganz abgeschafft werden. Meier/Schindler könnten sich aber auch ein System vorstellen, bei welchem zu Beginn nur die Kosten eingezogen werden, die im Vergleichsfall zu entrichten wären.

Drittens muss der in Art. 111 ZPO vorgesehene Transfer des Inkassorisikos auf den erfolgreichen Kläger abgeschafft werden. Dass ein Gläubiger trotz Obsiegen auf den Prozesskosten sitzen bleibt, ist rechtsstaatlich unhaltbar.

Viertens sei im Bereich der unentgeltlichen Rechtspflege der Ausschluss der Parteientschädigung (Art. 118 ZPO) aufzuheben. Zudem sei die Schwelle zur Mittellosigkeit und damit zur Berechtigung auf unentgeltliche Rechtspflege herabzusetzen.

Kommentar

Die momentane Rechtslage zur Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche in der Schweiz steht in krassem Widerspruch zur verfassungsmässigen Rechtsweggarantie gem. Art. 29a BV sowie zum Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK. Von einem effektiven Rechtsschutz kann keine Rede sein, wenn die Rechtsdurchsetzung für einen Grossteil der Bevölkerung unerschwinglich ist.

Zum Abbau der beschriebenen Prozesshürden gibt es kein Patentrezept. Verschiedene Autoren haben aber aufgezeigt, welche konkreten Massnahmen zu ergreifen sind, damit der  Zugang zur Justiz nicht mehr nur auf dem Papier gewährleistet ist. Die Behörden und Politiker/innen sind dringend aufgefordert, diese rechtlichen Anpassungen vorzunehmen.

Die Kostenfrage wurde bereits bei den Arbeiten an der ZPO kontrovers diskutiert. Die Kantone brachten dabei klar zum Ausdruck, dass man die Justiz nicht zusätzlich stärker subventionieren wolle und es nicht primär Aufgabe des Staates sei, die Lösung privater Streitigkeiten zu finanzieren. Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass die Verwirklichung eines effektiven Rechtsschutzes einen zentralen Pfeiler im Rechtsstaat darstellt, dessen Sinn und Zweck unter anderem darin liegt, die Bürgerinnen und Bürger davon abzuhalten, ihre Ansprüche auf dem Wege der Selbstjustiz gewaltsam durchzusetzen. Wenn der Staat diesen Service public aus finanziellen Gründen aushöhlt, gefährdet dies über kurz oder lang den Rechtsfrieden.