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Linnekogel vs. Schweiz

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK
Urteil vom 1. März 2005 (französisch, pdf 15 S.)

Zusammenfassung:

Im September 1997 wurde der Beschwerdeführer durch die Schweizerische Bundespolizei informiert, dass aus einer an ihn adressierten Postsendung zwei CDs und drei Singles beschlagnahmt worden seien, weil die betreffenden Tonträger Gewalt verherrlichten und rechtsextremistische Werbung enthielten. Die Beschlagnahmung erfolgte gestützt auf den damals noch in Kraft stehenden Bundesratsbeschluss betreffend staatsgefährliches Propagandamaterial (dieser ist auf den 1. Juli 1998 ausser Kraft getreten). Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdeführer erfolglos Aufsichtsbeschwerde ans Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement. Im Sommer 1998 verfügte der Bundesrat die Einziehung und Vernichtung der beschlagnahmten Tonträger. Gegen diese Verfügung stand kein Rechtsmittel offen (nach Art. 98 lit. a und abis OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide des Bundesrates lediglich dann zulässig, wenn es sich um Verfügungen „auf dem Gebiete des Dienstverhältnisses von Bundespersonal, soweit das Bundesrecht vorsieht, dass der Bundesrat als erste Instanz verfügt“ bzw. Verfügungen „betreffend die Amtsenthebung von Mitgliedern von Organen der Schweizerischen Nationalbank“ handelt).
In seiner Strassburger Eingabe machte der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK geltend, da er keinen Zugang zu einem Gericht gehabt habe. Der EGMR stützte diese Ansicht und kam zum Schluss, dass eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK gegeben sei. Im Zentrum sowohl der Eingaben der Schweizerischen Behörden als auch der Erwägungen des EGMR stand die Frage, ob die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Einziehungsentscheid des Bundesrates vom Bundesgericht nicht doch offen gestanden hätte. In ihrer Stellungnahme hatte die Schweiz nämlich geltend gemacht, dass das Bundesgericht in einem ähnlich gelagerten Fall auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestützt auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und entgegen Art. 98 lit. a OG eingetreten sei (BGE 125 II 417; Einziehung von Propagandamaterial der Kurdischen Arbeiterpartei). Da der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht ergriffen habe, habe er den innerstaatlichen Instanzenzug nicht ausgeschöpft und somit sei die Strassburger Beschwerde für unzulässig zu erklären. Diese Sicht der Dinge wurde vom EGMR jedoch zurückgewiesen. Im Zeitpunkt des Einziehungsentscheides – im Sommer 1998 – habe das Bundesgericht noch nicht über den Parallelfall geurteilt gehabt; dieser Entscheid ist erst am 26. Juli 1999 gefällt worden. Somit habe im Spätsommer 1998 gegen den Bundesratsentscheid kein Rechtsmittel an ein Gericht bestanden und Art. 6 Abs. 1 EMRK sei verletzt worden.