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D.B. und weitere (2022)

08.12.2022

Beschwerden Nr. 58817/15 und 58252/15

Verletzung von Artikel 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens eines von einer Leihmutter geborenen Kindes)
Keine Verletzung von Artikel 8 EMRK (Recht auf Achtung des Familienlebens des nicht-genetischen und des genetischen Vaters)  

In seinem Urteil vom 22. November 2022 stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fest, dass die Schweiz gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstossen hat. Dies, weil es für den Beschwerdeführer über einen Zeitraum von über sieben Jahren absolut unmöglich war, die Beziehung zwischen ihm und seinem nicht genetischen Kind rechtlich anerkennen zu lassen. In der Schweiz war vor 2018 die Adoption nämlich nur verheirateten Paaren erlaubt, weshalb der Beschwerdeführer – welcher in einer gleichgeschlechtlichen eingetragenen Partnerschaft lebt – nicht als Vater des in den USA durch Leihmutterschaft geborenen Kindes anerkannt werden konnte. Die Verbindung zwischen dem Kind und dem genetischen Vater wurde rechtlich anerkannt, die Verbindung zwischen dem Kind und dem nicht-genetischen Vater hingegen nicht. Dem Kind wurde somit sieben Jahre lang die rechtliche Anerkennung des Kindschaftsverhältnisses zu seinem nicht-genetischen Vater vorenthalten. Der Gerichtshof stellte nun fest, dass dies einen unverhältnismässigen Eingriff in das Recht des Kindes auf Achtung seines Privatlebens nach Artikel 8 EMRK darstellt.

Der Gerichtshof urteilte gleichzeitig, dass Artikel 8 EMRK hinsichtlich des Rechts auf Achtung des Familienlebens des nicht-genetischen und des genetischen Vaters nicht verletzt wurde. Der Gerichtshof bestätigte die Ansicht des Bundesgerichts, wonach eine Leihmutterschaft in Kalifornien ein in der Schweiz gültiges Verbot umgeht und somit einen Gesetzesbetrug darstellt. Zudem schätzt der Gerichtshof die Nichtanerkennung der Geburtsurkunde durch die Schweizer Behörden nicht als wesentliche Beeinträchtigung des Familienlebens in der Praxis ein. Die dadurch verursachten Schwierigkeiten stünden nicht im Wiederspruch zur Einhaltung von Artikel 8 der EMRK.