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Schikanen gegen abgewiesene Asylsuchende auf Kosten der Menschenwürde

20.03.2017

Seit dem Sommer 2016 fährt der Kanton Zürich einen härteren Kurs gegen abgewiesene Asylsuchende, welche Nothilfe beziehen. Er verhängt seither sehr viele sogenannte Eingrenzungen, also verbindliche Auflagen, sich nur noch innerhalb einer Gemeinde- oder Bezirksgrenze zu bewegen. Nachdem Gerichte einige dieser Verfügungen relativiert oder kassiert haben, hat sich die Zürcher Sicherheitsdirektion Anfang 2017 eine neue Schikane einfallen lassen, nämlich eine täglich zweimalige Anwesenheitspflicht der Nothilfebezüger/innen als Bedingung für die Auszahlung der Nothilfe. Darf das Grundrecht auf Nothilfe an erschwerende Bedingungen geknüpft werden, welche die Bewegungsfreiheit der Betroffenen massiv einschränken?

Verschärftes Vorgehen der Zürcher Sicherheitsdirektion

Im August 2016 wurde bekannt, dass das Zürcher Migrationsamt seit dem Frühsommer zahlreichen abgewiesenen Asylsuchenden verbot, das Gemeindegebiet ihrer Nothilfeunterkunft zu verlassen - mit Ausnahme von zwingenden Reisen, für die eine vorgängig schriftliche Bewilligung einzuholen ist.

Anlässlich einer Pressekonferenz der Zürcher Sicherheitsdirektion wurde mitgeteilt, dass sich derzeit 658 abgewiesene Asylsuchende im Kanton Zürich aufhalten, wovon 315 in einer kantonalen Notunterkunft, 177 in einer Unterkunft in einer Zürcher Gemeinde (v.a. Behinderte, Kranke und Familien), 121 im Gefängnis und 43 in einem kantonalen Durchgangszentrum. Zur Zeit sind 153 der 315 Personen in einer Notunterkunft auf ein bestimmtes Gebiet eingegrenzt, wovon 54 zuvor in irgendeiner Weise straffällig geworden sind (vgl. TA vom 17.3.17). Bei den übrigen Betroffenen soll es sich nach Auskunft der Behörden um Personen handeln, die rasch aus der Schweiz ausreisen könnten, wenn sie nur wollten. Die Eingrenzungen zielen offensichtlich darauf ab, Druck auf die abgewiesenen Asylsuchenden auszuüben und sie damit zu einer Ausreise zu bewegen.

Seit Sommer 2016 wurden insgesamt 368 Eingrenzungen verfügt, wovon 144 angefochten wurden, 38 davon mit Erfolg (vgl. TA vom 17.3.2017). Die vom Gericht aufgehobenen Verfügungen wurden vom Kanton Zürich weitergezogen.

Der Bund macht Druck

Der Bund fordert schon seit längerem ein konsequenteres Vorgehen der Kantone bei der Umsetzung des Wegweisungsvollzugs. Kantonen, die ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, können die Bundesbeiträge gekürzt werden; sogar deren Rückforderung ist möglich.

Ob diese Haltung des Bundes hilft, die eigentlichen Ursachen der Probleme zu lösen, ist sehr zweifelhaft. Asylsuchende sind Menschen in Ausnahmesituationen mit einer ungewissen Zukunft und schon deshalb von allen Seiten unter Druck. Die ständige Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen wird viele Betroffene, die subjektiv keine Ausreiseoption haben, auch nicht dazu bringen, die Schweiz zu verlassen. Viele der abgewiesenen Asylsuchenden bevorzugen es, unter menschenrechtlich problematischen Bedingungen weiter in der Schweiz zu bleiben.

Gesetzliche Grundlage

Beschränkungen der Bewegungsfreiheit von abgewiesenen Asylsuchenden werden in der Regel als Eingrenzung oder Ausgrenzung nach Art. 74 AuG des Ausländergesetzes verfügt. Demnach kann die zuständige Behörde einer Person unter bestimmten Voraussetzungen die Auflage erteilen, ein definiertes Gebiet nicht zu verlassen oder zu betreten. Solche Verfügungen können zum einen gegen jeden Asylsuchenden oder vorläufig Aufgenommenen angeordnet werden, gegen den sich ein Verdacht begründen lässt, er könne die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören oder gefährden. Zum andern richten sich solche Verfügungen gegen ausländische Personen mit einem rechtskräftigen Weg- oder Ausweisungsbescheid und bei denen befürchtet wird, dass die Betroffenen nicht fristgerecht ausreisen. Ob und wie dieses repressive Instrumentarium angewandt wird, obliegt den Kantonen.

Das Zürcher Migrationsamt stützt sich bei den massenhaften Eingrenzungen auf eine Weisung über Rayonverbote, die am 1. Juni 2016 in Kraft getreten ist und welche sich ihrerseits hauptsächlich auf den Art. 74 AuG abstützt.

Rügen des Zürcher Verwaltungsgerichtes

Wie erwähnt waren bisher 38 der 144 Rekurse gegen Eingrenzungsverfügungen erfolgreich. Hier zwei Beispiele:

Das Zürcher Verwaltungsgericht pfiff das Migrationsamt erstmals im Oktober 2016 teilweise zurück: Das Migrationsamt hatte angeordnet, dass ein abgewiesener Mann seine Wohngemeinde während zweier Jahre nicht mehr verlassen dürfe. Das Gericht entschied, die Eingrenzung auf das Gebiet der Gemeinde sei unverhältnismässig, da der Mann nie untergetaucht und für die Behörden stets erreichbar gewesen sei. Das Rayon sei deshalb auf den Bezirk Dietikon und auf den Kreis 9 der Stadt Zürich zu vergrössern. Die Sicherheitsdirektion passte sodann ihre Praxis an: Eingrenzungen auf die Wohngemeinde allein wurden nur noch im Fall von straffällig gewordenen Weggewiesenen verfügt.

Im Februar 2017 erhielt das Migrationsamt eine neue Rüge. Das Gericht stufte die Eingrenzung eines Äthiopiers als rechtswidrig ein. Die Anordnung dieser Massnahme sei unzulässig, wenn sich der Vollzug der Ausschaffung als unmöglich erweise. Äthiopische Staatsangehörige können aufgrund der Haltung der äthiopischen Behörden nicht zwangsweise ausgeschafft werden. Eine Ausschaffung ist bei dieser Konstellation unmöglich - die Eingrenzung damit unzulässig. Der Kanton Zürich hat diesen Fall nun ans Bundesgericht gezogen.

Anwesenheitskontrollen

Im Februar 2017 führte eine weitere Massnahme des Migrationsamtes Zürich erneut zu hitzigen Diskussionen und Protesten. Neu wird im Kanton Zürich die Auszahlung von Nothilfegeldern an die Bedingung geknüpft, dass die Person sich täglich morgens und abends ihre Anwesenheit schriftlich bestätigen lässt. Dieses Prozedere soll sicherstellen, dass die Nothilfebeziehenden nicht anderweitig Unterschlupf finden. Gemäss einem Bericht der NZZ vom 5. März 2017 wurde dieses Regime inzwischen zu einem expliziten Übernachtungszwang verschärft.

Petition gegen die Schikanen

Aus Sicht zahlreicher Organisationen handelt es sich bei den Eingrenzungen und den Anwesenheitskontrollen um systematische Schikanen von Nothilfebeziehenden, welche deren Grundrechte verletzten. In einer gegen die kantonale Asylpolitik lancierten Petition wird der zuständige Zürcher Regierungsrat Mario Fehr aufgefordert, alle verfügten Eingrenzungen und den Anwesenheitszwang der Asylsuchenden in ihren Unterkünften aufzuheben. Der 18. März 2017 wurde zum Aktionstag «gegen die Bunker- und Eingrenzungspolitik» ausgerufen.

Das Recht auf Bewegungsfreiheit

Die Bundesverfassung der Schweiz garantiert in Art. 10 Abs. 2 jedem Menschen das Recht auf persönliche Freiheit. Neben der körperlichen und geistigen Unversehrtheit wird darunter auch ausdrücklich die Bewegungsfreiheit verstanden. Die in der Bundesverfassung festgehaltenen Grundrechte gelten für jeden Menschen – unabhängig davon, ob sich eine Person rechtmässig in der Schweiz aufhält oder nicht.

Die Praxis von Behörden, die Bewegungsfreiheit von abgewiesenen Asylsuchenden auf das Gebiet einer Gemeinde zu beschränken, stellt ebenso eine starke Einschränkung dieses Grundrechts dar wie der regelmässige Anwesenheitszwang im Nothilfezentrum. Die betroffenen Nothilfebezüger/innen können sich räumlich nur in einem engen Gebiet bewegen. Soziale Kontakte ausserhalb der Notunterkünfte werden dadurch teilweise verunmöglicht. Dies wird von vielen Seiten als unverhältnismässige Verletzung des Grundrechts auf Bewegungsfreiheit verurteilt.

Freiheitsbeschränkung oder Freiheitsentzug?

Allerdings muss man einräumen, dass die Rechtsstellung von abgewiesenen Asylsuchenden ohnehin sehr schwach ist. Nach dem geltendem Recht kann sehr leicht eine Administrativhaft gegen sie verhängt werden. Sind die gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt, so ist eine Eingrenzung zweifellos als das mildere Zwangsmittel vorzuziehen.

Denn formell gesehen handelt es sich bei einer Eingrenzung nach Art. 74 AuG um eine Freiheitsbeschränkung und nicht um einen Freiheitsentzug. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Freiheitsbeschränkung sind weniger weitgehend als bei einem Freiheitsentzug. Allerdings zeigen einzelne Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass bei einer intensiven Freiheitsbeschränkung im Einzelfall die Grenze hin zu einem Freiheitsentzug überschritten werden kann. Im Zweifelsfall muss also der Einzelfall geprüft werden. Ein verkappter Freiheitsentzug ist auf jeden Fall eine Menschenrechtsverletzung.

Rechtsgutachten der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus

Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus EKR hat am 27. Feb. 2017  ein Rechtsgutachten des Kompetenzzemtrums Menschenrechte der Universität Zürich veröffentlicht. Dieses beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit es legitim ist, wenn die Behörden die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden in Form von Ein- oder Ausgrenzungen einschränken. Die Antworten auf diese Frage sind zwar teilweise auch für abgewiesene Asylsuchende relevant, welche Nothilfe beziehen. Doch sie können grösstenteils nicht direkt auf diese Gruppe übertragen werden, weil die gesetzliche Grundlage von Art. 74 Buchst. b. eine im Vergleich zu den Asylsuchenden im Verfahren andere rechtliche Ausgangslage schafft. Klar ist, dass Ein- oder Ausgrenzungen in keinem Falle als Kollektivmassnahme verhängt werden dürfen. Doch vor diesem Fehler hütet sich ja auch der Kanton Zürich.

Kommentar humanrights.ch

Es sieht alles danach aus, dass die Eingrenzungsverfügungen des Kantons Zürich gegen die abgewiesenen Asylsuchenden nicht prinzipiell beanstandet werden können, sondern nur im Einzelfall durch die Prüfung der Verhältnismässigkeit. Zwar ist dies aufwändig, aber nicht wirkungslos. Immerhin ein Viertel der Rekurse waren bisher erfolgreich.

Ein grundsätzliches Problem hingegen ist die Meldepflicht bzw. gar ein Übernachtungszwang in den Nothilfeunterkünften als Voraussetzung zur Ausbezahlung der Nothilfe. Diese Auflage bedeutet einen massiven Eingriff in die persönliche Freiheit, für den die gesetzliche Grundlage fehlt. Gleichzeitig hat das Bundesgericht bereits im Jahre 2005 in einem wegweisenden Entscheid unmissverständlich festgehalten, dass Auflagen für den Bezug von Nothilfe gemäss Art. 12 BV nur dann zulässig sind, wenn sie der Beseitigung der Notlage dienen (vgl. BGE 131 I 166 vom 18. März 2005). Dies trifft auf die Meldepflicht keineswegs zu. Also handelt es sich bei der Meldepflicht um eine unzulässige Auflage.

Auch die Eingrenzungen sind gleichwohl ein Skandal, aus zwei Gründen. Erstens rechtspolitisch: Das Ausländerrecht ist im Umgang mit Menschen, die ihren rechtmässigen Aufenthalt verloren haben, dermassen repressiv, dass es praktisch im gesetzlich geschützten Belieben der kantonalen Behörden steht, abgewiesene Asylsuchende, die Nothilfe beziehen, in ihrer bereits extrem schlechten Lebenslage durch Eingrenzungen noch mehr zu drangsalieren. Zweitens ist es skandalös, wenn der verantwortliche SP-Regierungsrat offenbar bewusst zu diesem Instrumentarium greift, um – so wenigstens die naheliegende Vermutung – sein Amt beim Wahlvolk auf der rechten Seite besser abzusichern. Er muss sich den Vorwurf gefallen lassen, den Grundrechtsschutz einer der schwächsten gesellschaftlichen Gruppe in der Schweiz wissentlich maximal herunterzuschrauben, um auf Kosten der Menschenwürde der Betroffenen politisch zu punkten.