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Internierung von Asylsuchenden in der Schweiz

23.02.2018

Unter welchen Voraussetzungen dürfen Asylsuchende interniert werden? Diese Frage wird gegenwärtig in Europa und auch in der Schweiz heftig diskutiert. Eine Studie des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR) vom August 2017 zeigt nun auf, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen eine Internierung von Asylsuchenden in der Schweiz möglich ist und wie wichtig in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen Freiheitsentzug und Freiheitsbeschränkung ist.

Ausgangslage

Im März 2017 wurde in Ungarn ein Gesetz verabschiedet, welches die Internierung fast aller Flüchtlinge während der Dauer des Asylverfahrens vorsieht. Betroffen von der neuen Regelung sind auch Jugendliche ab 14 Jahren und Familien. Auch in der Schweiz gab es immer wieder Vorstösse in diese Richtung, und angesichts der geplanten Bundesasylzentren ist die Frage nach den rechtlichen Rahmenbedingungen auch aktuell von grossem Interesse.

Auf der Ebene des Bundes sind drei unterschiedliche Formen der Unterbringung für Asylsuchende geplant: die «normalen» Verfahrenszentren, in welchen Asylgesuche eingereicht, geprüft und entschieden werden, Ausreisezentren für Personen im Dublin-Verfahren und solche mit einem negativen Asylentscheid und schliesslich die «besonderen Zentren»: diese sind für die Unterbringung von Asylsuchenden konzipiert, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gefährden oder den Betrieb der normalen Verfahrenszentren stören.

Rechtliche Grundlagen

Das SKMR untersucht in seiner Studie vom August 2017 zunächst die Frage, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen eine Unterbringung in geschlossenen Unterkünften im Migrations- und Asylkontext überhaupt möglich ist. In einem zweiten Schritt wird die Frage erörtert, wann bestimmte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit als Freiheitsbeschränkung oder bereits als Freiheitsentzug zu qualifizieren sind.

Menschenrechtlicher Schutz vor Freiheitsentzug

Neben dem universellen Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit (Art. 9 UNO-Pakt II) enthält auf regionaler Ebene die EMRK in Art. 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) einen abschliessenden Katalog der zulässigen Haftgründe sowie die Rechte der inhaftierten Personen. Im Migrationskontext relevant sind dabei lediglich die Haftgründe der Verhinderung der unerlaubten Einreise (Art. 5 Abs. 1 lit. f Variante 1 EMRK), die Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung (Art. 5 Abs. 1 lit b Variante 2 EMRK) und die Durchführung eines Ausweisungsverfahrens (Art. 5 Abs. 1 lit. f Variante 2 EMRK).

Auf landesrechtlicher Ebene ist der Freiheitsentzug in Art. 31 der Bundesverfassung normiert. Diese Bestimmung enthält im Gegensatz zur Art. 5 EMRK keine abschliessende Auflistung der zulässigen Haftgründe. Art. 31 BV wird aber in der Praxis im Lichte von Art. 5 EMRK ausgelegt und somit sind auch verfassungsrechtlich im Migrationskontext keine anderen Haftgründe als die drei oben genannten zulässig. Da ein Freiheitsentzug immer auch einen schweren Eingriff in die Bewegungsfreiheit darstellt, ist auf Ebene des Verfassungsrechts zudem auch der Schutzbereich von Art. 10 Abs. 2 BV betroffen.

Die Rechtmässigkeit eines Freiheitsentzugs erfordert - nebst dem Vorliegen eines zulässigen Haftgrundes – auch die Abstützung auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage. Diese muss in einem Gesetz im formellen Sinne verankert und klar formuliert sein. Eine Verordnung oder gar ein Reglement sind deshalb als gesetzliche Grundlage unzureichend. Ein Freiheitsentzug ist ausserdem nur dann zulässig, wenn er im Einzelfall in Übereinstimmung mit dem gesetzlich vorgeschriebenen innerstaatlichen Verfahren und nicht willkürlich erfolgt. Letztendlich muss der Entzug der Freiheit auch den Anfordernissen der Verhältnismässigkeit gemäss Art. 36 Abs. 3 BV entsprechen.

Neben diesen verbindlichen Rechtsvorschriften existieren auch zahlreiche Vorgaben internationaler Organe (Soft-Law), welche sich mit der Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden und Flüchtlingen beschäftigen (vgl. Sie hierzu unseren Artikel auf humanrights.ch).

Menschenrechtlicher Schutz vor Freiheitsbeschränkung

Der menschenrechtliche Schutz der Bewegungsfreiheit ist in Art. 12 UNO-Pakt II verbrieft. Die Schweiz hat zu dieser Bestimmung allerdings einen Vorbehalt angebracht, welcher den Vorrang des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländern (AuG) betr. Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen enthält.

Im europäischen Kontext wird die Bewegungsfreiheit durch das vierte Zusatzprotokoll zur EMRK geschützt, welches allerdings von der Schweiz nicht ratifiziert wurde. Dies hat zur Konsequenz, dass Verletzungen der Bewegungsfreiheit in der Schweiz nicht mittels Beschwerde an den EGMR anfechtbar sind.

Die Bundesverfassung schützt die Bewegungsfreiheit als Teilgehalt der persönlichen Freiheit in Art. 10 Abs. 2 BV. Eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist nur unter Einhaltung der Voraussetzungen von Art. 36 BV möglich und muss sich deshalb auf eine gesetzliche Grundlage abstützen können, ein öffentliches Interesse verfolgen und verhältnismässig sein.

Zulässigkeit der Haftgründe im Asylkontext

In welchen Situationen die zulässigen Haftgründe gemäss Art. 5 EMRK den Freiheitsentzug bei Asylsuchenden zu rechtfertigen vermögen, wird im Folgenden näher beleuchtet. Grundsätzlich kommen im Asylkontext wie gesagt nur die Haftgründe der Verhinderung der unerlaubten Einreise, die Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung und die Durchführung eines Ausweisungsverfahrens gemäss Art. 5 Abs. 1 EMRK in Betracht.

Verhinderung der unerlaubten Einreise

Die Inhaftierung von Asylsuchenden zur Verhinderung der unerlaubten Einreise ist in Europa weit verbreitet und wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) grundsätzlich als legitimer Haftgrund anerkannt.

Unbestritten ist gemäss der Studie des SKMR, dass es sich bei solchen Festhaltungen an den Grenzen oder in der Transitzone von Flughäfen um einen Freiheitsentzug im Sinne von Art. 5 EMRK handelt. Fraglich ist allerdings, welche Situationen eine „unerlaubte Einreise“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen. Beispielsweise kommen Asylsuchende in der Regel ohne gültige Einreisebewilligung in der Schweiz an. Die Studie des SKMR hält diesbezüglich fest, dass ein Vertragsstaat, welcher für die Dauer des Asylverfahrens ein Aufenthaltsrecht gewährt, sich nicht mehr auf die Verhinderung der unerlaubten Einreise berufen kann, um bereits unerlaubt eingereiste Asylsuchende zu inhaftieren. Gemäss Art. 42 des Asylgesetzes gewährt die Schweiz bis zum Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz. Eine Inhaftierung von Asylsuchenden - gestützt auf den Haftgrund der Verhinderung der unerlaubten Einreise - ist somit gemäss der Studie nach dem Überschreiten der Landesgrenzen nicht mehr zulässig.

Gleiches gilt grundsätzlich auch für den Freiheitsentzug in den sog. Transitzentren am Flughafen Zürich und Genf. Die Studie kommt zum Schluss, dass der Haftgrund der Verhinderung der unerlaubten Einreise auch in diesen Situationen entfällt, sobald die betroffene Person die Passkontrolle durchquert oder von der Transitzone in die öffentliche Zone (bei ankommenden Flügen aus einem Schengen-Land) gelangt. Das Bundesverwaltungsgericht und gewisse Teile der Literatur sind allerdings der Ansicht, dass auch nach dem Grenzübertritt ein Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise möglich ist, wenn der räumliche und zeitliche Abstand nicht zu gross ist.

Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung

Der Haftgrund der Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. b EMRK kann angerufen werden, um eine kurze Inhaftierung zu Beginn des Asylverfahrens zu rechtfertigen. Denkbar wäre beispielsweise eine kurze Inhaftierung zur Dokumentation der Einreise, zur Aufnahme des Asylgesuchs oder zur Feststellung der Identität, sofern diese unbekannt ist. Um die Mitwirkungspflichten der Asylsuchenden auf diese Weise durchzusetzen, muss die asylsuchende Person u.a. «bereits die Möglichkeit gehabt haben, der gesetzlichen Pflicht freiwillig nachzukommen». Eine routinemässige Inhaftierung aller Asylsuchenden zu Beginn des Asylverfahrens ist somit gemäss der Studie des SKMR rechtswidrig (vgl. S. 22 ff.).

Weiter stellt sich die Frage, ob der Haftgrund gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. b EMRK auch während des Aufenthalts von Asylsuchenden in der Schweiz anwendbar ist. Von besonderem Interesse ist diese Frage im Zusammenhang mit Asylsuchenden, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gefährden (vgl. Sie hierzu unseren Artikel auf humanrights.ch). Das SKMR kommt diesbezüglich zum Schluss, dass das Asylgesetz keine ausreichenden Bestimmungen enthält, um Asylsuchenden alleine aufgrund störenden Verhaltens die Freiheit zu entziehen. Massnahmen gegen solche Asylsuchende dürfen – unter Einhaltung der Eingriffsvoraussetzungen von Art. 36 BV – lediglich freiheitsbeschränkender Natur sein und nicht die Schwelle zum Freiheitsentzug überschreiten (vgl. S. 25 f.).

Auch die Vorbereitungshaft (Art. 75 Abs. 1 lit. b AuG) im Rahmen der Missachtung eines Rayonverbots ist gemäss der Studie des SKMR «nicht unproblematisch» (vgl. S. 26).

Der Haftgrund der Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung ist ebenfalls bei der sogenannten Durchsetzungshaft gemäss Art. 78 AuG massgebend. Letztere wird angeordnet, wenn eine asylsuchende Person nach einer formalen Wegweisungsverfügung die Schweiz nicht verlässt und die Wegweisung aufgrund des Verhaltens der betroffenen Person nicht vollzogen werden kann. Mit der Durchsetzungshaft soll die Person dazu veranlasst werden, der Wegweisung Folge zu leisten. Gemäss der Rechtsprechung des EGMR ist eine solche Beugehaft nur dann zulässig, wenn sie von sehr kurzer Dauer ist und keinen Strafcharakter aufweist. Die Verhältnismässigkeit der bis zu 18 Monate dauernden Durchsetzungshaft (Art. 79 Abs. 2 AuG) wird in der Studie des SKMR denn auch bezweifelt (vgl. S. 26 f.).

Durchführung eines Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahrens

Die Inhaftierung von Asylsuchenden zum Zwecke der Durchführung eines Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahrens ist in Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK verankert. Auch bei diesem Haftgrund muss das Prinzip der Verhältnismässigkeit gewahrt werden. Insbesondere müssen mildere Alternativen zur Haft in Betracht gezogen werden. Gemäss dem SKMR muss der Vollzug der Ausweisung oder Auslieferung ausserdem konkret möglich sein. Ansonsten muss die Haft aufgrund der fehlenden Verhältnismässigkeit beendet werden.

Abgrenzung zwischen Freiheitsentzug und Freiheitsbeschränkung

Wie bereits dargestellt, kann der Freiheitsentzug im Rahmen des Asylverfahrens nur in einigen wenigen Situationen rechtmässig erfolgen. Umso wichtiger ist deshalb die Abgrenzung zwischen solchen Massnahmen, welche die Freiheit «lediglich» beschränken, und solchen welche einen Freiheitsentzug im Sinne von Art. 5 Abs. 1 EMRK darstellen. Es bedarf also konkreter Kriterien, welche für eine Abgrenzung zwischen Freiheitsentzug und –beschränkung herangezogen werden können.

Grundsätzlich unterscheiden sich der Freiheitsentzug und die Freiheitsbeschränkung lediglich hinsichtlich der Intensität des konkreten Eingriffs. Irrelevant ist dabei die konkrete Bezeichnung der Massnahme und in welchem Verfahren sie angeordnet wird. Gemäss EGMR beurteilt sich die Unterscheidung im Einzelfall aufgrund der Art (räumliche Dimension), Dauer, Wirkung und der Modalitäten der angeordneten Massnahme. Je beengter und haftähnlicher eine erzwungene Unterbringungsform ausgestaltet ist, umso eher ist von einem Freiheitsentzug auszugehen. Lässt sich aufgrund der räumlichen und zeitlichen Dimension die Abgrenzung zwischen Freiheitsentzug und –beschränkung nicht zweifelsfrei vornehmen, müssen weitere Prüfelemente hinzugezogen werden. In Frage kommen beispielsweise das Vorliegen von Meldepflichten, das Ausmass der Überwachung und die Möglichkeit zur Pflege sozialer Kontakte.

Schlussfolgerungen betreffend der geplanten Bundesasylzentren

Grundsätzlich gilt für alle drei Varianten der geplanten Bundesasylzentren, dass deren Ausgestaltung die Schwelle zum Freiheitsentzug nicht überschreiten darf.

Bezüglich der Unterbringung in einem «normalen» Verfahrenszentrum kommt die Studie des SKMR zum Schluss, dass diese Unterbringungsform «bei Gewährleistung des täglichen Ausgangs und bei Fehlen weiterer Einschränkungen das Intensitätsniveau eines Freiheitsentzugs trotz der relativ langen Einschlusszeiten [17.00 – 09.00] in aller Regel nicht erreicht und somit als Freiheitsbeschränkung zu qualifizieren ist.» Somit beurteilt sich die Rechtmässigkeit dieser Unterbringungsform anhand der in Art. 36 BV verankerten Eingriffsvoraussetzungen bei Grundrechtseingriffen. Eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit (beispielsweise eine nächtliche Ausgangssperre) muss demnach verhältnismässig ausgestaltet sein (gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit). Ansonsten erfolgt die Einschränkung der Bewegungsfreiheit rechtswidrig (Art. 10 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 36 BV).

Bei der Anordnung von zusätzlichen Massnahmen (beispielsweise ein Rayonverbot) dürfte gemäss dem SKMR die Schwelle zum Freiheitsentzug allerdings überschritten sein. In solchen Fällen ist die Unterbringung als rechtswidrig einzustufen, da kein zulässiger Haftgrund gemäss Art. 5 Abs. 1 EMRK bestünde (vgl. S. 42).

Gleiches gilt für die «besonderen Zentren». Auch diese Form der Unterbringung darf die Schwelle zum Freiheitsentzug nicht überschreiten. Problematisch ist insbesondere der Umstand, dass die Unterbringung in einem «besonderen Zentrum» einen gewissen pönalen Charakter aufweist und zwingend mit einem Rayonverbot einhergeht. Gemäss der Einschätzung des SKMR besteht nur ein sehr kleiner Spielraum, um die «besonderen Zentren» im Vergleich zu den «normalen» Verfahrenszentren noch rigider auszugestalten (vgl. S. 45).

Auch die Ausgestaltung der Ausreisezentren muss in einer Weise erfolgen, dass die Schwelle zum Freiheitsentzug nicht überschritten wird. In Einzelfällen ist eine Inhaftierung zum Zwecke der Durchführung eines Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahrens gestützt auf Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK jedoch durchaus möglich und erlaubt (vgl. Art. 75 ff. AuG).

Dokumentation