14.10.2025
Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Vergangenheit verschiedentlich Rechtsvertreter*innen von Asylsuchenden sanktioniert oder Sanktionen angedroht. Besonders betroffen davon war Rechtsanwalt Gabriel Püntener, aber auch andere Akteur*innen spüren eine zunehmende Praxisverschärfung.

Rechtsanwalt Gabriel Püntener ist seit vielen Jahren bekannt als engagierter Vertreter unter anderem von Personen im Asylverfahren. Seit 2018 nimmt er eine zunehmende Sanktionierung seiner Arbeit wahr, indem verschiedentlich Ordnungsbussen gegen ihn ausgesprochen oder ihm die Gerichtskosten persönlich auferlegt wurden. Begründet wird dieses Vorgehen seitens der zuständigen Richterschaft häufig mit dem Argument, wonach bestimmte Anträge den Geschäftsgang stören würden.
Rechtsgrundlagen für Sanktionen gegen Rechtsvertreter*innen
Als gesetzliche Grundlage für Sanktionen gegen Rechtsvertreter*innen im Asylverfahren gilt zunächst Art. 60 VwVG. Dessen Abs. 1 sieht die Möglichkeit vor, bei einer Verletzung des Anstands oder Störung des Geschäftsganges einen Verweis zu erteilen oder eine Ordnungsbusse bis 500 Franken zu verhängen. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesen unbestimmten Rechtsbegriff in verschiedenen Urteilen präzisiert und erachtet als ungebührlich «verunglimpfende, persönliche Angriffe, pauschale und exzessive Kritik sowie grob abschätzige, unnötig verletzende, demütigende oder gar entwertende Äusserungen» (Z.B. BVGer, Urteil B-6019/2018 vom 25. Juni 2019, E. 4.3. m.w.H.). Diese Formulierung lässt annehmen, dass eine persönliche, mit der Sache unzusammenhängende Komponente erforderlich ist, damit Art. 60 VwVG angewendet werden kann. Art. 60 Abs. 2 VwVG sieht sodann eine höhere Ordnungsbusse bis zu Fr. 3'000 vor, wenn ein*e Rechtsvertreter*in «böswillig oder mutwillig» handelt.
Nebst Verweisen und Ordnungsbussen gibt es weitere mögliche Sanktionen, namentlich die Auferlegung «unnötiger» Gerichtskosten (gestützt auf Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 66 Abs. 3 BGG) sowie – sofern der/die Rechtsvertreter*in im Anwaltsregister eingetragen ist – die Meldung an die kantonale Aufsichtsbehörde. Letzteres ist dann möglich, wenn eine Gerichts- oder Verwaltungsbehörde der Meinung ist, ein*e Anwält*in erfülle die persönlichen Voraussetzungen nach Art. 8 BGFA nicht mehr, oder wenn sie andere Vorfälle wahrnimmt, welche die Berufsregeln verletzten könnten» (Art. 15 Abs. 2 BGFA).
Verschärfungen bei der Rechtsvertretung von asylsuchenden Personen spürbar
Rechtsanwalt Püntener war bereits mit der gesamten Palette der aufgezählten Sanktionen konfrontiert. Allerdings ist er damit nicht alleine: Auch andere Fachpersonen, die sich vor Bundesverwaltungsgericht für die Rechte von Asylsuchenden einsetzen, erlebten bereits eine Androhung einer persönlichen Sanktion wegen «mutwilliger Prozessführung». Teilweise wird namentlich die Auferlegung der Gerichtskosten an die Rechtsvertretung auch im Rahmen von Zwischenverfügungen angedroht, wenn behauptungsweise aussichtslose Beschwerden erhoben werden. Dies insbesondre dann, wenn bereits mehrere Wiedererwägungsgesuche oder Mehrfachgesuche eingereicht worden sind.
In einem derartigen Fall wurde im Jahr 2023 Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingelegt: Ein algerischer Asylsuchender, der bereits seit 1999 in der Schweiz lebte und dessen erstes Asylgesuch damals abgelehnt wurde, reichte zwischen 2016 und 2022 mehrere Wiedererwägungsgesuche ein und beantragte, dass ihm in der Schweiz wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs eine vorläufige Aufnahme erteilt werden müsse. Das letzte Gesuch, eingereicht im Jahr 2022, wurde am 24. Januar 2023 vom Bundesverwaltungsgericht in einzelrichterlicher Kompetenz abgewiesen. Gleichzeitig wurde dem Rechtsvertreter eine Ordnungsbusse in Höhe von Fr. 1'000.- auferlegt mit der Begründung, dass die eingereichte Beschwerde offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt habe und die Prozessführung mithin mutwillig war. Ferner hielt das Gericht fest, dass auch gegen sämtliche künftige Rechtsvertreter*innen des Beschwerdeführers Disziplinarmassnahmen ergriffen würden, falls die Verfahren missbräuchlich oder leichtfertig geführt würden.
Der EGMR hat die Beschwerde und deren Registrierung am 28. Mai 2025 kommuniziert. Bis ein Entscheid ergeht, wird es voraussichtlich noch mehrere Jahre dauern (T.F. contre la Suisse, Requête n° 17088/23, communiquée le 28 mai 2025).
Zugang zum Recht gefährdet
Sanktionen gegen Rechtsvertreter*innen gefährden den Zugang zum Recht erheblich – ein Thema, dass humanrights.ch bereits seit längerem beschäftigt. Sie können einerseits, wiederholt ausgesprochen wie exemplarisch im Falle von Rechtsanwalt Püntener zu beobachten, die berufliche Existenz gefährden, haben andererseits aber auch einen sogenannten «Chilling Effect». Damit ist gemeint, dass Personen auf die an sich legitime Wahrnehmung von Rechten verzichten, weil sie befürchten, deswegen sanktioniert zu werden.
Durch das Bundesverwaltungsgericht ausgesprochene oder angedrohte Sanktionen haben also über den Einzelfall hinaus Konsequenzen und können zu einer Selbstbeschränkung führen. Dies etwa insofern, wenn Rechtsvertreter*innen aus Sorge vor persönlichen Bestrafungsaktionen von einer Beschwerdeerhebung absehen oder sich in der Argumentation selbst einschränken, weil sie den Vorwurf der «pauschalen und exzessiven Kritik» fürchten.
Leidtragende eines solchen auf Rechtsvertreter*innen wirkenden Abschreckungseffekts sind am Ende asylsuchende Personen, die sich regelmässig in einer ausserordentlich vulnerablen Situation befinden und deshalb in besonderem Masse auf eine engagierte Vertretung angewiesen sind. Wenn sie mit einem negativen Entscheid in ihrem Asylverfahren konfrontiert sind und sich die Frage nach einer Beschwerde stellt, sind sie häufig noch nicht lange in der Schweiz, sprechen deshalb die Landessprachen nicht hinreichend und kennen das hiesige Rechtssystem nicht. Die Hilflosigkeit wird auf Beschwerdeebene noch dadurch verstärkt, weil das Verfahren ausschliesslich schriftlich geführt wird und deshalb Personen mit geringer Schulbildung zusätzlich benachteiligt werden.
Sanktionen gegen Rechtsvertreter*innen, wie das Bundesverwaltungsgericht sie in den vergangenen Jahren verschiedentlich ausgesprochen oder angedroht hat, sind somit geeignet, das Recht auf ein faires Verfahren zu verletzen. Es wird deshalb interessant sein zu beobachten, wie der EGMR die Frage im Verfahren T.F. gegen die Schweiz beurteilen wird.
Angriffe auf die Rechtsvertretung im Kontext zunehmend restriktiver Asylpolitik
Inwiefern diese Sanktionen im Kontext einer zunehmend restriktiven Asylpolitik stehen, ist schwierig zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht scheint jedoch nicht die einzige Instanz zu sein, welche Massnahmen gegen unliebsame – da in besonderem Masse engagierte Rechtsvertreter*innen ergreift. So auferlegte das Verwaltungsgericht Zug, angerufen im Verfahren um die Entlassung aus der Ausschaffungshaft, die gerichtlichen Kosten den Rechtsvertreterinnen eines tunesischen Staatsangehörigen. Begründet wurde dies damit, die Prozessführung sei «treuwidrig» gewesen und Ausführungen im Rahmen der Verhandlung hätten nur entfernten Fall- und Tatsachenbezug aufgewiesen.
Das hiergegen angerufene Bundesverwaltungsgericht stellte in seinem Urteil 2C_109/2025 eine Verletzung des Willkürverbotes fest, und zwar sowohl bei der vorinstanzlichen Begründung als auch im Ergebnis. Es beurteilte die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Zug als mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch und erachtete vielmehr selbige als fallunabhängig und generell. Es hob deshalb die Kostenauflage an die Rechtsvertreter*innen auf.
Obwohl damit die Angelegenheit für die Betroffenen insofern glimpflich ausging, als dass die Kostenauflage an sie vom höchsten Gericht als unzulässig erachtet und aufgehoben wurde, war das willkürliche Handeln des Verwaltungsgerichts Zug für sie mit enormem Aufwand und Unsicherheit verbunden.
Internationaler Widerstand
Dem zunehmend rauen Wind gegen Rechtsvertreter*innen entgegenwirken könnte eine jüngst verabschiedete Konvention des Europarates, die Convention for the Protection of the Profession of Lawyer. Sie wurde am 12. März 2025 angenommen und liegt den Mitgliedstaaten seit dem 13. Mai 2025 zur Unterzeichnung auf. Es handelt sich dabei um eine sogenannte «offene Konvention», die von sämtlichen Staaten weltweit unterzeichnet werden kann. Sie tritt in Kraft, sobald sie von acht Staaten, davon mindestens sechs Mitgliedstaaten des Europarats, ratifiziert worden ist.
In ihrer Präambel betont die Konvention, dass Anwält*innen eine fundamentale Rolle spielen bei der Aufrechterhaltung des Rechtsstaates, des Zugangs zum Recht und dem Schutz der Menschen- und Grundrechte und verurteilt jegliche Angriffe auf den Anwaltsberuf. In ihrem Art. 8 regelt sie ferner die Voraussetzungen, unter welchen Disziplinarmassnahmen gegen Rechtsanwält*innen erhoben werden dürfen, wobei namentlich die Prinzipien der Rechtmässigkeit, Nicht-Diskriminierung und Verhältnismässigkeit betont werden. Die Schweiz hat die Konvention bislang weder ratifiziert noch unterschrieben.
Sanktionen nur mit äusserster Zurückhaltung und bei krassen Verstössen
Personen in Asylverfahren befinden sich regelmässig in höchst prekären Situationen. Sie kennen weder die hiesige Sprache noch das Rechtssystem, haben traumatische Erlebnisse hinter sich und sind deshalb darauf angewiesen, dass sie bei der Wahrung ihrer Rechte unterstützt werden. Dafür ist eine engagierte Rechtsvertretung unerlässlich. Wird selbige durch Gerichte zunehmend eingeschränkt, indem Sanktionen verhängt und Kosten direkt den Anwält*innen auferlegt werden, hat das massive Auswirkungen auf grundlegende Rechte von Asylsuchenden. Es kann daher nicht genug betont werden, dass derartige Sanktionen nur mit äusserster Zurückhaltung und bei krassen Verstössen ausgesprochen werden sollten.