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2021 - A.K. et al. v. SWITZERLAND (CEDAW)

22.03.2021

Eckdaten zum Fall

  • Afgahnische Staatsangehörige (Mutter 25 Jahre alt, Vater 28 Jahre alt, Kinder 3 und 1 Jahre alt)
  • Rückkehr in einen Dublinstaat (Kroatien)
  • sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt  (SGBV), unmenschliche Behandlung, kein Zugang zu medizinischer Versorgung
  • Art. 1 CEDAW, Art. 2 (b),(c),(d),(e),(f),(g) CEDAW, Art. 3 CEDAW, Art. 5 CEDAW, Art. 12 CEDAW
  • Zuständiger Kanton: Thurgau

Sachverhalt

Die Beschwerdeführenden sind afghanische Staatsangehörige. Die Beschwerdeführerin 1 war zum Zeitpunkt der erlassenen Interim Measures 25 Jahre alt. Der Beschwerdeführer 2, ihr Ehemann, war 28 Jahre alt. Die Beschwerdeführenden 3 und 4 sind die gemeinsamen Kinder im damaligen Alter von 3 und 1 Jahren. Die Beschwerdeführerin erlitt schon als Kind gravierende sexuelle Gewalt. Gemeinsam mit ihrem Ehemann floh sie aufgrund Verfolgung und Diskriminierung basierend auf ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu der Hazara Ethnie aus Afghanistan.

Zuerst flohen sie in die Türkei, wo die Beschwerdeführerin erneut sexuell belästigt wurde. In der Türkei gebar die Beschwerdeführerin dann ihren ersten Sohn, Beschwerdeführer 3. In Folge flohen die Beschwerdeführenden nach Griechenland, wo sie zuerst bei miserablen Bedingungen im Moria Camp untergebracht wurden. Aufgrund der extremen Vulnerabilität der Beschwerdeführerin 1 wurde die Familie aufs Festland verlegt, wo die Situation allerdings nicht besser war. Die erneut schwangere Beschwerdeführerin 1 erhielt keine medizinische Behandlung und keinen Schutz von der Polizei. Deshalb flohen die Beschwerdeführenden nach der Geburt ihres zweiten Kindes, Beschwerdeführerin 4, weiter nach Kroatien. Dort wurden die Beschwerdeführenden Opfer mehrerer Push-backs. Die Beschwerdeführenden mussten im Wald übernachten und hatten für mehrere Tage keine Nahrung. Dann versuchten die Beschwerdeführenden erneut, nach Kroatien zu gelangen. Die Beschwerdeführerin 1 wurde erneut Opfer von sexuellem Missbrauch durch die kroatische Polizei. Sie musste sich vor den männlichen Polizisten nackt ausziehen. Als die Beschwerdeführerin 1 sich dagegen wehrte, wurde sie von den weiblichen Polizistinnen zu einem entlegenen Ort gebracht, wo ihr dann alle Kleider vom Leib gerissen und ihre Vagina inspiziert wurde. Der Beschwerdeführer 2 wurde von der kroatischen Polizei verprügelt. Während des Aufenthalts der Beschwerdeführenden in Kroatien erhielten sie nicht genügend Essen, keine medizinische Behandlung und auch keine psychologische Unterstützung für die Beschwerdeführerin 1, obwohl sie durch die wiederholten sexuellen Missbräuche höchst traumatisiert war, suizidal wurde und wiederholt nach medizinischer und psychologischer Unterstützung fragte. Ausserdem wurden die Beschwerdeführenden regelmässig von der kroatischen Polizei angehalten und belästigt.

Aufgrund dieser unerträglichen Situation flohen die Beschwerdeführenden weiter in die Schweiz, wo sie um Asyl ersuchten. Da Kroatien das Rückübernahmegesuch der Schweiz akzeptierte, erliess das Staatssekretariat für Migration (SEM) einen Nichteintretensentscheid, obwohl bei der Beschwerdeführerin 1 eine posttraumatische Belastungsstörung mit depressiven Symptomen diagnostiziert worden war. Folglich hat das SEM die medizinische Situation der Beschwerdeführerin 1 nicht ausreichend berücksichtigt.

AsyLex brachte diesen Fall vor den UNO-Frauenrechtsausschuss und erhielt kurze Zeit später sogenannte Interim Measures, welche von der Schweiz fordern, den Vollzug der Rückführung während des Verfahrens vor dem Ausschuss auszusetzen.

Argumente SEM / BVGer

Das SEM argumentierte, dass Kroatien für das Asylverfahren der Beschwerdeführenden zuständig sei und dass es keine wesentliche Gründe für die Annahme gebe, dass das dortige Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende systemische Schwachstellen aufweisen würde, welche die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta und Art. 3 EMRK mit sich bringen würde. Ausserdem würde es keine Hinweise darauf geben, dass Dublin-Rückkehrenden eine Rückschiebung nach Bosnien und Herzegowina oder systematische Gewalt seitens der kroatischen Polizeibehörden drohen würde. Kroatien sei ein Rechtsstaat mit funktionierendem Justizsystem, so das SEM.

Das BVGer bestätigte die Ausführungen des SEM und argumentierte, dass selbst wenn die Geschehnisse in Kroatien wie von den Beschwerdeführenden beschrieben eingetroffen seien, dies kein Hinweis darauf sei, dass Kroatien systematisch seine internationalen Verpflichtungen verletzen würde. Weiter argumentierte das BVGer, dass keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich seien, dass die Beschwerdeführenden im Falle einer Wegweisung nach Kroatien in eine existentielle Notlage geraten würden. Ausserdem schloss sich das BVGer dem SEM an, dass die gesundheitlichen Beschwerden der Beschwerdeführenden kein Vollzugshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK darstellen würden. Auch die Suizidalität der Beschwerdeführerin 1 würde kein Vollzugshindernis darstellen, so das BVGer.

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Marianne Aeberhard
Leiterin Projekt Zugang zum Recht / Geschäftsleiterin

marianne.aeberhard@humanrights.ch
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Bürozeiten: Mo/Di/Do/Fr

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