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2022 - A.N.N. v. SWITZERLAND (CEDAW)

15.12.2022

Eckdaten zum Fall

  • Burundische Staatsangehörige im Alter von 31 Jahren
  • Rückkehr in einen Dublinstaat (Kroatien)
  • Die Beschwerdeführerin hat wiederholt sexuelle Gewalt erlebt, Zugang zu med. Behandlung wurde ihr trotz schwerer Krankheit verwehrt und sie wurde unmenschlicher Behandlung ausgesetzt
  • Art. 1 CEDAW, Art. 2(c), (d),(e), (f) CEDAW, Art. 3 CEDAW, Art. 12 CEDAW
  • Zuständiger Kanton: Luzern

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin war zum Zeitpunkt der erlassenen Interim Measures des UNO-Frauenrechtsausschusses eine 31-jährige burundische Staatsangehörige. Die Beschwerdeführerin floh schwanger von Burundi und versuchte mehrmals, nach Kroatien einzureisen, wobei sie mehrmals Opfer von gewaltsamen Push-backs wurde. Aufgrund der massiven Gewalt während der Push-backs verlor die Beschwerdeführerin ihr ungeborenes Kind. In Kroatien wurde die Beschwerdeführerin auch Opfer von sexueller Gewalt und erlitt unmenschliche Behandlung. So wurde sie mit mehreren Männern, Frauen und Kindern in einem Container eingesperrt, welchen sie nur verlassen durfte, um die Notdurft zu verrichten. Dazu musste sie an die Türe klopfen und z.T. mehrere Stunden auf jemanden warten, der sie zur Toilette begleitete. Ausserdem wurde ihr der Zugang zu medizinischer Behandlung verwehrt, obwohl sie schwer krank war und eben ihr ungeborenes Kind verloren und explizit nach medizinischer Behandlung gefragt hatte. Nicht einmal Zugang zu Wasser erhielt sie.

Die Beschwerdeführerin floh schliesslich weiter nach Slowenien, wo sie ebenfalls misshandelt und sexuell missbraucht wurde. Dann floh die Beschwerdeführerin weiter über Italien in die Schweiz, wo sie ein Asylgesuch stellte. Die Beschwerdeführerin erwähnte die erlittene sexuelle Gewalt und die verweigerte medizinische Behandlung bei den Schweizer Behörden, welche dazu keine weiteren Abklärungen tätigten. Obwohl die Schweizer Behörden um die erlittene sexuelle Gewalt und die hohe Vulnerabilität der Beschwerdeführerin und um das daraus resultierende Bedürfnis für spezielle (medizinische) Behandlung wussten, erwähnten sie dies mit keinem Wort im Rahmen des Rückübernahmegesuch an Kroatien. Kroatien akzeptierte das Rückübernahmegesuch. Daraufhin wurde vom Staatssekretariat für Migration (SEM) ein Nichteintretensentscheid erlassen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVGer) abgewiesen.

Nach dem negativen Entscheid des BVGers erfuhr die Beschwerdeführerin, dass sie nach einer Vergewaltigung erneut schwanger war. Die Beschwerdeführerin wurde auch mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), dissoziativer Amnesie, akuter psychotischer Störung, bipolarer Störung und Epilepsie diagnostiziert. Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse wurde ein Wiedererwägungsgesuch eingereicht, welches ebenfalls abgelehnt wurde mit der Begründung, dass dies, inklusive der erneuten Schwangerschaft, den Entscheid zur Ausschaffung nicht zu beeinflussen vermöge und dass die Schwangerschaft bei der Ausschaffung berücksichtigt würde. Die erneute sexuelle Gewalt wurde vom SEM nicht berücksichtigt. Gegen diesen Entscheid wurde erneut Beschwerde ans BVGer erhoben. In der Zwischenzeit verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin, weshalb sie in eine psychiatrische Klinik eintrat. Da der Kostenvorschuss vom BVGer von der Beschwerdeführerin nicht bezahlt werden konnte, trat das BVGer nicht auf die Beschwerde ein. 

AsyLex brachte diesen Fall vor den UNO-Frauenrechtsausschuss und erhielt kurze Zeit später sogenannte Interim Measures, welche von der Schweiz fordern, den Vollzug der Rückführung während des Verfahrens vor dem Ausschuss auszusetzen.

Argumente SEM / BVGer

Das SEM argumentierte beim Nichteintretensentscheid, dass Kroatien für das Asylverfahren zuständig sei. Push-backs würden Personen, die unter der Dublin III Verordnung zurückgeführt werden, nicht betreffen, deshalb läge keine Verletzung von Art. 3 EMRK vor. Ausserdem argumentierte das SEM, dass der Machtmissbrauch einzelner kroatischen Beamten nicht auf systemische Mängel zu schliessen vermöge. Bezüglich der erlebten Gewalt hätte die Beschwerdeführerin sich ferner an die kroatischen Behörden wenden können, da Kroatien über ein funktionierendes Polizei- und Justizsystem sowie über ein funktionierendes Asylsystem verfüge.

Das BVGer bestätigte die Ausführungen des SEMs, dass Kroatien für das Asylverfahren zuständig sei und das kroatische Asylsystem keine systemischen Mängel aufweisen würde. Wie bereits das SEM hielt auch das BVGer fest, dass Kroatien Signatarstaat zahlreicher internationalen Verträge sei und Kroatien seine internationalen Verpflichtungen erfüllen würde. Ausserdem bestätigte das BVGer, dass Dublin-Rückkehrende nicht von Push-backs betroffen seien.

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Marianne Aeberhard
Leiterin Projekt Zugang zum Recht / Geschäftsleiterin

marianne.aeberhard@humanrights.ch
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