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Nachrichtendienstgesetz

Argumentarium

16.11.2022

Das Bundesgesetz über den Nachrichtendienst (NDG) soll bereits wenige Jahre nach seinem Inkrafttreten revidiert werden. Ziel der Revision ist gemäss dem Verteidigungsdepartement VBS der Ausbau und die Konkretisierung des Mandats des Nachrichtendienstes. Die Grund- und Menschenrechte, welche im aktuellen Nachrichtendienstgesetz bereits ungenügend geschützt sind und im Rahmen der nachrichtendienstlichen Praxis regelmässig missachtet werden, geraten mit der Revision zusätzlich unter Druck.

Im Folgenden stellt humanrights.ch die wichtigsten Argumente gegen die Verschärfungen des Nachrichtendienstgesetzes zusammen und führt die zentralsten Gegenforderungen auf.

Erneuter Angriff auf die Grund- und Menschenrechte

Der Nachrichtendienst bewegt sich in einem grundrechtlich sensiblen Themenbereich: Mit der nachrichtendienstlichen Beschaffung von Informationen über Personen und Organisationen werden unter anderem das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV), das Recht auf Schutz des Privatlebens und das Recht auf Schutz vor dem Missbrauch persönlicher Daten tangiert (Art. 13 BV, Art. 8 EMRK, Art. 17 UNO-Pakt II). Hinzu kommen unter Umständen die Meinungsfreiheit (Art. 16 BV, Art. 10 EMRK), die Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV, Art. 11 EMRK), die Medienfreiheit sowie der journalistische Quellenschutz (Art. 17 BV, Art. 10 EMRK) oder das Berufsgeheimnis (Art. 321 StGB).

Aufgrund zahlreicher Einsichtsgesuche sowie Berichten der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte (GPDel) ist heute öffentlich bekannt, dass der Nachrichtendienst ungeachtet seiner grossen Verantwortung jahrelang wissentlich gegen die gesetzlichen Schranken verstossen und flächendeckend die legale politische Betätigung von Einzelpersonen und NGOs überwacht und gespeichert hat.

Obwohl gemäss Bundesrat mit der aktuellen Revision des Nachrichtendienstgesetzes unter anderem die von der Geschäftsprüfungsdelegation formulierten Empfehlungen zur Datenbearbeitung, Datenhaltung und dem Auskunftsrecht hätten umgesetzt werden sollen, verfehlt die erarbeitet Gesetzesvorlage dieses Ziel. Anstatt die bestehenden Missstände zu beheben und eine (grund)rechtskonforme Praxis sicherzustellen, soll der NDB künftig noch mehr Personenkategorien mit zusätzlichen Überwachungsmethoden und unter erleichterten Bedingungen überwachen können. Gerade vor dem Hintergrund seiner teilweise rechtswidrigen Praxis ist die Einführung neuer, weitergehender Befugnisse für den NDB aus grund- und menschenrechtlicher Perspektive unhaltbar.

Nein zur Aufweichung der Überwachungsschranken!

Die Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte hat den Behörden in ihrem Jahresbericht 2019 nahegelegt, im Rahmen der nächsten Revision des Nachrichtendienstgesetzes ein neues Konzept für die Sammlung und Abspeicherung von Daten zu prüfen. Dabei sollte unter anderem die Anwendbarkeit der sogenannten Datenbearbeitungsschranke – unter Wahrung ihres grundlegendenden Zwecks – neu ausbalanciert und präzisiert werden. Anstatt dieser Empfehlung nachzukommen und die Grundrechte der Menschen in der Schweiz besser zu schützen, wird die Schranke mit der erarbeiteten Gesetzesvorlage zusätzlich verwässert.

Gemäss der Datenbearbeitungsschranke ist dem Nachrichtendienst das Beschaffen und Bearbeiten von Informationen über die politische Betätigung und über die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit in der Schweiz untersagt (Art. 5 Abs. 5 NDG). Durch die Bearbeitungsschranke von der nachrichtendienstlichen Überwachung geschützt sind alle Daten, welche sich auf eine bestimmbare Person beziehen oder beziehen lassen (sog. Personendaten, Art. 3 lit. a DSG). Die Bearbeitungsschranke wurde als Folge der Fichenaffäre eingeführt und soll Personen und Organisationen davor schützen, bei der Ausübung ihrer politischen Rechte und der politischen Meinungsbildung vom Nachrichtendienst überwacht zu werden. Eine Ausnahme gewährt das Gesetz in diesem Zusammenhang nur dann, wenn der Nachrichtendienst die mögliche Bedrohung von Organisationen und Gruppierungen auf der Beobachtungsliste zu beurteilen hat (Art. 5 Abs. 8 NDG).

Die Datenbearbeitungsschranke wird in der Praxis des Nachrichtendienstes seit Jahren nicht konsequent eingehalten: Er beschafft und bearbeitet immer wieder Informationen über die politische Betätigung und über die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit, ohne dabei ihre Konformität mit der Bearbeitungsschranke rechtzeitig oder überhaupt zu überprüfen. Dies führt(e) zu ausufernden Datenbeständen in den nachrichtendienstlichen Informationssystemen und der Abspeicherung zahlreicher Personendaten, die der Nachrichtendienst nie hätte beschaffen dürfen.

Anstatt die Bearbeitungsschranke im Rahmen der Revision des Nachrichtendienstgesetzes zu stärken, höhlt die ausgearbeitete Gesetzesvorlage diesen Grundsatz nun weiter aus. So führt sie etwa eine zusätzliche Ausnahmeregelung ein, wonach Personendaten über die politische Betätigung und über die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit in der Schweiz vom Nachrichtendienst bearbeitet werden können, wenn dies der Erfüllung administrativer Aufgaben dient (Art. 5 Abs. 5 nNDG). Zudem soll er künftig bestimmte Daten abspeichern können und erst in einem zweiten Schritt die Anwendbarkeit der Datenbearbeitungsschranke überprüfen müssen; unter der Voraussetzung, dass er die Daten anonymisiert (Art. 46 Abs. 1 nNDG).

Da der Nachrichtendienst bereits in seiner jetzigen Praxis nachrichtendienstliche und administrative Informationen nicht konsequent voneinander abgrenzt und sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben hält, bestehen ernsthafte Zweifel daran, ob die vorgesehene Ausnahmeregelung nur zweckgemäss zur Anwendung käme. Indem der Nachrichtendienst zudem Informationen zu politischen Ereignissen und Tätigkeiten erfassen könnte und erst in einem zweiten Schritt die Anwendbarkeit der Datenbearbeitungsschranke überprüfen müsste, wird diese de facto ausgehöhlt. Die Anonymisierung der Personendaten vermag Grundrechtsverletzungen schliesslich nicht mit Sicherheit zu verhindern, denn aus dem Kontext einer Information lassen sich oftmals dennoch Rückschlüsse auf eine Person oder Organisation ziehen.

Fehlende Vorgaben zur Datenlöschung

Im Zuge der Neuordnung der Datenerfassung und -ablage sieht die Gesetzesvorlage eine Neuregelung zur Löschung von Personendaten vor. Die Bestimmung schreibt jedoch lediglich vor, dass der Nachrichtendient künftig eine periodische Überprüfung seiner Arbeitsdaten durchführen muss (Art. 58b nNDG).

Die Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte hat im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit immer wieder beträchtliche Datenmengen identifiziert, die der Nachrichtendienst gar nie hätte erfassen dürfen oder zu deren Löschung er verpflichtet gewesen wäre. So stiess die Delegation im Jahr 2019 auf Daten, deren Bereinigung sie bereits im Jahr 2010 gefordert hatte. Die gesetzlichen Löschfristen und die damit einhergehenden Überprüfungen vermochten die rechtzeitige Beseitigung von Daten bislang nie zu gewährleisten.

So lange keine Fristen eingeführt werden, welche dem Nachrichtendienst unmissverständlich vorgeben, welche Daten innert welchem Zeitraum er zwingend zu überprüfen und allenfalls zu löschen hat, so wird die Vorgabe einer periodischen Überprüfung keine grosse Wirkung erzielen.

Nein zur weiteren Abschwächung des Auskunftsrechts!

Das Auskunftsrecht bildet ein zentraler Aspekt des Anspruchs auf informationelle Selbstbestimmung, ist jedoch bereits im geltenden Nachrichtendienstgesetz äusserst schwach ausgestaltet. Die mit der Revision angestrebten zusätzlichen Beschränkungen des Auskunftsrechts verletzen das Recht auf wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK).

Anfragen dazu, ob der Nachrichtendienst in seinen Informationssystemen Daten über eine Person abgespeichert hat, kann dieser gestützt auf das Datenschutzgesetz einschränken, verweigern oder aufschieben, wenn es das überwiegende öffentliche Interesse oder dasjenige von Dritten erfordert oder wenn durch die Auskunft der Zweck eines Strafverfahrens oder eines anderen Untersuchungsverfahrens gefährdet würde (Art. 9 DSG). Überwiegt das Interesse Dritter oder das Interesse des NDB an einer Geheimhaltung, so kann dieser die Auskunft so lange aufschieben, bis kein Geheimhaltungsinteresse mehr besteht (Art. 63 Abs. 4 NDG). Werden über die gesuchstellende Person keine Daten vom NDB bearbeitet, muss diese erst nach drei Jahren darüber informiert werden (Art. 63 Abs. 5 NDG).

Das Auskunftsrecht im Nachrichtendienstgesetz ist bereits heute kaum mit der Europäischen Menschenrechtskonvention zu vereinbaren (vgl. Klass u.a. gegen Deutschland). Wenn Daten zu lange aufbewahrt werden, ohne dass geklärt wird, ob dies für die Interessen der nationalen Sicherheit weiterhin erforderlich ist, so wird zudem dadurch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 8 EMRK) verletzt. Das indirekte Auskunftsrecht über den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (Art. 64 NDG) stellt gemäss Bundesgericht zudem per se keine wirksame Beschwerdemöglichkeit gemäss der Europäischen Menschenrechtskonvention dar (Art. 13 EMRK).

Trotz der bestehenden Mängel wird mit der aktuellen Revision eine weitere Beschränkung des Auskunftsrechts angestrebt. Sowohl die Auskunftsverweigerung wie auch das Aufschieben einer Auskunft sollen künftig nicht mehr angefochten werden können (Art. 63a Abs. 8 nNDG). Dasselbe gilt für die stellvertretende Auskunft durch den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (Art. 63a Abs. 8 nNDG).

Bei Einführung dieser Bestimmungen könnte das Auskunftsrecht künftig verweigert werden, ohne dass dagegen Rechtsmittel zur Verfügung stehen: ein eindeutiger Verstoss gegen das Recht auf wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK). Selbst der erläuternde Bericht zur Revision des Nachrichtendienstgesetzes anerkennt, dass die Verfassungs- und Völkerrechtskonformität dieses Verzichts auf ordentliche Rechtsmittel noch umstritten sei. Die Schwächung des Auskunftsrechts ist umso gravierender, als ein Grossteil der Daten in den nachrichtendienstlichen Informationssystemen nie auf ihre Konformität mit der Datenbearbeitungsschranke überprüft werden.

Kein Ausbau der nachrichtendienstlichen Überwachungsmassnahmen!

Mit der Revision des Nachrichtendienstgesetzes sollen die Anzahl Überwachungsmassnahmen sowie deren Anwendungsbereiche ausgebaut werden. Die Neuerungen stehen im Widerspruch zum Recht auf Privatsphäre und hebeln das Berufs- sowie das Bankkunden- und Geschäftsgeheimnis vollständig aus.

Das Nachrichtendienstgesetz kennt eine Reihe von Überwachungsmassnahmen, für deren Einsatz er eine Genehmigung des Bundesverwaltungsgerichtes sowie die Freigabe des*der Vorsteher*in des Verteidigungsdepartements VBS benötigt. Zu diesen genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen (GEBM) gehören unter anderem die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, der Einsatz von Überwachungs- und Ortungsgeräten, das Eindringen in Computersysteme sowie das Durchsuchen von Wohnungen und Fahrzeugen. Diese Massnahmen waren bisher auf die Bereiche Terrorismus, Spionage, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder Angriffe auf kritische Infrastruktur beschränkt. Sie sollen künftig aber auch zum Erkennen und Verhindern von «gewalttätigem Extremismus» zur Anwendung kommen (Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 nNDG).

Der mögliche Einsatz von GEBM gegenüber vermeintlich gewalttätig-extremistischen Personen und Organisationen ist deshalb hochproblematisch, weil für den Begriff «gewalttätiger Extremismus» keine abschliessende rechtliche Definition existiert. So hat der Bundesrat bereits bei der Schaffung des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit bewusst auf eine Legaldefinition verzichtet, da der Begriff «gewalttätiger Extremismus» nicht «abschliessend erfassbar» sei (BBl 1994 II 1127, hier 1170). Ohne ebendiese Legaldefinition bleibt jedoch weitgehend unvorhersehbar und willkürlich, wie der Nachrichtendienst diesen Begriff in der Praxis auslegen und anwenden wird.

Die Einführung eines auslegungsbedürftigen Begriffes im Zusammenhang mit genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen steht zudem im Widerspruch zu den Einschätzungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, wonach durch GEBM vollzogene Eingriffe in das Recht auf Privatleben (Art. 8 EMRK) klar, vorhersehbar und besonders präzise im Gesetz vorgesehen sein müssen. Auch die Bedingungen, unter welchen die Behörden eine Person überwachen dürfen, sind aufzulisten, und die Straftaten und Personenkategorien, die überwacht werden können, zu definieren (vgl. Roman Zakharov gegen Russland).

Was unscharfe Begrifflichkeiten im Rahmen der nachrichtendienstlichen Überwachung anrichten können, verdeutlicht die Fiche der Menschenrechtsorganisation Public Eye: Der Nachrichtendienst hat die NGO zwischen 1999 und 2019 in insgesamt 405 Dokumenten erfasst, wobei die Organisation mehrfach fälschlicherweise im Kontext von «Linksextremismus» Erwähnung findet und ihr teilweise unterstellt wird, sich nicht ausreichend von Gewaltakten distanziert zu haben. Auch andere Nichtregierungsorganisationen, Politiker*innen und politische Parteien, so etwa die Grünen, besitzen in den nachrichtendienstlichen Datenbanken – unter anderem dort, wo der NDB Informationen zu Gewaltextremismus oder Terrorismus ablegt – zahlreiche Einträge. Die Unterscheidung zwischen legitimen politischen Aktivitäten und nachrichtendienstlich relevantem Gewaltextremismus hat in der Arbeit des Nachrichtendienstes offensichtlich nie zuverlässig funktioniert.

Genehmigungspflichtige Beschaffungsmassnahmen sollen künftig sodann gegenüber Drittpersonen, die dem Berufsgeheimnis, dem Quellenschutz der Medienschaffenden sowie anderweitigen Geheimhaltungspflichten unterliegen, durchgeführt werden können (Streichung Art. 28 Abs. 2 NDG). Daraus folgt, dass der Nachrichtendienst etwa die Computer von Rechtsanwält*innen, Medienschaffenden oder medizinischem Personal durchsuchen könnte. Gemäss Bundesgericht stellt das Berufsgeheimnis «ein wichtiges Rechtsinstitut des Bundesrechts dar. Es fliesst aus dem verfassungsmässigen Anspruch auf Privatsphäre (Art. 13 BV, Art. 8 EMRK) und dient dem Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses». Die Umgehung von Anwaltsgeheimnis, Arztgeheimnis und journalistischem Quellenschutz stellt damit eine Zäsur und schwerwiegende Aushöhlung institutionalisierter rechtsstaatlicher Geheimnisschutzvorkehrungen dar. Daran ändert auch die nachträgliche Löschung dieser Daten nichts.

Neben dem erweiterten Anwendungsbereich der GEBM führt die Gesetzesvorlage schliesslich auch eine zusätzliche genehmigungspflichtige Beschaffungsmassnahme ein: die Überwachung von Bankbeziehungen und Finanztransaktionen (Art. 26 Abs. 1 lit. f und g nNDG). Aufgrund ihres unbestimmten Wortlauts fehlt es der Massnahme jedoch an einer minimalen Eingrenzung betreffend Voraussetzungen, Umfang sowie Zielpersonen. So könnte etwa auch das Bankkonto eines*einer Anwält*in überwacht werden, die eine wegen Terrorismus beschuldigte Person vertritt. Das Bankkunden- und das Geschäftsgeheimnis werden damit vollständig ausgehöhlt. In Verbindung mit dem neuen Anwendungsbereich «gewalttätiger Extremismus» wäre schliesslich auch denkbar, dass künftig die Finanztransaktionen von Aktionsbündnissen oder Unterstützungs-Netzwerken, die etwa via Crowd-Funding eine von polizeilichen Massnahmen oder Strafvollzug betroffene Personen unterstützen, Ziel einer verdeckten Überwachung werden könnten.

Nein zur Funk- und Kabelaufklärung!

Mit dem System der Funk- und Kabelaufklärung (Art. 38 und Art. 39ff NDG) kann der Nachrichtendienst sämtliche Telekommunikationsverbindungen, welche von der Schweiz ins Ausland führen, nach definierten Stichworten durchsuchen. Diese Überwachungsmassnahme tangiert die Grund- und Menschenrechte, soll im Rahmen der Revision jedoch weiter verschärft werden.

Die Kabelaufklärung stellt eine undifferenzierte, verdachtsunabhängige Massenüberwachung dar. Durch diese präventiven Kompetenzen des Nachrichtendienstes gerät die Bevölkerung unter Generalverdacht, was – um nicht ins Visier der Überwachung zu geraten – eine Selbstzensur der Internetnutzer*innen zur Folge haben kann. Dieser Abschreckungseffekt («chilling effect») beeinträchtigt den Schutz und die effektive Ausübung von Grundrechten, so etwa der Meinungsäusserungsfreiheit oder der persönlichen Freiheit. Künftig sollen die Maximalfristen der Kabelaufklärung gar verdoppelt (Art. 41 Abs. 3 nNDG) und ihre Beschränkung auf «nicht-schweizerische» natürliche und juristische Personen (Art. 39 nNDG) aufgehoben werden.

Aufgrund ihres präventiven Charakters sind die von der Kabelaufklärung ausgehenden Grundrechtseingriffe besonders schwerwiegend. Nicht zuletzt deshalb wurde gegen die Überwachungsmassnahme beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde eingelegt. Auf Anweisung des Bundesgerichtes muss es nun prüfen, ob das «System» der Funk- und Kabelaufklärung die Grundrechte verletzt und in letzter Konsequenz einzustellen ist.

Keine strafrechtlichen Bestimmungen im NDG!

Die Gesetzesvorlage für das revidierte Nachrichtendienstgesetz enthält zahlreiche strafrechtliche Bestimmungen und gesteht dem Bundesrat in deren Ausgestaltung weitgehende Kompetenzen zu. Im präventiven Bereich anhand des Nachrichtendienstgesetzes strafrechtliche Sanktionen vorzusehen, ist insbesondere mit Blick auf die tangierten Grundrechte rechtsstaatlich unhaltbar.

So sollen im Nachrichtendienstgesetz künftig etwa ein Organisationsverbot (Art. 74 nNDG) sowie strafrechtliche Sanktionen für die Verletzung des Tätigkeitsverbotes (Art. 83b i.V.m. Art. 73 Abs.1 nNDG) eingeführt werden. Diese Verbote würden nicht mehr per Spezialgesetz vom Parlament verabschiedet, sondern anhand bundesrätlicher Verfügungen. Infolgedessen wären diese Entscheide nicht mehr dem Referendum oder einer öffentlichen politischen Diskussion unterworfen. Indem der Bundesrat seine Verfügungen zudem jederzeit ändern könnte, um zusätzliche Gruppen oder Tätigkeiten zu verbieten, wäre es ihm de facto möglich die Tatbestandsmerkmale einer Straftat zu definieren.

Schliesslich kann eine Person, welche die Sicherheit der Schweiz konkret bedroht, bereits heute in den Anwendungsbereich von Strafbestimmungen fallen, wenn sie etwa konkret einen Anschlag plant (z.B.: strafbare Vorbereitungshandlung gemäss Art. 260bis StGB). Diese strafrechtlichen Bestimmungen unterliegen sodann einem weit strengeren Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV) als Artikel im Nachrichtendienstgesetz.

Nein zur Ausweitung des Ausreiseverbotes!

Mit der Revision des Nachrichtendienstgesetzes werden auch Bestimmungen im Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) angepasst. So soll das Bundesamt für Polizei künftig Personen die Ausreise aus der Schweiz in ein bestimmtes Land für eine bestimmte Zeitdauer untersagen können, wenn damit zu rechnen ist, dass es dort zu «Gewalttätigkeiten» kommt (Art. 24h nBWIS). Da ein derartiges Verbot bisher nur bei terroristischen Gefährder*innen (Art. 23n BWIS) und für Sportveranstaltungen (Art. 24c BWIS) vorgesehen war, wird das Ausreiseverbot hiermit massiv und unverhältnismässig ausgeweitet.

Die Ausreise soll einer Person künftig untersagt werden können, wenn sie für die Beteiligung an Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen während einer Demonstration oder Kundgebung in der Schweiz oder im Ausland verurteilt worden ist oder dafür «ausnahmsweise polizeiliche Nachweise vorliegen». Weder polizeiliche Strafanzeigen noch Fernhalte- oder Wegweisungsverfügungen oder glaubwürdige Aussagen beweisen aber das Vorliegen einer Straftat. Präventiv und ohne Nachweis einer tatsächlich begangenen Straftat ein Ausreiseverbot anzuordnen, ist nicht gerechtfertigt und verstösst gegen das Prinzip der Unschuldsvermutung. Damit liegt vielmehr ein Eingriff in das Grundrecht auf freie Meinungsäusserung (Art. 16 BV) und in die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) vor, welcher durch die hohe Wahrscheinlichkeit einer künftigen Gewalttätigkeit nicht gerechtfertigt werden kann.

Dass die Ausreisebeschränkung bereits gegen Personen verfügt werden könnte, die das 15. Altersjahr vollendet haben, steht schliesslich im Widerspruch zu den erzieherischen Grundsätzen des Schweizerischen Jugendstrafrechts (Art. 2 JStG) und der durch die Schweiz ratifizierten UNO-Kinderrechtskonvention.

Algorithmen und Gesichtserkennung: fehlende gesetzliche Grundlage

Wie aus einem Bericht der «Unabhängigen Aufsichtsbehörde über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten» (AB-ND) vom März 2022 hervorgeht, setzt der Nachrichtendienst seit 2020 im Rahmen von Reisebewegungen ein Gesichtserkennungssystem ein, mit welchem Personen auf Fotos bestimmt werden können – dies, obwohl eine Bearbeitung biometrischer Daten im Gesetz nicht vorgesehen ist. Auch der vorliegende Revisionsentwurf sieht keine gesetzliche Regelung vor, womit es der Praxis an einer rechtsstaatlichen Grundlage fehlt.

In ihrem Tätigkeitsbericht 2021 stellte die Aufsichtsbehörde des Nachrichtendienstes fest, dass der NDB seit 2020 ein Gesichtserkennungssystem zur Durchsuchung der eigenen Daten nutzt, ohne «dass der Rechtsdienst oder die Qualitätssicherungsstelle des NDB die Rechtmässigkeit der weiteren Entwicklung noch einmal geprüft hätten». Dies, obwohl das revidierte – noch nicht in Kraft getretene – Datenschutzgesetz biometrische Daten als besonders schützenswert bewertet (Art. 5 lit. c Ziff. 4 nDSG) und die automatisierte Bearbeitung von Personendaten überdies als «Profiling mit hohem Risiko» qualifiziert. Vor diesem Hintergrund sollte die Entscheidung, wann biometrische Daten oder die automatisierte Bearbeitung von Personendaten einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellen, nicht im Ermessen des Nachrichtendienstes liegen.

Ohne eine eindeutige gesetzliche Grundlage, welche die vorhersehbaren Voraussetzungen und Schranken der biometrischen Datenerfassungssysteme regelt, fehlt es dem Einsatz dieser Systeme bis heute an den rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen, welche sie zudem auf ein erlaubtes Mass begrenzen. Die fehlende Zielgerichtetheit, die mangelnde Transparenz und Nachvollziehbarkeit sowie die diskriminierende Wirkung von Gesichtserkennungssystemen werfen schliesslich grundsätzlich die Frage auf, inwieweit die Verwendung biometrischer Daten oder eine automatisierte Bearbeitung von Personendaten im nachrichtendienstlichen Bereich überhaupt gerechtfertigt sein kann.

Kein Nachrichtendienst ohne funktionierende Aufsichtsbehörde!

Schliesslich war bereits während den parlamentarischen Beratungen zum neuen Nachrichtendienstgesetz klar, dass die «Unabhängige Aufsichtsbehörde über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten» (AB-ND) nicht über die erforderliche Unabhängigkeit verfügt, um die Kontrolle des Nachrichtendienstes befriedigend zu übernehmen. Obwohl dieser Umstand für Diskussionen sorgte, ist die Behörde nach wie vor beim Verteidigungsdepartement VBS angesiedelt (Art. 77 NDG) und auch ihre Leitung wird durch das Bundesamt vorgeschlagen (Art. 76 Abs. 2 NDG). Symptomatisch dafür erkannte die AB-ND weder die gravierenden Mängel in der Datenbearbeitung sowie der Auskunftspraxis des NDB, noch die jahrelangen unrechtmässigen Abhöraktionen durch den Bereich Cyber.

In jedem Fall ist eine vollumfängliche Revision der Aufsichtsbehörde notwendig, anhand welcher diese in keinerlei Abhängigkeit zum VBS und grösstmöglicher Unabhängigkeit von anderen staatlichen Institutionen konstituiert wird.

Ein umfassender Überblick zu den Problempunkten der aktuellen Revision des Nachrichtendienstgesetzes bietet die Vernehmlassungseingabe von humanrights.ch. Die Vernehmlassungsantwort wurde innerhalb einer NGO-Koalition erarbeitet, welche sich der erneuten Ausweitung der nachrichtendienstlichen Überwachungsbefugnisse zulasten der Grundrechte entgegenstellt.

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