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Wann verbessert die Schweiz den Schutz vor einer missbräuchlichen Kündigung?

18.10.2016

Vom 30. Mai bis 11. Juni 2016 fand in Genf die 105te ILO Konferenz statt. Hierbei rügte der Sachverständigenausschuss der ILO die Schweiz  zum wiederholten Male wegen dem unzulänglichen Kündigungsschutz für Arbeitnehmende.

Die politische Situation im Hinblick auf den Schutz vor missbräuchlichen, insbesondere vor gewerkschaftsfeindlichen Kündigungen in der Schweiz ist seit vielen Jahren verfahren. Es besteht international Druck, dass sich die rechtlichen Vorgaben in der Schweiz insbesondere hinsichtlich des Kündigungsschutzes für Gewerkschafter/innen verbessern müssen. Gleichzeitig musste der Bundesrat bereits im Jahre 2010 eine angestossene Gesetzesrevision blockieren, weil sie in der Vernehmlassung rundweg abgelehnt worden war.

Im Herbst 2012 hat der Gewerkschaftsbund deshalb eine bereits im Jahre 2003 bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eingereichte Klage reaktiviert. Zudem hat der Bund im selben Jahr eine Studie in Auftrag gegeben, die im September 2015 veröffentlicht wurde. Die Studie enthält einige pragmatische Lösungsvorschläge.

Nationale Gewerkschaften sowie die  Vereinigung der Internationalen Gewerkschaften (ITUC) konnten in den vergangenen Jahren anhand von Beispielen mehrfach aufzeigen, dass ihre Forderungen nach besserem Kündigungsschutz tatsächlich begründet sind. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich in der Schweiz für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen und allenfalls streiken, laufen Gefahr, dass ihnen gekündigt wird. Mit diesem unzulänglichen Kündigungsschutz steht die Schweiz allein da, in den Nachbarländern geniessen Arbeiter/innen einen weitreichenderen Schutz.

Schweiz wird zum wiederholten Male gerügt

Der Sachverständigenausschuss der ILO hat anlässlich der ILO-Konferenz vom 30. Mai bis 11. Juni die Schweiz in dieser Sache zum dritten Mal gerügt.

Auslöser war eine Mitteilung der Vereinigung der Internationalen Gewerkschaften (ITUC) vom 1. September 2015 zuhanden der ILO über erneute gewerkschaftsfeindliche Entlassungen im schweizerischen Pressewesen, in der Verlagsindustrie und im Gesundheitswesen sowie über Einschüchterungen von Gewerkschaftsmitgliedern der Dienstleistungsunternehmen am Genfer Flughafen. Der Bericht des Sachverständigenausschuss der ILO kritisiert die anhaltende Verletzung des ILO Übereinkommens Nr. 98, da in der Schweiz nach der aktuellen Rechtslage gewerkschaftsfeindliche Kündigungen noch immer möglich sind bzw. wegen den deutlich zu milden Strafandrohungen im Falle einer ungerechtfertigten Kündigung.

SGB fordert die Politik zum Handeln auf

Im Rahmen der Konferenz fanden zudem tripartite Gespräche zwischen Bundespräsident Johann Schneider-Ammann und den Schweizer Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmervertretungen statt. Dabei erinnerte der SGB daran, dass in der Schweiz immer noch ein wirksamer Schutz vor antigewerkschaftlichen Kündigungen fehlt. In einer Stellungnahme hielt er fest, dass «[e]in ernsthaftes und ganzheitliches Engagement der Schweiz in der ILO […] nicht nur in der Ratifikation von Übereinkommen und der Finanzierung von Projekten bestehen [kann]. Es muss insbesondere auch in der Umsetzung der staatlichen Verpflichtungen im nationalen Recht Ausdruck finden, im konkreten Fall in einer Verbesserung des Schutzes vor antigewerkschaftlichen Kündigungen im Obligationenrecht.»

Fallbeispiel: Fristlose Kündigung während eines Streiks

Anschauliches Beispiel für die ungelöste Problematik sind etwa die Entwicklungen im Rahmen eines Streiks bei Spar: Vor dem Tankstellenshop von Spar im aargauischen Baden-Dättwil streikten die Mitarbeitenden im Juni 2013 für bessere Löhne und gegen die unzumutbaren Arbeitsbedingungen. Nach Angaben der Gewerkschaft Unia war das Management von Spar «erst nach sieben Tagen Streik bereit zu verhandeln, nur um dann mitten in den Gesprächen den Verhandlungstisch ohne Begründung zu verlassen. Danach gingen sie auf kein Angebot der Beschäftigten und der Unia mehr ein. Nach elf Tagen Streik dann die Machtdemonstration: Statt die Verhandlungen wieder aufzunehmen, wurde den elf Angestellten fristlos gekündigt.»

Versammlungsfreiheit und Gewerkschaftsfreiheit

Ein angemessener Kündigungsschutz, wie ihn die Gewerkschaften fordern, würde in solchen Situationen dazu beitragen, dass Arbeitnehmervertreter/innen mit dem Arbeitgeber bzw. der Arbeitgeberin auf Augenhöhe verhandeln könnten. Ist der Kündigungsschutz zu schwach, so wird damit das Menschenrecht auf Versammlungsfreiheit, welches gem. Art. 11 EMRK auch die gewerkschaftliche Betätigung einschliesst (Koalitionsfreiheit und Vereinigungsfreiheit) indirekt ausgehebelt.

Neben der genannten Bestimmung der EMRK ist die Versammlungs-sowie die Koalitionsfreiheit bzw. Vereinigungsfreiheit auch in den Übereinkommen Nr. 87 und Nr. 98 der ILO verankert. Das Übereinkommen Nr. 87 der ILO wurde von der Schweiz im Jahre 1975 ratifiziert – das Übereinkommen Nr. 98 der ILO im Jahre 1999. Obwohl die beiden Übereinkommen gemäss Schweizerischer Rechtsprechung nicht direkt anwendbar sind, ist die Schweiz verpflichtet, deren Bestimmungen in das Landesrecht zu übertragen und somit einzuhalten. Die aktuelle Rechtslage sowie die Rechtsprechung in der Schweiz erweisen sich jedoch in der Umsetzung und Einhaltung dieser Freiheiten bestenfalls als ungenügend.

Die älteren Klagen bei der ILO

Das in der Bundesverfassung festgeschriebene Grundrecht auf Koalitionsfreiheit (Art. 28 BV), sowie diverse internationale Rechtsquellen, insbesondere das Übereinkommen Nr. 98 der ILO berechtigen alle Arbeitnehmenden, sich zum Schutz ihrer Rechte am Arbeitsplatz zusammenzuschliessen. Dennoch riskieren aktive Gewerkschafter/innen in der Praxis immer öfter, ihre Stelle zu verlieren. Vor Gericht kann ein Gewerkschaftsmitglied vom Arbeitgeber bzw. von der Arbeitgeberin nämlich nicht die Wiedereinstellung verlangen, sondern lediglich eine Entschädigung von höchstens sechs Monatslöhnen.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hatte vor diesem Hintergrund bereits im Jahre 2003 gegen die Schweiz bei der ILO Beschwerde eingereicht. Darauffolgend sind im Jahre 2004 und 2006 zwei Zwischenberichte des Sachverständigenausschuss der ILO ergangen, in denen die SGB grundsätzlich Recht bekam. Einerseits genüge es zur Einhaltung der Bestimmungen des Übereinkommens Nr. 98 der ILO nicht, dass eine missbräuchliche Kündigung für Arbeitgebende bloss finanzielle Konsequenzen hat.

Zudem müsse der Gesetzgeber explizite Bestimmungen über Rechtsmittel gegen missbräuchliche Kündigung erlassen, welche auch abschreckende Strafen im Falle von Kündigungen wegen gewerkschaftlicher Betätigung vorsehen. Allgemein sei es nicht haltbar, dass Arbeitnehmer/innen wegen ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit entlassen werden. Daher sollen Rechtsmittel und Massnahmen etabliert werden, die eine Wiedereinstellung der betroffenen Arbeitnehmenden in deren bisherigen Funktionen ermöglichen – falls diese es wünschen.

Abschliessend hat der Sachverständigenausschuss der ILO die Schweizer Regierung aufgefordert, gemeinsam mit der Sozialpartnerschaft die Situation im Bereich des Schutzes vor Kündigung aus antigewerkschaftlichen Motiven zu überprüfen und Massnahmen zu ergreifen, die einen derartigen Schutz in der Praxis auch wirklich gewährleisten.

Klage 2012 reaktiviert

Der SGB sistierte 2009 das Verfahren, um auf innenpolitischer Ebene zu einer Lösung zu kommen. Da diese Lösung auch drei Jahre später nicht zustande gekommen war, reaktivierte der SGB im September 2012 seine Klage bei der ILO. Als Beleg für die bestehenden Probleme thematisierte die Gewerkschaft mit Einreichung der Klage eine ganze Reihe von neuen Fällen missbräuchlicher Kündigungen. Paul Rechsteiner, Präsident des SGB, hält auf der Website der Gewerkschaft fest: «Auf die Dauer wird es nicht nur den international stark vernetzten Schweizer Behörden, sondern auch den Organisationen der Arbeitgeber und den Wirtschaftsverbänden nicht einfach gleichgültig sein können, wenn die ILO als in diesem Bereich massgebende Weltorganisation feststellen muss, dass die Schweiz das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit verletzt.»

Ablehnung in der Vernehmlassung

Der Bundesrat seinerseits war zwischen 2004 und 2012 nicht untätig geblieben. Er hatte 2010 einen Entwurf für die entsprechenden Gesetzesänderungen in die Vernehmlassung geschickt, welcher eine Teilrevision des Obligationenrechts (OR) vorsah. Konkret sollte die maximale Entschädigung bei missbräuchlichen Kündigungen von sechs auf zwölf Monatssaläre angehoben werden. Vorgesehen war zudem mehr Schutz bei gewerkschaftlicher Tätigkeit: Arbeitnehmervertreter/innen sollten nicht mehr aus wirtschaftlichen Gründen entlassen werden können – im Gegensatz zur aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichts, welche dies zulässt.

Die Gewerkschaften lehnten die Vorschläge des Bundesrates in der Vernehmlassung jedoch als ungenügend ab. Sie vertraten die Ansicht, dass Betriebe – vor allem die grössten – einige Monatslöhne aus der Tageskasse begleichen könnten. Die SP, die Grünen und die Gewerkschaften treten dafür ein, dass Arbeitnehmervertreter/innen, denen gekündigt wurde, und andere Opfer von «antigewerkschaftlichen» Entlassungen zwingend wieder eingestellt werden können müssen.

Bleibt festzuhalten, dass auch von Seiten der Arbeitgeberschaft zäher Widerstand gegen die Bundesratsvorlage kam. Insbesondere die bürgerlichen Parteien (FDP, CVP und SVP) und der Arbeitgeberverband waren gegen ein Entgegenkommen in der Sache. Wie seit jeher argumentierten sie, dass jede Verbesserung der Arbeitnehmerrechte im Zusammenhang mit dem Kündigungsschutz ein Angriff auf den Wirtschaftsstandort Schweiz darstelle. «Die Doppelfunktion der Entschädigung als Wiedergutmachung und Sanktion kann mit dem Höchstbetrag von sechs Monatslöhnen durchaus erfüllt werden,» schrieb der Arbeitgeberverband (SAV). Aufgrund dieser Opposition sistierte der Bundesrat das Projekt für eine OR-Revision.

Studie im Auftrag des Bundes

Im November 2012 beauftragte der Bundesrat das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zusammen mit dem Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement (EVD), eine Studie über die Grundlagen und Rahmenbedingungen des Kündigungsschutzes für Arbeitnehmervertreter/innen zu erarbeiten. Diese Studie sollte als Grundlage dienen, um im Rahmen der Tripartiten Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der ILO doch noch eine von den Sozialpartnern/-innen getragene Lösung zu finden. Mit der Umsetzung der Studie wurde das Studienzentrum für Arbeitsbeziehungen der Universität Neuenburg betraut. Das Ziel der Studie war es, die Frage zu beantworten, ob der der Kündigungsschutz in der Schweiz ihren internationalen Verpflichtungen entspreche, und inwiefern der Kündigungsschutz der Arbeitnehmenden verbessert werden soll.

Die Studie wurde am 15. August 2015 veröffentlicht und, bestätigt vorab die problematische Rechtslage in der Schweiz. Einerseits werden gewisse Grundrechte theoretisch durch internationale Abkommen garantiert, diese sind in der Praxis jedoch nur ungenügend geschützt. Andererseits hält die Studie klar fest, dass das private Arbeitsrecht in der Schweiz durch liberale Grundsätze gekennzeichnet sei, wodurch dem Kündigungsschutz immer auch die Kündigungsfreiheit gegenübersteht. Unter Berücksichtigung dieser politischen Ausgangslage legen die Verfasser/innen der Studie drei pragmatische Lösungsansätze vor.

Harmonisierung des Schutzes

Dabei handelt es sich erstens um die Harmonisierung des Schutzes. Heute wird im Obligationenrecht zwischen Gewerkschaftsvertreter/innen und gewählten Arbeitnehmervertreter/innen unterschieden (siehe Art. 336 Abs. 2 lit. a und lit. b). Dabei sind die „einfachen“ Gewerkschaftsvertreter/innen im Falle einer Kündigung nicht gleich gut geschützt wie die gewählten Arbeitnehmervertreter. Bei den Letzteren tritt bei einer Kündigung automatisch eine Umkehr der Beweislast ein, sodass es am Arbeitgeber liegt zu beweisen, dass die Kündigung nicht ungerechtfertigt war.und z.B. wirtschaftlich gerechtfertigt war. „Einfache“ Gewerkschaftsvertreter/innen müssen selbst beweisen, dass ein Kündigung aufgrund gewerkschaftlicher Tätigkeiten oder Zugehörigkeit erfolgte und somit missbräuchlich ist. Die Studie kommt zum Schluss, dass für diese Unterscheidung kein triftiger Grund vorliegt und dass auch die „einfachen“ Gewerkschaftsvertreter/innen von einer Umkehr der Beweislast profitieren sollten.

Ausbau des Kündigungsschutzes

Zweitens zieht die Studie einen Ausbau des Kündigungsschutzes in Betracht. Gemäss der Studie reicht der Kündigungsschutz der Arbeitnehmenden in unseren Nachbarländern , sowie in Schweden, der Slowakei und im Vereinigten Königreich deutlich weiter als im Schweizer Recht. Eine Kündigung muss sich bei den genannten Ländern auf spezifische oder qualifizierte Gründe stützen. Oft besteht ein Verfahren vor der Kündigung sowie die Möglichkeit, die Kündigung anzufechten und den Arbeitnehmenden wieder einzustellen oder die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber zu einer Entschädigung in Höhe von zwölf oder mehr Monatslöhnen der/des Arbeitnehmenden zu verurteilen.

Im Gegensatz dazu kann gemäss Bundesgericht die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber in der Schweiz für jegliche Kündigungen auch lediglich wirtschaftliche Gründe geltend machen. Die Verantwortlichen der Studie empfehlen, «dass zur Entlassung einer gewählten Arbeitnehmervertreterin oder eines gewählten Arbeitnehmervertreters ausschliesslich in der Person der/des Arbeitnehmenden liegende Gründe rechtsgültig geltend gemacht werden können.» Ausserdem könnte eine Einteilung der Unternehmen in bestimmte Kategorien vorgesehen werden, da der «Abschreckungseffekt» (gegenüber missbräuchlichen Kündigungen) mit einer Entschädigung von heute maximal sechs Monatslöhnen insbesondere bei grösseren Unternehmen seine Wirkung verfehlen dürfte.


Kündigungsschutz verbessern

(Artikel vom 10.06.2009)

Die Schweiz will mehr gegen die Verletzung von Arbeitnehmerrechten in Entwicklungsländern tun. Bundesrätin Doris Leuthard hat am 8. Juni 2009 in Genf eine entsprechende Absichtserklärung bei der ILO unterzeichnet. Doch auch in der Schweiz gibt es Lücken im Arbeitnehmerschutz. Seit Jahren setzt sich etwa der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) dafür ein, dass in der Schweiz eine griffige rechtliche Regelung geschaffen wird, welche Arbeitnehmende, die sich bei ihrem Arbeitgeber für ihre Rechte, bzw. die Rechte von Arbeitskollegen/-innen einsetzen, vor missbräuchlichen Kündigungen schützt.

Missbräuchliche Kündigung beim Tages-Anzeiger und andern

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) forderte nun Bundesrätin Doris Leuthard mit einer symbolischen Aktion vor dem ILO-Sitz in Genf auf, die Rechte nicht nur in Drittweltstaaten zu predigen, sondern auch im eigenen Land durchzusetzen. Er bemängelte, dass der Bundesrat nichts unternehmen wolle, um Gewerkschaftsvertreter gegen missbräuchliche Kündigungen zu schützen. An der symbolischen Protestaktion vor dem ILO-Gebäude in Genf nahmen auch Betroffene, wie der ehemalige Tages-Anzeiger-Journalist Daniel Suter teil

Im Mai 2009 ist der Redaktor Daniel Suter, der seit 22 Jahren beim Tages-Anzeiger angestellt war, gekündigt und per sofort freigestellt worden. Er hatte vor fünf Jahren die Personalkommission des Tages-Anzeigers ins Leben gerufen und amtete als deren Präsident. Seine Freistellung im Rahmen der Massenentlassungen beim Tages-Anzeiger deutet Suter als bewusste Attacke gegen die Personalkommission. Ihr soll von vornherein vergällt werden, sich gegen die Massenentlassungen zu wehren. Suters Kommentar dazu: «Solange der Gesetzgeber derartige missbräuchliche Kündigungen nicht verhindert, indem er fehlbare Arbeitgeber […] zwingt, missbräuchlich Entlassene auch wiedereinzustellen, bleibt der Schutz von Arbeitnehmervertretern eine Illusion.»

Die Vorgeschichte

Der Gewerkschaftsbund befürchtet, dass sich in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise entsprechende Fälle wieder mehren. Die Forderung für mehr Arbeitnehmerschutz wird im übrigen von der ILO selber gestützt. Der SGB hatte 2003 bei der ILO eine Klage gegen die Schweiz eingereicht, denn das ILO-Abkommen Nr. 98, welches die Schweiz 1999 ratifiziert hat, hält die entsprechende Gewerkschaftsfreiheit fest. Der SGB verlangte in der Klage, missbräuchliche Kündigungen an Gewerkschaftsvertretern/-innen müssten annulliert und nicht bloss mit einigen Monatslöhnen abgegolten werden können. 2004 hatte ein ILO-Ausschuss die Klage gut geheissen und die Schweiz aufgefordert, ihre Gesetzgebung den entsprechenden internationalen Normen anzupassen. Der Bundesrat weigerte sich aber bisher mit dem Verweis auf die Arbeitgeber, die keinen Handlungsbedarf sehen, Änderungen vorzunehmen. 2006 legte der SGB deshalb der ILO erneut eine Liste von missbräuchlich entlassenen Gewerkschaftsvertretern vor, worauf der zuständige ILO-Ausschuss die Schweiz erneut zu einer gesetzgeberischen Anpassung aufrief. Er regte dabei an, sich am Gleichstellungsgesetz zu orientieren, das eine Wiedereinstellung bei festgestellter missbräuchlicher Kündigung vorsieht. Aber auch diesmal war der Bundesrat nicht bereit zu handeln.

Weiterführende Informationen


Unzulänglicher Kündigungsschutz für aktive Gewerkschafter/innen

(Artikel vom 30.09.2008)

Der Bundesrat stellt sich in einer Stellungnahme erneut auf den Standpunkt, dass das geltende Recht bei missbräuchlicher Kündigung wegen Gewerkschaftszugehörigkeit ausreichenden Schutz bietet. Dies hält die Regierung in einer Medienmitteilung vom 26. September 2008 fest. Zeitgleich hat der Bundesrat auch einen Bericht verabschiedet, in dem er zu zusätzlichen Fällen Stellung nimmt, die vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) zur Untermauerung seiner 2003 bei der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) eingereichten Klage vorgelegt wurden. Der SGB bezeichnet die im Obligationenrecht (OR) vorgesehene Sanktion für missbräuchliche Kündigungen wegen Gewerkschaftszugehörigkeit als zu wenig abschreckend. Sie forderte deshalb, dass die betroffenen Arbeitnehmer wieder einzustellen sind. Die IAO wird sich voraussichtlich im November 2008 in Genf mit dem Dossier befassen.

Der Bundesrat will keine Massnahmen ergreifen, um Arbeitnehmende besser gegen missbräuchliche Kündigungen aus antigewerkschaftlichen Motiven zu schützen. Dies machte die Schweizer Regierung bereits 2006 klar. Internationale Arbeitsorganisation (IAO) hatte damals die Schweizer Regierung aufgefordert, gemeinsam mit den Sozialpartnern in dieser Frage über die Bücher zu gehen.

Die Ergreifung von Massnahmen sei nicht angebracht, da sich Arbeitgeber und Gewerkschaften hinsichtlich der Verbesserung des Schutzes gegen missbräuchliche Kündigung aus antigewerkschaftlichen Motiven in der Substanz uneinig seien und sich am politischen Klima diesbezüglich nichts geändert habe, schreibt das Eidg. Volkswirtschaftsdepartement (EVD) in einer Medienmitteilung. Nach Ansicht der Schweizer Regierung müsste für eine Änderung der Praxis eine Grundsatzdiskussion auf der parlamentarischen Ebene stattfinden.

Entlassungen unliebsamer Arbeitnehmer/innen nehmen zu

Das in der Bundesverfassung festgeschriebene Grundrecht auf Koalitionsfreiheit (Art. 28 BV) berechtigt zwar alle Arbeitnehmenden, sich zum Schutz ihrer Rechte am Arbeitsplatz zusammenzuschliessen. Dennoch riskieren aktive Gewerkschafter/innen in der Praxis immer öfter, ihre Stelle zu verlieren. Vor Gericht kann ein Gewerkschaftsmitglied vom Arbeitgeber nämlich nicht die Wiedereinstellung verlangen, sondern lediglich eine Entschädigung. Mit diesem unzulänglichen Kündigungsschutz steht die Schweiz allein da, in den Nachbarländern geniessen Arbeiter einen weitergehenden Schutz (siehe hierzu den untenstehenden Artikel vom Beobachter).

Klage der Gewerkschaften bei der IAO

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB hat vor diesem Hintergrund die Schweiz bereits im Jahre 2003 bei der IAO verklagt und im Herbst 2004 grundsätzlich Recht bekommen. Gemäss dem Entscheid genügt es nicht, dass eine missbräuchliche Kündigung für Arbeitgebende bloss finanzielle Konsequenzen hat. Die IAO hatte daraufhin die Schweizer Regierung  aufgefordert, gemeinsam mit den Sozialpartnern die Situation im Bereich des Schutzes vor Kündigung aus antigewerkschaftlichen Motiven zu überprüfen und Massnahmen zu ergreifen, «die einen derartigen Schutz in der Praxis auch wirklich gewährleisten».

Die IAO wird die Antwort des Bundesrates nun prüfen und diese vermutlich an ihrem Meeting im November 2006 in Genf behandeln. Sollte sie mit der Antwort der Schweizer Regierung nicht zufrieden sein, droht eine Verurteilung der Schweiz durch die UNO, was dem internationalen Ansehen der Schweiz schaden würde.

  • Beschwerde gegen die Schweiz wegen Verletzung des Vereinigungsrechts: der Bundesrat legt der IAO einen Zusatzbericht vor
    Medienmitteilung der EVD vom 16. Juni 2006

Weiterführende Informationen