humanrights.ch Logo Icon

Gleichstellung der Frau - Dossier

Temporäre Sondermassnahmen

27.03.2019

Begriff

Temporäre Sondermassnahmen sind Fördermassnahmen zur Verbesserung der Situation von Personengruppen, die aufgrund vergangener oder anhaltender Diskriminierung benachteiligt sind. Derartige Sondermassnahmen sind zeitlich begrenzt. Sobald das Ziel, nämlich die vollständige Gleichstellung der vormals diskriminierten Gruppe erreicht ist, werden die Massnahmen aufgehoben. Zum Beispiel können Frauen den Männern bei der Besetzung von Stellen in Tätigkeitsgebieten, in denen Frauen weniger vertreten sind, bei gleicher Qualifikation vorgezogen werden.

Quoten

Ein Bespiel für temporäre Sondermassnahmen sind Quotenregelungen. Absolute oder starre Quoten schreiben vor, dass eine bestimmte Anzahl Frauen im definierten Bereich erreicht werden muss. Gelten sie für öffentliche Stellen, bedürfen sie einer Grundlage im formellen Gesetz. Relative oder flexible Quoten zielen darauf ab, Frauen bei gleicher Qualifikation zu bevorzugen. Solche Quoten können auch auf einer niederen Normstufe vorgesehen werden. Relative Quoten werden kritisiert, da die Bedingung „gleiche Qualifikation“ zu viel Interpretationsspielraum zulasse und deshalb in vielen Fällen die weibliche Kandidatin nur dann eingestellt werde, wenn sie deutlich höher qualifiziert sei als der männliche Kandidat.

UNO

Die CEDAW sieht temporäre Sondermassnahmen ausdrücklich in Art. 4 vor. Der CEDAW-Ausschuss hat in der Allgemeinen Empfehlung Nr. 25 Sondermassnahmen als notwendige Strategie propagiert, um die Gleichstellung der Geschlechter zu beschleunigen. Die ausdrückliche Zulässigkeit von temporären Sondermassnahmen in der CEDAW hat grosse Bedeutung für Quotenregelungen zugunsten von Frauen.

EU

Auf EU Ebene sind positive Massnahmen als Abweichung vom Grundsatz der Gleichstellung unter bestimmten Voraussetzugnen zulässig. Der Europäische Gerichtshof qualifizierte im Entscheid Kalanke (Urteil vom 17.10.1995, Rs. C-450/93, Slg. 1995, I-3051 ff- EuGRZ 1995,546ff) eine absolute und unbedingte Bevorzugung bei gleicher Qualifikation als Diskriminierung von Männern. Im Entscheid Marschall (Urteil vom 11.11.1997, Rs. C-409/95, Slg. 1997, I-6363, EuGRZ 1997, 863 ff.) relativierte der EuGH seinen Entscheid insofern, als dass er eine Bevorzugung von Frauen bei gleicher Qualifikation dann nicht als diskriminierend erachtete, wenn die Möglichkeit besteht, in begründeten Ausnahmefällen trotzdem einen Mann einzustellen und damit eine objektive Prüfung aller Bewerberinnen und Bewerber garantiert ist.

Schweiz

In der Schweiz sind positive Massnahmen zur Herstellung der Gleichheit der Startbedingungen als auch zum Erzielen von Ergebnisgleichheit nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich zulässig und widersprechen der Verfassung nicht, solange sie verhältnismässig sind. Sie können sogar verfassungsrechtlich geboten sein, um das Ziel der Gleichstellung zu erreichen. So haben der Bund und verschiedene Kantone als Arbeitgebende Massnahmen zur Förderung der Frauen ergriffen. Das Bundesgericht schliesst jedoch Quoten für Volkswahlmandate aus. Es begründet dies in mehreren Entscheiden damit, dass sie einen unzulässigen Eingriff in die Wahlfreiheit und Wahlgleichheit darstellten (siehe z.B. BGE 125 I 21).

Der CEDAW-Ausschuss hat die Schweiz wiederholt aufgefordert, Quoten einzuführen. In der Schweiz fehlt es jedoch weitgehend am politischen Willen, dieser Aufforderung nachzukommen: Weder auf kantonaler noch eidgenössischer Ebene haben starre Geschlechterquoten in der Schweizer Politik bis heute eine Mehrheit gefunden. Auf Bundesebene gilt einzig für die ausserparlamentarischen Kommissionen eine Geschlechterquote von 30%. Diese wird bislang nicht erreicht. Für die Personalpolitik des Bundes wurden sodann Zielquoten eingeführt, die laufend kontrolliert und angeglichen werden. In einigen Kantonen und Städten gelten in spezifischen Bereichen Quotenregelungen. In der Botschaft vom November 2016 für das neue Aktienrecht schlägt der Bundesrat für Verwaltungsräte eine Frauenquote von 30% und für Geschäftsleitungen eine Quote von 20% vor.

Dokumentation