humanrights.ch Logo Icon

Tibet-Demonstration: Empörung über das Vorgehen der Behörden

04.02.2009

«Krasse Verletzung von Grundrechten», «eine Schande für die direkte Demokratie» - solche und ähnliche Aussagen herrschen in der Flut von Leserbriefen vor, welche die schweizerischen Tages-Zeitungen in den letzten Tagen erhalten und veröffentlicht haben. Anlass dazu gaben unschöne Vorkommnisse rund um den Besuch des chinesischen Premierministers Wen Jiabao in Bundesbern und seine Teilnahme am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. In Davos beschlagnahmte die Polizei eine tibetische Flagge vom Schaufenster eines zentral gelegenen Geschäfts und in Bern verhinderte ein Grossaufgebot von Polizisten eine friedliche Kundgebung auf dem Bundesplatz.

Beschämende Verletzung der Menschenrechte

Die erfolgten Interventionen seien beschämend, finden etliche «Bund»-Leser auf der Website der bernerischen Tageszeitung. «Das riesige Aufgebot der Polizei war in keinem Masse gerechtfertigt und unverhältnismässig», meint beispielsweise die Berner Grossrätin Béatrice Stucki in einem Leserbrief vom 2. Februar 2009. Sie spricht damit den Polizeieinsatz vom 27. Januar in Bern an, bei dem rund 20 friedlich demonstrierende Personen verhaftet wurden. Anscheinend wollten die Behörden mit allen Mitteln eine Wiederholung des diplomatischen Eklats beim chinesischen Staatsbesuch vor zehn Jahren verhindern. Damals hatten die Skandierungen von tibetischen Aktivisten den Premier aus dem Reich der Mitte stark verärgert, wie der «Bund» vom 28. Januar 2009 berichtet.

Von den wenigen Verbliebenen – darunter vor allem Frauen und Kinder - bekam Jiabao durch den eilig aufgestellten Sichtschutz in Form von grossen Polizeiwagen gemäss Angaben des «Bundes» nichts mit. Formaljuristisch sei dieser Eingriff zwar korrekt gewesen, kommentiert die Zeitung einen Tag danach. Dennoch dürfe die Meinungsäusserungsfreiheit nicht derart leichtfertig preisgegeben werden. Dieselbe Haltung vertritt ein Leserbriefschreiber aus der Region Bern. Den Grund für diese Menschenrechtsverletzung sieht er bei den wirtschaftlichen Interessen der Schweiz. Viele weitere Leserbrief-Stimmen empören sich darüber, dass ökonomische Interessen über die Menschenrechte gestellt wurden.

Rechtliche Grundlage fehlt

Als weiteren krassen Eingriff in die Grundrechte bezeichnen viele «Bund»-Leser den Entscheid der Bündner Regierung, tibetische Bücher und Flaggen aus einem Schaufenster entfernen zu lassen. Er habe kein Verständnis dafür, «wie sich die Schweizer Politiker von einer Diktatur wie China in die Knie zwingen lassen, aus dem einzigen Grund, die wirtschaftlichen Beziehungen zu verbessern», entrüstet sich ein Leser. Die Bündner Justizdirektorin hat sich gemäss Angaben der NZZ bei der betroffenen Geschäftsführerin für «die Umtriebe und Aufregung» entschuldigt. Die Massnahme selbst empfindet sie aber nach wie vor vertretbar und verhältnismässig. Anders sieht dies Catherine Weber, Geschäftsführerin des Verbandes Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz. Wie sie gegenüber der NZZ erwähnt, fehle einem solchen Vorgehen jegliche rechtliche Grundlage.

Zynische Aussagen des Bundespräsidenten

Als beschämend und widersprüchlich erachtet eine Leserin die Worte von Bundespräsident Merz am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. Er soll dort gesagt haben, die Schweiz sei eines der offensten Länder der Welt. «Hier haben Menschen und Ideen seit langem die Freiheit, gehört zu werden.» In Anbetracht der beschriebenen Geschehnisse erscheint dies als zynisch.

Scharf kritisiert wird der Bundespräsident auch für seine Aussage, dass im Sommer dann mit China im Rahmen des institutionalisierten Menschenrechtsdialogs über Menschenrechte geredet werde. Beim aktuellen Treffen wurden Menschenrechtsthemen laut Angaben vom «Bund» nur gestreift und die Lage in Tibet ganz ausgeklammert. Auch aus Sicht von Humanrights.ch / MERS handelt es sich bei dem Verweis des Bundespräsidenten auf den regulären Menschenrechtsdialog um dessen politische Instrumentalisierung, welche die  bescheidenen positiven Ergebnisse dieses Dialogs zunichte gemacht hat.

Weiterführende Informationen