humanrights.ch Logo Icon

Religion bei der Arbeit

27.01.2023

Die Religionsfreiheit von Privatpersonen ist im Arbeitsverhältnis gesetzlich geschützt. Dennoch gibt es Ausnahmen, so etwa für staatliche Betriebe oder Tendenzbetriebe, in welchen die Religionsfreiheit der Angestellten durch ihre Arbeitgebenden eingeschränkt werden darf.

Am Arbeitsplatz treffen verschiedene religiös praktizierende und nicht praktizierende Menschen aufeinander. Zwar zeigt ein Blick auf die Rechtsprechung, dass es dabei selten zu arbeitsrechtlichen Konflikten kommt, in der Praxis wirft der Umgang mit religiös praktizierenden Angestellten aber immer wieder Fragen auf.

Grundrechte im Arbeitsvertrag

Ausgangspunkt für das Praktizieren einer Religion im Rahmen des Arbeitsverhältnisses ist das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art.15 BV).  Die Behörden haben gemäss der Bundesverfassung (Art. 35 Abs. 3 BV) dafür zu sorgen, dass die Grundrechte auch im privaten Bereich – wie in Arbeitsverhältnissen zwischen Privatpersonen – geschützt werden. Aus der Sicht des Arbeitsrechts ist das Grundrecht der Religionsfreiheit im privaten Arbeitsverhältnis insbesondere durch den Persönlichkeitsschutz gemäss Artikel 328 Absatz 1 des Obligationenrechts und den Schutz gegen missbräuchliche Kündigung wegen einer persönlichen Eigenschaft (Art.336 Abs.1 lit.a OR) gedeckt. Die Arbeitgebenden besitzen eine Fürsorgepflicht. Sie sind dazu verpflichtet, die Arbeitnehmer*innen zu schützen und zu achten (Art.321d OR). Von zentraler Bedeutung ist die Pflicht zum allgemeinen Schutz der Persönlichkeit der Arbeitnehmenden (Art.328 OR). So obliegt es den Arbeitgebenden, die Arbeit so auszugestalten, dass die Arbeitnehmenden den eigenen religiösen Pflichten ungestört nachgehen können, solange dies vom Aufwand her zumutbar ist und nicht mit den vertraglichen Leistungspflichten der Arbeitnehmenden in Konflikt gerät.

Eine Ausnahme bilden sogenannte «Tendenzbetriebe», die religiös oder weltanschaulich ausgerichtet sind. In einem solchen Fall können Arbeitgebende von den Mitarbeitenden verlangen, dieselbe Ausrichtung zu teilen und bestimmte Verhaltensweisen zu praktizieren. Beispielsweise handelt es sich bei Kirchen um sogenannte Tendenzbetriebe, in denen Angestellte eine höhere Loyalitätspflicht einhalten müssen, was in Konflikt mit ihren Grundrechten treten kann.

Diskriminierung bei der Einstellung

In der Praxis bestehen im Arbeitsmarkt gegenüber religiös praktizierenden Menschen viele Vorurteile. Diskriminierende Nichtanstellungen sind im Gleichstellungsgesetz nur aufgrund des Geschlechts (Art. 3 GIG) nicht aber aus religiösen Gründen verboten. Private Arbeitgebende sind bei der Anstellung dem Diskriminierungsverbot nicht unterworfen (Art. 35 Abs. 3 BV) und können deshalb aus religiösen Gründen von der Einstellung bestimmter Arbeitssuchender absehen. Gegen diskriminierende Nichtanstellungen aus religiösen Gründen kann aber rechtlich mit Verweis auf den Schutz der Persönlichkeit (Art. 28 Abs. 1 ZGB) und die Pflicht zum Handeln nach Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) vorgegangen werden.

Besonders bei Personen die Sozialhilfe beziehen kann hinterfragt werden, ob Personen auf das Tragen religiöser Kleidungsstücke oder die Einhaltung religiöser Vorschriften verzichten sollen um ihre Vermittelbarkeit zu erhöhen. Es kommt nämlich vor, dass Sozialhilfebeziehende keine Anstellung finden oder annehmen können, weil sie sich nicht mit ihren religiösen Einstellungen vereinbaren lässt. Beispielsweise werden Personen, die ein Kopftuch tragen, bei der Arbeitssuche strukturell diskriminiert oder orthodoxe Jüd*innen möchten eine Anstellung in der Gastronomie nicht annehmen, da sie dort mit nicht koscherem Essen in Berührung kommen. Die Sozialhilfebehörden sind an die Grundrechte gebunden und dazu verpflichtet, zu deren Verwirklichung beizutragen. Eingriffe in die Religionsfreiheit können zwar unter Umständen gerechtfertigt sein, wenn der Kerngehalt nicht verletzt wird. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat aber 1997 im Urteil C 366/96 klar festgehalten, dass die Religionsfreiheit vor die Schadensminderungspflicht tritt. Es ergäbe sich sonst ein erheblicher Gewissenskonflikt für die Sozialhilfebezüger*innen, da diese damit vor die unzulässige Wahl gestellt würden, in wirtschaftlicher Armut zu leben oder eine für sie wichtige religiöse Vorschrift zu verletzen.

Religiöse Pflichten während der Arbeitszeit

Religiös praktizierende Personen haben unterschiedlich starke Bedürfnisse religiöse Pflichten einzuhalten. Zu religiösen Pflichten können Gebete zu bestimmten Tageszeiten, das Tragen religiöser Symbole und Kleidungsstücke sowie die Einhaltung religiöser Feiertage gehören. Teilweise geraten solche Anliegen mit den Gegebenheiten am Arbeitsplatz in Konflikt, weshalb rechtliche Vorgaben existieren.

Die Arbeitgebenden können Gebete während der Arbeitspausen nicht verbieten. Gemäss dem Arbeitsgesetz (Art.48 Abs.1 lit.a) kommt den Arbeitnehmenden bezüglich der Pausengestaltung ein Mitbestimmungsrecht zu. Soweit die Arbeitsabläufe es erlauben, sind die Arbeitgebenden dazu angehalten, auf die Gebetszeiten ihrer Angestellten Rücksicht zu nehmen, falls diese es verlangen. Um das Gebet in Ruhe vollziehen zu können, muss den Arbeitsnehmenden aufgrund der Fürsorgepflicht und des Persönlichkeitsschutzes im Rahmen des Möglichen ein geeigneter Ort zum Beten zur Verfügung gestellt werden. Einige grössere Firmen haben einen «Raum der Stille» oder «multi faith room» eingerichtet, der Mitarbeitenden aller Religionen und Konfessionen zur Verfügung steht. Um die Treupflicht nicht zu verletzen, müssen Arbeitgebende von Arbeitnehmenden über Abwesenheiten aber informiert werden, ansonsten kann es zu Konsequenzen bis hin zur Kündigung kommen.

Im privaten Arbeitsverhältnis kann auch das Tragen eines religiösen Symbols, wie beispielsweise eines Kopftuches oder eines Dastars, nur durch vertragliche Bestimmungen oder Weisungen mit einer sachlichen Begründung verboten werden. Ein Verbot kann aus sachbezogenen Gründen wie der Hygiene, der Sicherheit oder der Behinderung einer korrekten Ausführung der Arbeit ausgesprochen werden. Eine Weigerung der Arbeitnehmenden, das religiöse Kleidungsstück abzulegen, stellt bei fehlender betrieblicher Notwendigkeit keine Verletzung der Gehorsamspflicht und somit auch keinen Kündigungsgrund dar. Gesetzlich legitim kann eine Kündigung in einem solchen Fall nur sein, wenn eine klare, sachliche und nachweisbare negative Auswirkung auf die Fähigkeit besteht, die Arbeitspflicht und Treuepflicht korrekt zu erfüllen.

Im öffentlichen Sektor kann die Ausübung der Religionsfreiheit der Angestellten – durch das Tragen von religiösen Symbolen oder Kleidungsstücken am Arbeitsplatz – nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 123 I 296) eingeschränkt werden. Dies wird begründet mit der Repräsentation der Angestellten eines weltanschaulich neutralen Staates. Beispielsweise kann Lehrpersonen an öffentlichen Schulen Lehrpersonen das Tragen eines Kopftuches verboten werden (mehr dazu im Artikel Religion in der Schule).

Arbeitnehmende haben die Möglichkeit, auch an nicht gesetzlich anerkannten religiösen Feiertagen die Arbeit auszusetzen. In einem solchen Fall müssen sie die Arbeitgebenden spätestens drei Tage im Voraus darüber informieren, woraufhin diese dazu verpflichtet sind, den Ruhetag zu gewähren (Art.20a Abs.2 ArG). Der freie Tag ist jedoch unbezahlt oder zu kompensieren (Art.11 ArG). Auch für den Besuch von religiösen Feiern muss die erforderliche Zeit nach Möglichkeit freigegeben werden (Art.20a Abs.3 ArG).

Entlassung aus religiösen Gründen

Wenn die Kündigung aus Gründen ausgesprochen wird, die den Kernbereich der Religionsfreiheit – die Religionszugehörigkeit – betreffen, ist sie immer missbräuchlich (OR Art.336 Abs.1 lit.b). Ausnahmen bilden aus der Religionsausübung resultierende Verletzungen der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis oder wesentliche Beeinträchtigungen der Zusammenarbeit im Betrieb.

Die Tendenzbetriebe nehmen hier wiederum eine Sonderrolle ein. Beispiel für eine gerechtfertigte Kündigung ist die Entlassung eines Mitglieds der Moon-Bewegung, welches als Gewerkschaftssekretär in einem Tendenzbetrieb arbeitete. Das Bundesgericht begründete die Rechtmässigkeit der Kündigung mit der Unvereinbarkeit der Auffassungen der Moon-Bewegung mit der betroffenen Gewerkschaft (BGE 130 III 699).

Weitere Informationen