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Freihandelsabkommen Schweiz-Kolumbien in Kraft – Offener Brief an das SECO

08.09.2011

Am 1. Juli 2011 ist das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und Kolumbien in Kraft getreten, welches vom Schweizer Parlament im Herbst 2009, ungeachtet der massiven Kritik einer Koalition von schweizerischen Nichtregierungsorganisationen, ratifiziert worden war. Eine neue NGO-Koalition verlangt nun in einem offenen Brief vom Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, die Auswirkungen des Freihandelsabkommens auf die Menschenrechtslage in Kolumbien zu überprüfen. Doch das SECO weicht in seinem Antwortbrief den zentralen Forderungen aus.

Brief der NGO-Koalition an das SECO

Bei Freihandelsabkommen ist ein Staatsvertragsreferendum im Normalfall nicht vorgesehen. Die Kontrollfunktion der NGO beschränkt sich damit auf die Information der Bevölkerung und Appelle an die Verwaltung. Ein solcher Appell, initiiert von der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ask) und mitgetragen von sieben weiteren NGOs, erging Ende Juni an das für die Anwendung und Überwachung des FHA federführende Staatssekretariat für Wirtschaft.

In diesem offenen Brief wird zuvorderst der Sorge um die möglichen negativen Auswirkungen des Freihandelsabkommen auf die Respektierung der Menschenrechte in Kolumbien Ausdruck verliehen. Trotz einiger Ansätze zu einer positiven Entwicklung unter der neuen Regierung Santos sei die Lage insbesondere der Menschenrechtsverteidiger/innen in Kolumbien anhaltend kritisch. Die landwirtschaftliche Produktion ziele an der Bevölkerung vorbei auf externe Märkte, und eine lasche Bergbau-Gesetzgebung leiste Umweltschäden und Enteignungen Vorschub. Der Aufruf schliesst mit konkreten Forderungen:

  • Es soll eine Analyse der wirtschaftlichen und handelspolitischen Folgen des Freihandelsabkommens, insbesondere auch eine menschenrechtliche Verträglichkeitsprüfung, vorgenommen und über die geplanten Schritte hierzu informiert werden.
  • Das menschenrechtliches Engagement der Schweiz in Kolumbien soll verstärkt werden, insbesondere durch eine verbesserte Koordination der involvierten Schweizer Behörden (Botschaft, Departement für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA, SECO).
  • Es soll auf eine nachhaltige Anwendung des Freihandelsabkommen geachtet werden und informiert werden, wie dies sichergestellt werden kann.
    Die Schweiz soll sich klar für die Opfer von Landenteignungen und Bergbau-Projekten engagieren.
  • In diesem Zusammenhang sei besonderes Augenmerkt auf die Rechte der indigenen Bevölkerungsgruppen zu legen (ILO-Konvention 169), insbesondere im Zusammenhang mit Schweizer Unternehmen und Investitionen.

Die Antwort des SECO

In seinem Antwortschreiben vom 22. Juli 2011 hebt das SECO das vielfältige Engagement der Schweiz in Kolumbien hervor. Betreffend Nachhaltigkeit wird auf (nicht näher bezeichnete) Bestimmungen des Freihandelsabkommens verwiesen und bezüglich der Rechte der indigenen Bevölkerung auf einen Bericht des Bundesrates aus dem Jahre 2006, der sich allerdings mit der Situation der Fahrenden in der Schweiz befasst. Die einzige Stelle des Antwortschreibens, die sich als wirkliche Konzession an den Absender interpretieren liesse, lautet: «Im Rahmen künftiger Entwicklungen des Abkommens wird das SECO auch die Möglichkeit zur Aufnahme zusätzlicher Bestimmungen im Bereich von Handel und nachhaltiger Entwicklung prüfen.» Das SECO sagt jedoch nicht, wann es diese Prüfung vorzunehmen gedenkt.

Auf die zentrale Forderung der NGOs – die Durchführung einer nachträglichen menschenrechtlichen Verträglichkeitsprüfung – geht das SECO mit keiner Silbe ein. Das erstaunt wenig. Nachdem eine Motion für eine solche Prüfung im Freihandelsabkommen mit China im Parlament versandet ist, sieht sich das SECO keinem nennenswerten politischen Druck aus Bundesbern mehr ausgesetzt. Auch ist fraglich, ob die starke Fluktuation unter den NGO-Koalitionspartnern interne Uneinigkeit über das Vorgehen signalisiert und ihren Forderungen zusätzlich Wind aus den Segeln nimmt.

Kontext der EFTA

Die Verhandlungen für das Freihandelsabkommen hat die Schweiz zusammen mit ihren EFTA-Partnern Island, Lichtenstein und Norwegen geführt. Das Abkommen tritt aber für jeden EFTA-Staat gesondert in Kraft. Auch wird es durch separate Landwirtschaftsabkommen ergänzt, die den Freihandel mit unverarbeiteten Landwirtschaftsprodukten regeln. Hier fand die EFTA offenbar keine gemeinsame Linie und hat die Klärung dieser Frage den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen. Durch die Verknüpfung dieser bilateralen Sonderregelungen mit dem Grundabkommen spielte die Verhandlungsmacht der EFTA aber auch dort.

Soweit das SECO eine Ergänzung des Freihandelsabkommen im Bereich «Handel und nachhaltige Entwicklung» in Erwägung zieht, bewegt es sich im Rahmen der jüngsten Ergänzung der EFTA-Modellbestimmungen zum Abschluss von Freihandelsabkommen um ebendiesen Themenbereich. Aber einerseits lagen diese Bestimmungen bei der Aushandlung des Freihandelsabkommens noch nicht vor, und andererseits sehen auch die neuen Richtlinien keine eigentliche menschenrechtliche Verträglichkeitsprüfung vor. Die Absichtsbekundung des SECO ist aber durchaus ernst zu nehmen und wohl auch ernst gemeint, zumal der Schweizer EFTA-Partner Norwegen gemäss seinen politischen Richtlinien auf eine entsprechende Ergänzung des Freihandelsabkommen drängen wird. Denn seit 2008 unterstützt die norwegische Regierung ausdrücklich die «Decent Work Agenda» der Internationalen Arbeitsorganisation und nimmt sich vor, durch ihre Handelspolitik auch in Drittstaaten für annehmbare Arbeitsbedingungen zu sorgen. Auch der allgemeine internationale Trend begünstigt die Integration der Handels- in die Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik. So wurde ein Freihandelsabkommen Kanadas mit Kolumbien nachträglich um eine jährlich vorzunehmende Nachhaltigkeitsprüfung ergänzt, und die USA legten ein Freihandelsabkommen mit ebendiesem Land wegen menschenrechtlicher Bedenken auf Eis.

Strategie der Trennung von Handels- und Menschenrechtsfragen

Dennoch überwiegt der Eindruck, dass das SECO eine direkte Verknüpfung der Schweizerischen Freihandelspolitik mit der offiziellen Menschenrechtspolitik der Schweiz, wie sie dem NGO-Appell gedanklich zugrunde liegt, möglichst vermeiden möchte. Das von der SECO hervorgehobene Engagement der Schweiz in Kolumbien wird denn auch durchwegs von anderen Departementen getragen, das SECO selbst ist lediglich bereit, «auf eine Stärkung der Komplementarität zwischen ihren Aktionslinien (zwischen dem SECO und dem EDA, der Verf.) zu achten».

Die für die Wirtschaft bewährte Strategie einer systematischen Trennung von Handels- und Menschenrechtsfragen gerät nun aber allmählich ins Wanken. Denn diese beiden Artikulationen des internationalen Rechts können nicht weiter unvermittelt nebeneinander stehen, weil sie zahlreiche sachliche Verknüpfungen aufweisen. Gegenwärtig gilt es, diese Erkenntnis in methodische Instrumente umzuwandeln. Die aktuelle Entwicklung beleuchtet humanrights.ch in einem separaten Artikel.

Unterschiedliche Einschätzungen zur Lage in Kolumbien

Während die konzeptionellen Meinungsverschiedenheiten zum Verhältnis von Freihandelsabkommen und Menschenrechtsabkommen im Schriftenwechsel zwischen den NGO und dem SECO nicht offen zum Vorschein kommt, werden divergierende Ansichten zur jüngsten Entwicklungen in Kolumbien unter der Regierung Santos deutlich. Das für die Bewältigung des jahrzehntelangen innerkolumbianischen Konflikts essentielle «Landrückerstattungs- und Opfergesetz» etwa wird von ask als gut gemeint, aber in der Umsetzung als problematisch beurteilt, während das SECO gerade diese Umsetzung unterstützen will. Auch die von Präsident Santos initiierte und vom SECO ebenfalls lobend erwähnte Menschenrechtskonferenz wird gemäss Angaben von ask von den lokalen NGOs als Bevormundung durch die Regierung empfunden.

Ausblick

Das äusserst komplexe Umfeld in Kolumbien lässt verschiedene Interpretationen der jüngsten Entwicklungen zu. Entscheidender als die Frage, ob die Menschenrechtslage in Kolumbien sich verbessert hat oder nicht und wie gross der Beitrag der Schweiz zu dieser Entwicklung ist, ist jedoch die Frage danach, ob das Freihandelsabkommen der Schweiz mit Kolumbien in seiner Anwendung den Menschen in Kolumbien letztlich nützt oder schadet. Diesem integrierenden Ansatz der NGOs steht ein Ablassdenken des SECO gegenüber, wonach dem Freihandel und seinen Profiteuren möglichst keine Hindernisse in den Weg gestellt werden sollen, um dann bei der Bewältigung eventueller negativer Folgen externe Akteure zu unterstützten. Es liegt an den NGOs, hier nachzubohren und mit spezifischeren Fragen keinen Raum für ausweichende Antworten mehr zuzulassen. Etwa mit der Frage, welche Schweizer Produkte von Art. 6.11 des Abkommens (Schutz vertraulicher Informationen / Massnahmen bezüglich regulierter Erzeugnisse) geschützt sind und was die praktischen Auswirkungen dieses Schutzes auf die kolumbianischen Produzenten/innen und Konsumenten/innen sind.

Weitere Quellen