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Die Situation von Frauen und Mädchen auf der Flucht und im schweizerischen Asylverfahren

06.12.2016

30 Millionen Frauen und Mädchen sind laut dem UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR weltweit auf der Flucht. 10‘957 von ihnen schafften es im Jahr 2015, in die Schweiz einzureisen und hier ein Asylgesuch zu stellen. Die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA) skizziert nun in ihrem kürzlich erschienen Bericht frauenspezifische Fluchtgründe; Gefahren, denen Frauen und Mädchen auf ihrem beschwerlichen Weg in die Schweiz begegnen; die Verhältnisse im Schweizer Asylverfahren und die Bedingungen, unter denen geflüchtete Frauen nach Abschluss des Verfahrens in der Schweiz leben.

Der Bericht ist bemerkenswert: Die Autorin Alexandra Büchler schafft es, Fallbeispiele in einen sinnigen Zusammenhang mit den geltenden Rechtsgrundlagen zu bringen. Damit wird deutlich, dass sich der Flüchtlingsbegriff und das Asylverfahren an einer stereotypen, eindeutig männlich geprägten Vorstellung von Flucht und Flüchtenden orientieren.

Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland, ...

Frauen flüchten, genauso wie Männer, weil ihre grundlegendsten Rechte missachtet werden: Sie leiden unter Kriegssituationen, werden aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt oder ihnen wird der Zugang zu Nahrung und Boden verweigert. Im Bericht wird anschaulich dargelegt, dass für Frauen aber darüber hinaus spezifische Fluchtursachen hinzukommen, die mit ihrem Geschlecht verknüpft sind. Dazu gehören beispielsweise Zwangsheiraten, Genitalverstümmelungen und systematische Vergewaltigungen als Kriegstaktik.

…auf der Flucht,

Seit die Schweiz im Jahr 2012 das Botschaftsasyl abgeschafft hat, sind Mädchen und Frauen umso mehr gezwungen, eine gefährliche Flucht auf sich zu nehmen. Auf dem Weg in die Schweiz sind sie, so der Bericht, nur ungenügend geschützt: Schlepper, männliche Flüchtende und staatliche Sicherheitskräfte belästigen sie und tun ihnen Gewalt an. Sie müssen für ihre Reise oft höhere Preise bezahlen, sind insbesondere in Flüchtlingslagern und auf Booten zusätzlich gefährdet und haben weniger Möglichkeiten als Männer, sich auf der Flucht die nötigen finanziellen Mittel zu beschaffen.

…im Asylverfahren und danach.

Kritisiert wird im Bericht auch der Umgang mit Frauen im Asylverfahren in der Schweiz. So werden geschlechtsspezifische Fluchtgründe nicht sorgfältig abgeklärt, in Anhörungen wird der besonderen Situation von Frauen und Mädchen nicht Rechnung getragen und Traumatisierungen der Geflüchteten werden nicht ernstgenommen.

Die Istanbul-Konvention, die von der Schweiz unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert wurde, verpflichtet in Art. 60 die Behörden zu einem geschlechtersensiblen Umgang mit asylsuchenden Frauen. Dennoch legt das Staatsekretariat für Migration SEM ungenaue oder uneinheitliche Aussagen häufig zu Ungunsten der Asylbewerberinnen aus. In vielen Fällen scheuen sich die Frauen, über erfahrene Gewalt zu sprechen oder sind aufgrund einer Traumatisierung nicht in der Lage, die Ereignisse zusammenhängend zu schildern. Wird ein solches Verhalten von den Behörden als willkürliche Verletzung der Mitwirkungspflicht oder als Indiz für Unglaubwürdigkeit qualifiziert, haben die Frauen kaum eine Chance auf eine Anerkennung als Flüchtling.

Gemäss Bundesverwaltungsgericht liegt zwar immer dann ein asylrelevantes Verfolgungsmotiv vor, wenn die Verfolgung in diskriminierender Weise an das Geschlecht anknüpft. Obwohl auf innerstaatlicher Ebene auch Art. 3 Abs. 2 des Asylgesetzes (AsylG) die Behörden explizit dazu verpflichtet, frauenspezifischen Fluchtgründen Rechnung zu tragen, akzeptiert das Bundesverwaltungsgericht in der Praxis solche Gründe zu selten, sondern schützt die Ablehnung von Asylgesuchen wegen fehlender Glaubhaftigkeit. Oft wird den Erlebnissen und Traumatisierungen von Frauen durch die Behörden und Gerichte erst im Rahmen der Beurteilung, ob eine Wegweisung zumutbar erscheint, Rechnung getragen. So erhalten viele Frauen nur eine vorläufige Aufnahme und sind damit gegenüber anerkannten Flüchtlingen rechtlich schlechter gestellt.

Lösungsansätze und Forderungen

Die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht fordert im Bericht eine Anerkennung der besonderen Situation von geflüchteten Frauen und Mädchen in der Schweiz. Insbesondere, so der Bericht, sind „eine kontinuierliche Sensibilisierung und Aufklärung sowie gendersensitive Weiterbildungen für Mitarbeitende der zuständigen Behörden“ notwendig. Ebenso wichtig erscheinen der Beobachtungsstelle Anpassungen in Bezug auf die Anhörung und eine angemessene medizinische Begleitung derselben. Unabdingbar sei es ausserdem, bei Behörden ein vertieftes Verständnis der Lebensrealitäten von Frauen in ihren Herkunftsländern zu schaffen. Weitere Forderungen betreffen u.a. die Veröffentlichung einer geschlechtergetrennten Asylstatistik und die Verbesserung der unmenschlichen Nothilfestrukturen.

Dokumentation

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