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Selbstbestimmungsinitiative

Das Wichtigste in Kürze

22.08.2018

Die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» zielt darauf ab, den Vorrang des Verfassungsrechts gegenüber dem Völkerrecht zu verankern und die Behörden zu verpflichten, der Verfassung widersprechende völkerrechtliche Verträge anzupassen und nötigenfalls zu kündigen. Weiter sollen völkerrechtliche Verträge, die nicht dem Referendum unterstanden, für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden nicht mehr massgebend sein.

Im Folgenden fasst humanrights.ch das Wichtigste in Kürze zur Initiative zusammen.

Die Selbstbestimmungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei SVP wurde am 12. August 2016 eingereicht und kommt am 25. November 2018 zur Abstimmung. Die Initiantinnen und Initianten wollen den Vorrang des Verfassungsrechts gegenüber dem Völkerrecht verankern und die Behörden verpflichten, der Verfassung widersprechende völkerrechtliche Verträge anzupassen und nötigenfalls zu kündigen. Weiter sollen völkerrechtliche Verträge, die nicht dem Referendum unterstanden, für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden nicht mehr massgebend sein.

Der Bundesrat, das Parlament und alle Parteien mit Ausnahme der SVP lehnen die Selbstbestimmungsinitiative (SBI) klar ab. Sie gefährdet die Rechtssicherheit in den internationalen Beziehungen und unterwandert die Glaubwürdigkeit der Schweiz als zuverlässige Vertragspartnerin. Schliesslich droht mit der SBI eine Schwächung der international gültigen Menschenrechte in der Schweiz, namentlich der Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Wie kam es zur Selbstbestimmungsinitiative?

Seit der 1. August-Rede des damaligen Bundesrats Blocher im Jahr 2007 hatte die SVP über viele Jahre hinweg mit orchestrierten Polemiken und politischen Vorstössen gegen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und das Völkerrecht im allgemeinen Stimmung gemacht. Was ist der sachliche Grund für diese Kampagne?

Juristische Ausgangslage

In der Schweiz wird ratifiziertes Völkerrecht automatisch Teil der eigenen Rechtsordnung. Die Bundesverfassung erklärt das Völkerrecht neben dem Bundesrecht für massgebend und hält fest, dass Bund und Kantone das Völkerrecht zu beachten haben. Damit müssen das Bundesgericht und die Behörden völkerrechtliche Vorgaben auch dann anwenden, wenn sie bestimmten verfassungsrechtlichen Regelungen widersprechen.

In der Vergangenheit ist es wiederholt vorgekommen, dass gewisse Aspekte von Volkinitiativen mit geltenden völker- und menschenrechtlichen Normen nicht vereinbar waren (z.B. Verwahrungs-Initiative, Minarett-Initiative, Ausschaffungs-Initiative). Da die völkerrechtlichen Normen jedoch Teil der Schweizerischen Rechtsordnung sind, müssen sie im Rahmen der Umsetzung einer angenommenen Volksinitiative und der Rechtsprechung ebenso wie die nationale Gesetzgebung und das Verfassungsrecht berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für völkerrechtliche Garantien im Bereich der Menschenrechte.

Provozierte Probleme bewirtschaften

Die Bemühungen des Parlaments, einmal angenommene Volksinitiativen in menschenrechtskonforme Gesetze umzugiessen, waren der Schweizerischen Volkspartei (SVP) stets ein Dorn im Auge. Es war geradezu ein Zweck oder mindestens ein nützlicher Nebeneffekt der menschenrechtlich heiklen Volksinitiativen, aus den Schwierigkeiten der Umsetzung wieder politisches Kapital zu schlagen, indem Feindbilder wie die «fremden Richter in Strassburg» oder «das Völkerrecht» systematisch genährt wurden. Als Krönung der jahrelangen Polemiken startete die rechtspopulistische Partei am 10. März 2015 unter dem Titel «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» die Unterschriftensammlung für ihre Initiative gegen das Völkerrecht und zog mit der entsprechenden Kampagne gegen die «fremden Richter» in den Wahlkampf für die National- und Ständeratswahlen im Herbst 2015.

Selbstbestimmungsinitiative: von Bundesrat und Parlament abgelehnt

Nachdem die Generalprobe in Sachen «Landesrecht vor Völkerrecht» im Februar 2016 mit der Durchsetzungsinitiative gescheitert war (diese enthielt erstmals einen expliziten Vorrang des Landesrechts), zögerten die Initiantinnen und Initianten mit der Einreichung der Selbstbestimmungsinitiative. Zuerst wurde abermals eine Kampagne gegen die «fremden Richter» lanciert, diesmal gegen ein mögliches institutionelles Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU.

Schliesslich wurde die Selbstbestimmungsinitiative am 12. August 2016 mit 116 428 gültigen Unterschriften eingereicht. Im Juli 2017 veröffentlichte der Bundesrat seine Botschaft zur Initiative und beantragt darin dem Parlament, diese abzulehnen. Der Ständerat hat am 13. März 2018 das Volksbegehren mit deutlichem Mehr von 36 zu 6 zur Ablehnung empfohlen. Auch der Antrag für einen Gegenvorschlag wurde klar verworfen. Der Nationalrat folgte dem Ständerat am 11. Juni 2018 mit 127 gegen 67 Stimmen. Damit empfiehlt das Parlament dem Stimmvolk, die Selbstbestimmungsinitiative der SVP abzulehnen.

Was will die Selbstbestimmungsinitiative?

Mit der Initiative soll der Vorrang der Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht eingeführt werden. Der Initiativtext erweckt den Anschein, eine klare Regelung des Verhältnisses von Landesrecht und Völkerrecht zu schaffen und absolute Widerspruchsfreiheit herzustellen. Bei genauerer Betrachtung wird aber ersichtlich, dass das Gegenteil der Fall ist, denn der Wortlaut der Initiative wirft viele komplexe Auslegungsprobleme auf.

Vorrang der Bundesverfassung

Der erste Teil der Selbstbestimmungsinitiative will Art. 5 der Bundesverfassung um die Bestimmungen ergänzen, dass diese die «oberste Rechtsquelle» darstellt und zugleich über dem Völkerrecht steht und ihm vorgeht. Ausgenommen von dieser Bestimmung ist in diesem Absatz der Initiative lediglich das zwingende Völkerrecht.

Ausräumung von Widersprüchen

Zweitens hält die Initiative in einem neuen Art. 56a fest, dass Bund und Kantone keine völkerrechtlichen Verpflichtungen eingehen dürfen, welche der Bundesverfassung widersprechen. Liegt ein solcher Widerspruch vor, muss eine entsprechende «Anpassung der völkerrechtlichen Verpflichtungen an die Bundesverfassung» vorgenommen werden, «nötigenfalls durch Kündigung der betreffenden völkerrechtlichen Verträge.» Auch hier sind die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts vorbehalten.

Und eine grosse Ausnahme

Spätestens mit dem dritten Artikel der Selbstbestimmungsinitiative ist es jedoch mit der vermeintlichen Eindeutigkeit vorbei. Entgegen der Stossrichtung der ersten beiden Artikel fordert die vorgeschlagene Ergänzung von Art. 190 BV, dass zukünftig nebst Bundesgesetzen nur noch völkerrechtliche Verträge, «deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat», für das Bundesgericht und andere rechtsanwendende Behörden «massgebend» sind.

Dies bedeutet jedoch umgekehrt, dass der vorab postulierte Vorrang der Bundesverfassung vor einem völkerrechtlichen Vertrag für das Bundesgericht dann nicht mehr gilt, wenn die Möglichkeit bestanden hat, gegen den Vertrag das Referendum zu ergreifen. Damit ist die vermeintlich klare Vorrangregelung entscheidend relativiert.