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Die Bestrafung von Folter lässt in der Schweiz auf sich warten

16.01.2023

Der Bundesrat hat einen Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung geschickt, der die Ausfuhr von Gütern, die zur Folter und Todesstrafe verwendet werden, unter Strafe stellen soll. Obwohl die UN-Antifolterkonvention in der Schweiz bereits 1987 in Kraft trat, ist der Straftatbestand der Folter im Strafgesetzbuch noch nicht verankert. Es ist höchste Zeit, dass die Schweiz eine Gesetzesbestimmung einführt, die Folter unter Strafe stellt, um ihren internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte nachzukommen.

Gespräch mit Jean-Daniel Vigny, Schweizer Mitglied des Ausschusses der FIACAT und der Expertengruppe der EU-Kommission für einen Warenhandel frei von Folter und Todesstrafe

Im März 2022 folgte die Rechtskommission des Ständerats derjenigen des Nationalrats und sprach sich für die Aufnahme von Folter als eigenem Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aus, wie dies 2020 von einer parlamentarischen Initiative gefordert worden war. Die nationalrätliche Kommission ist nun beauftragt, bis 2024 einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten. ACAT Schweiz ruft den Bund dazu auf, den gesetzlichen Rahmen zur Bestrafung von Folter zu stärken.

Der heutige gesetzliche Rahmen ist ungenügend

Heute sind die gesetzlichen Grundlagen für die strafrechtliche Verfolgung von Folter, unabhängig davon, wo sie begangen wurde, lückenhaft. Um Folter zu ahnden, müssen die Schweizer Strafverfolgungsbehörden auf einen oder mehrere von rund 15 Tatbeständen zurückgreifen, die von Körperverletzung über Tätlichkeiten, Drohungen, Nötigung, Beschimpfungen bis hin zu Gesundheitsgefährdung reichen. Eine ganze Reihe von Folterhandlungen, die sogenannte weisse Folter, können nur sehr schwer oder gar nicht verfolgt werden, da sie keine Spuren hinterlassen, wie Schlafentzug, lange Vermummung, andauernde Exposition gegenüber übermässig starkem Licht oder Musik oder andere moderne Techniken.

Darüber hinaus enthalten die anwendbaren Artikel des Strafgesetzbuches unterschiedliche Verjährungsfristen, während das Verbrechen der Folter ein unverjährbares Verbrechen darstellt, wie es auch für die Straftatbestände der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit gilt (Art. 101 StGB). Die Unverjährbarkeit von Folter stellt zudem regelmässig eine Empfehlung des UN-Ausschusses gegen Folter (CAT) dar. Auch könnten ausländische mutmassliche Folterer, die sich auf Schweizer Boden befinden, unter Umständen nicht verfolgt werden: Gemäss dem von der quasi-universellen Gerichtsbarkeit geforderten Prinzip der doppelten Strafbarkeit (Art. 6 Abs. 1 StGB) muss das Verbrechen der Folter in beiden Strafrechtssystemen als solches anerkannt werden.

Eine Verpflichtung, der die Schweiz nachkommen muss

Das Schweizer Strafgesetzbuch ermöglicht es, die Anwendung von Folter als Kriegsverbrechen (Art. 264c Abs. 1 Bst. c StGB) oder als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a Abs. 1 Bst. f StGB) unter Strafe zu stellen. Allerdings gibt es in der Schweiz heute keine Gesetzesbestimmung, die die Definition des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, das die Schweiz ratifiziert hat, vollständig übernimmt und die verlangt, dass «jeder Vertragsstaat dafür sorgt, dass alle Folterhandlungen nach seinem Strafrecht strafbar sind» (Art. 4). Die Straftatbestände und die angedrohten Strafen spiegeln nicht die Schwere solcher Verletzungen der Menschenwürde wider.

Der CAT, der die Schweiz im Juli 2023 überprüfen wird, hat unser Land bereits mehrfach aufgefordert, Folter unter Strafe zu stellen. Die Schweiz riskiert zudem jederzeit eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. In einem Urteil aus dem Jahr 2021 erinnerte der Gerichtshof daran, dass die Vertragsstaaten die positive Verpflichtung haben, einen Rechts- und Verwaltungsrahmen zu schaffen, der Menschen vor Angriffen auf ihre körperliche und seelische Unversehrtheit schützt, insbesondere durch die Verabschiedung strafrechtlicher Bestimmungen. Die Schweizer Behörden müssen daher nicht nur die strafrechtliche Verfolgung von Folter durch den Staat gewährleisten, sondern diese auch zwischen Privatpersonen gewährleisten.

Ein starkes Verbot der Ausfuhr von Gütern, die für Folter und Todesstrafe verwendet werden, ist erforderlich

Am 19. Oktober 2022 legte der Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Vernehmlassung vor, um die Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats zur Kontrolle von Gütern, die zur Vollstreckung der Todesstrafe oder zu Folter verwendet werden könnten, umzusetzen, die auf der EU-Verordnung 2019/125 beruht.

Dieses neue Gesetz über Güter, die zur Folter verwendet werden, sieht zum einen ein Verbot der Ein-, Durch- und Ausfuhr von Gütern, die zur Folter bestimmt sind, sowie der Bereitstellung technischer Hilfe und Werbung für diese Güter vor, und zum anderen eine Genehmigungspflicht für die Ausfuhr von Gütern, die zur Folter verwendet werden könnten, sowie für die Bereitstellung technischer Hilfe für diese Güter mit doppeltem Verwendungszweck und für die Vermittlung dieser Güter. Auch Medikamente, die zur Verhängung der Todesstrafe verwendet werden können, werden durch das neue Gesetz geregelt.

Die FIACAT (Fédération internationale des ACAT) ist der Ansicht, dass jedes nationale Gesetz, auch das der Schweiz, elektronische Spionagewerkzeuge in die Liste aufnehmen sollte - sei es Hardware (wie «IMSI catchers», Mikrorekorder, SIM-Karten zur Fernaufzeichnung) oder Software (wie PEGASUS), die es staatlichen Behörden oder nichtstaatlichen Akteuren, die gegen das Folterverbot verstossen, ermöglichen, Informationen, Kommunikation oder andere Daten von Menschenrechtsverteidiger*Innen abzuzapfen.

Als Mitglied der Allianz für einen Handel ohne Folter und als Vertragspartei der Anti-Folter-Konventionen der UNO und des Europarates muss die Schweiz den Kampf gegen Folter nicht nur als Priorität in ihrer aussenpolitischen Strategie verankern, sondern auch in der nationalen Gesetzgebung umsetzen.