22.05.2025
Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) besuchte im Frühjahr 2024 die Westschweiz, um zu überprüfen, inwieweit die Empfehlungen vom Juni 2022 umgesetzt wurden. Der Anfang 2025 veröffentlichte Bericht zeigt deutlich: Die Schweiz hat diese Vorgaben nur teilweise umgesetzt – Polizeigewalt bleibt in der Westschweiz an der Tagesordnung, und auch die Haftbedingungen sind weiterhin unzureichend.

Vom 19. bis 28. März 2024 besichtigte das CPT mehrere Gefängnisse und Polizeiposten in den Kantonen Freiburg, Genf, Wallis und Waadt. Es war bereits der zweite Ad-hoc-Besuch des Komitees in der Schweiz – insgesamt neun geplanten Besuchen. Der Fokus lag auf zwei zentralen Themen: dem Polizeigewahrsam und der Untersuchungshaft. Im Mittelpunkt stand dabei die Umsetzung langjähriger Forderungen sowie der Empfehlungen aus dem letzten Besuch im Jahr 2021.
Im Bericht von 2021 hatte das CPT unter anderem kritisiert, dass es an Schutzvorkehrungen gegen Misshandlungen im Polizeigewahrsam mangelt. Auch die Bedingungen in der Untersuchungshaft und der Mangel an psychiatrischen Behandlungsplätzen für Gefangene wurden beanstandet. Die Gefängnisse in der Westschweiz waren überbelegt – ein Missstand, den das Bundesgericht bereits 2016 gerügt hatte.
Bis zur erneuten Überprüfung im Jahr 2024 hatte die Schweiz nur wenige der Empfehlungen umgesetzt. Die Lage in den Gefängnissen blieb angespannt, und das Komitee dokumentierte zahlreiche glaubwürdige Zeugenaussagen über exzessive Polizeigewalt. Angesichts dieser Entwicklungen äusserte sich das Komitee äusserst besorgt und übte scharfe Kritik an der Schweiz.
Mangelhafte Verfahrensgarantien im Polizeigewahrsam
Wie bereits 2022 empfiehlt das CPT erneut, die geltenden Verfahrensgarantien anzupassen. So sollen inhaftierte Personen unmittelbar nach ihrer Festnahme Zugang zu einem Anwalt oder einer Ärztin erhalten und eine Drittperson über ihre Inhaftierung informieren dürfen. Diese Rechte bestehen laut Bundesrat teilweise bereits. Unter bestimmten Umständen – etwa bei Verdacht auf Kollusion – könne von ihrer Anwendung abgesehen werden. Das CPT stellte jedoch fest, dass diese Ausnahme häufiger zur Anwendung kommt, als es das Gesetz vorsieht. Die meisten befragten Inhaftierten konnten ihre Angehörigen erst sehr spät – oder gar nicht – informieren. Somit werden die rechtlichen Schutzgarantien in der Praxis von der Polizei oft nicht eingehalten.
Menschenrechtswidrige Haftbedingungen
Die Zustände im Polizeigewahrsam, insbesondere in Lausanne, wurden vom CPT scharf kritisiert: Mehrere Personen waren länger als die gesetzlich zulässigen 48 Stunden inhaftiert. Teilweise wurden sie über Wochen ohne Tageslicht, frische Luft oder jegliche Beschäftigung festgehalten – eine klare Verletzung der Menschenrechte.
Das CPT stellte zudem fest, dass viele Gefangene über Wochen oder gar Monate vollständig von der Aussenwelt abgeschnitten sind – mit gravierenden Folgen für ihre psychische Gesundheit. In manchen Fällen werden Gespräche vollständig aufgezeichnet; im Gefängnis Bois-Mermet betrifft dies sogar Gespräche zwischen Inhaftierten und ihren Anwält*innen, was das Anwaltsgeheimnis massiv verletzt.
Übergriffe durch Polizei- und Gefängnispersonal
Sowohl im Polizeigewahrsam als auch in Untersuchungshaft kam es laut dem CPT wiederholt zu Misshandlungen und übermässiger Gewaltanwendung. Im Polizeikontext spricht das Komitee angesichts zahlreicher glaubwürdiger Anschuldigungen sogar von einer etablierten Praxis. Diese wird in mehreren Fällen durch medizinische Befunde gestützt. Zu den dokumentierten Übergriffen gehören Ohrfeigen, Bisse durch Polizeihunde, gewaltsames Niederwerfen, Druck auf den Hals sowie das Pressen des Kopfes auf den Boden mit dem Fuß. Auch rassistische und fremdenfeindliche Beleidigungen und Drohungen sind laut Bericht weit verbreitet. Ähnliche Vorfälle wurden auch aus den Gefängnissen gemeldet – insbesondere im Gefängnis Champ-Dollon kam es bei Leibesvisitationen wiederholt zu Übergriffen durch das Personal.
Anhaltende Überbelegung der Gefängnisse
Die Haftbedingungen in den westschweizerischen Gefängnissen bleiben prekär. Besonders in den Gefängnissen Champ-Dollon (GE) und Bois-Mermet (VD) herrscht seit Jahrzehnten chronische Überbelegung. Zum Zeitpunkt des Besuchs lag die Belegungsrate im Bois-Mermet bei 166 %. In Kombination mit Personalmangel verhindert diese Überbelegung essenzielle Aktivitäten – wie etwa eine Ausbildung, Arbeit oder Sport – was dazu führt, dass Häftlinge bis zu 23 Stunden täglich in ihren Zellen verbringen. Dies verstösst gegen die Menschenrechte und wurde bereits 2020 vom Bundesgericht beanstandet. Laut CPT müsste das Aktivitätsangebot umso vielfältiger sein, je länger die Untersuchungshaft andauert.
Als Ursachen für die Überbelegung nennt das CPT unter anderem die hohe Zahl an Ersatzfreiheitsstrafen, die lange Dauer der Untersuchungshaft und die zunehmende Verurteilung von Personen ohne Aufenthaltsrecht, bei denen Gerichte kaum Alternativen zur Haft in Betracht ziehen. Auf Bundesebene laufen allerdings bereits erste Initiativen für Alternativen – etwa ein Pilotprojekt an der Universität Genf oder parlamentarische Diskussionen zum Einsatz von Electronic Monitoring.
59 StGB: Mangelhafte psychiatrische Betreuung
Auch im Bereich der psychiatrischen Versorgung bestehen erhebliche Defizite: Diese beschränkt sich oft auf die Abgabe von Medikamenten und wenige Gespräche. Mehrere Personen mit einer angeordneten stationären Maßnahme nach Art. 59 StGB erhielten trotz klarer Bedürfnisse keine adäquate psychiatrische Betreuung, sondern blieben im Regelvollzug. Das CPT fordert daher ein speziell angepasstes Betreuungssetting mit qualifiziertem Fachpersonal.