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Kantonales Bedrohungsmanagement - eine gefährliche Entwicklung

01.05.2018

Unter dem Einfluss der weit verbreiteten Furcht vor Terroranschlägen in Europa rührt der Bund derzeit die Werbetrommel für ein Instrument, welches einfallsreiche Kantone bereits vor fünf Jahren ursprünglich als Mittel gegen häusliche Gewalt und Wutbürger/innen eingeführt haben: Das kantonale Bedrohungsmanagement (KBM).

Was heisst «Bedrohungsmanagement»?

Gemäss einem Bericht des Bundesrats vom 11. Oktober 2017 hat ein Bedrohungsmanagement zum Ziel, gefährliche Entwicklungen von Personen frühzeitig wahrzunehmen und zu beurteilen. Besteht ein erhöhtes Risiko für eine Gewalttat, soll diese verhindert werden.

Das Bedrohungsmanagement bezeichnet eine neue Methodik für die präventive Funktion, welche der Polizeiarbeit schon immer zukam. Die Methodik zeichnet sich durch eine Zusammenarbeit verschiedener Behörden und Funktionsträger/innen in der Identifikation und Beobachtung von gefährlichen Personen aus. Dabei kommen standardisierte Prognoseinstrumente zur Anwendung, welche Aussagen über die weitere Entwicklung einer als möglicherweise gefährlich eingestuften Person generieren.

In vielen Fällen befasst sich ein Bedrohungsmanagement nicht mit bereits straffällig gewordenen Personen, sondern mit solchen, die verdächtigt werden, eine Tat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu begehen. Der Bundesrat beabsichtigt die Einführung der juristischen Kategorie der «Gefährder/innen», der solche Personen zukünftig zugeordnet werden (vgl. dazu unseren Artikel).

Nach Pfäffikon war alles anders

Die neue Ära der polizeilichen Präventionsarbeit in der Schweiz begann mit einem regelrechten Blutbad in Pfäffikon (ZH). 2011 erschoss ein 59-jähriger Mann zuerst seine Frau, dann die Leiterin des örtlichen Sozialamts. Er war zuvor – vergebens – mit einem Kontaktverbot belegt worden.

Der Fall widerspiegelt eine traurige Realität: In den letzten 10 Jahren gab es eine Häufung von Fällen, in denen der/die Täter/in sich schon längere Zeit vor der Tat auffällig verhalten hat und polizeilich bekannt war.

Der mediale Aufschrei war und ist in solchen Fällen entsprechend gross und setzt die Kantone unter Zugzwang.

Kantone handeln

Als erster Kanton führte Solothurn 2013 ein kantonales Bedrohungsmanagement ein, welches er mit Hilfe des Darmstädter Instituts «Psychologie und Bedrohungsmanagement» erarbeitet hatte. Im Zentrum steht das «Erkennen, Einschätzen und Entschärfen» von Bedrohungssituationen aller Art, aber insbesondere in den Bereichen häusliche Gewalt und Beamtensicherheit. Seine Vorreiterrolle hat Solothurn inzwischen an den Kanton Zürich verloren, welcher das erarbeitete Modell unter anderem mit neuen technischen Möglichkeiten «perfektionierte» und nun als Referenz in der Materie gilt.

Das Zürcher Modell

Bei der Etablierung der Strukturen und Abläufe für ihr kantonales Bedrohungsmanagement stützte sich die Kantonspolizei Zürich auf den im Regierungsratsbeschluss vom 20. Juni 2012 (RRB 659/2012) festgelegten Schwerpunkt «Gewaltschutz & Gewaltbekämpfung».

Um Gefährder/innen auch wirklich zu erkennen und zu «begleiten», müssen Behörden, Ämter, Gemeinden, Schulen und private Institutionen sehr eng vernetzt sein.

Bemerkt ein Mitarbeitender einer Institution – es kann sich um eine Schule, eine Beratungsstelle, einen Parlamentsdienst etc. handeln – ein auffälliges Verhalten einer Person, soll er/sie sich automatisch an eine der 400 von der Kantonspolizei ausgebildeten Ansprechpersonen wenden. Dabei geht es sowohl um explizite Gewaltandrohungen wie auch implizit wahrgenommene Bedrohungssituationen, etwa durch eine Radikalisierung. Wie Reinhard Brunner, Chef der Präventionsabteilung der Kantonspolizei Zürich, in einem Interview mit der NZZ preisgibt, können schon Verhaltensänderungen, ein Rückzug auf sich selbst oder die Weigerung, seine Hand zu reichen, als Anzeichen gelten.

Bei den Ansprechpersonen handelt es sich im Falle von grossen Institutionen um Ansprechpartner direkt in den Institutionen selbst oder aber um Mitarbeitende in Beratungsstellen (beispielsweise zu häuslicher Gewalt, Radikalisierung etc.). Die Kantonspolizei leitet ihren Auftrag zur Schaffung des Netzes von Ansprechpersonen aus Artikel 3 Abs. 1 des Polizeigesetzes ab. Dieser besagt, dass die Polizei «durch Information, Beratung, sichtbare Präsenz und andere geeignete Massnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung» beiträgt, was gemäss Kantonspolizei zur polizeipräventiven Arbeit verpflichtet.

Nach einer Erstbewertung entscheidet diese Ansprechperson darüber, ob ein Fall intern geregelt werden kann oder der Polizei weitergegeben werden muss. An diesem Punkt übernimmt die Fachstelle kantonales Bedrohungsmanagement (KBM) der Kapo den Fall. Dabei erfasst die Fachstelle KBM als erstes die Personalien der auffälligen Person und scannt vorhandene Dokumente ein.

Zwei Personen aus dem Fallmanagement-Team - bestehend aus Bedrohungsmanager/innen und Fachpersonen aus der forensischen Psychiatrie - schätzen danach die Gefährlichkeit des Falles weiter ein und erarbeiten ein entsprechendes Fallmanagement. Dabei stützen sie sich meist auf eine Software zur Gefährdererkennung (z.B. Octagon, Dyrias oder RA-PROF).

Die Fallmanagement-Fachstelle erstellt schriftliche Risikoabklärungen mit Interventionsempfehlungen. Dabei handelt es sich aber nicht um Gutachten, sondern lediglich um Berichte mit Empfehlungscharakter.

Die genaue Rolle der Fallmanagement-Fachstelle ist in einem Regierungsratsbeschluss vom 28. Oktober 2015 (RRB 1005/2015) beschrieben. Aus ihm geht hervor, dass die Entscheidungshoheit beim Kern des KBM-Teams, bestehend aus Vertretern/-innen der Kantonspolizei Zürich sowie den Stadtpolizeien Zürich und Winterthur, bleibt. Sie entscheiden sowohl über die Aufnahme von möglicherweise gefährlichen Personen ins kantonale Gefährder-Register als auch über die zu treffenden Massnahmen. Zum jetzigen Zeitpunkt haben im Kanton Zürich nur Polizeikommandant/in oder dessen/deren Stellvertreter/in, Pikett-Offiziere sowie das KBM-Kernteam ein Recht auf eine vollständige Dateneinsicht. Angehörige der Kantonspolizei erhalten aber bereits jetzt eine Meldung, falls sie eine/n Gefährder/in kontrollieren oder anderweitig mit diesem /-r in Kontakt kommen. Dabei richten sich die Rechtsgrundlagen für Informationsweitergaben innerhalb eines Strafverfahrens nach den Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0); Ausserhalb von Strafverfahren gelangen die Regelungen des Gesetzes über die Information und den Datenschutz (IDG; LS 170.4) zur Anwendung.

Vorermittlungsmassnahmen

Die Kantonspolizei hat gemäss kantonalem Polizeigesetz die Kompetenz, Vorermittlungen einzuleiten, wenn sie aufgrund von Hinweisen Dritter oder eigener Wahrnehmungen strafbare Handlungen vermutet (Art. 4). Dabei geht es auch um das Verhindern von strafbaren Handlungen (Art. 4a).

Zur „Verhinderung und Erkennung zukünftiger strafbarer Handlungen“ sowie zur „Abwehr einer drohenden Gefahr“ erlaubt es der Artikel 32 der Kantonspolizei, Personen zu überwachen, ohne dass bereits ein Strafverfahren gegen diese läuft. Sie darf dies bis zu einer Dauer von einem Monat auch ohne Genehmigung durch das Polizeikommando tun. Zu den konkreten Überwachungsmassnahmen gehören unter anderem die Audio- und Videoüberwachung (32 a), die verdeckte Vorermittlung (32 e) – auch unter falscher Identität, was aber in Zürich einer Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht bedarf –, die Informationsbeschaffung im Internet (32 f) und die verdeckte Registrierung (32 g).

Gerade weil sie verdeckt stattfinden und damit einen besonders schweren Eingriff in die Privatsphäre darstellen, müssen präventive Überwachungsmassnahmen einer Prüfung der Verhältnismässigkeit unbedingt standhalten. Im Falle der Vorermittlungsmassnahmen im Zürcher Polizeigesetz sah das Bundesgericht diese nicht in allen Punkten als gegeben: Die innovative Bestimmung zur verdeckten Informationsbeschaffung im Internet und in Chatrooms (Art. 32 f) fiel dem richterlichen Rotstift zum Opfer.

Gefährderansprache

Nebst der verdeckten Vorermittlung setzt die Zürcher Kantonspolizei auf ein zweites Instrument, um möglicherweise gefährliche Personen unter Kontrolle zu halten, die sogenannte Gefährderansprache. Sie folgt einem sehr viel direkteren Ansatz, bei dem man im Unterschied zur verdeckten Vorermittlung der betroffenen Person zu verstehen gibt, dass sie sich im Visier der Polizei befindet.

Anlässlich einer Gefährderansprache kontaktieren entsprechend geschulte Gefährderansprecher/innen Personen, bei denen die KBM Fachstelle konkrete Anzeichen für eine mögliche Gewalteskalation festgestellt hat. Laut Reinhard Brunner, Chef der Präventionsabteilung der Kapo Zürich, handelt es sich dabei um «ein sehr wirkungsvolles Instrument». Die Kontaktierten seien jeweils etwas perplex über die Kontaktaufnahme, aber in neun von zehn Fällen erleichtert, dass man ihnen zuhöre.

Pro Jahr führt der Kanton Zürich ungefähr 500 solcher Gefährderansprachen durch; gewisse Personen werden mehrmals kontaktiert. Über die Freiwilligkeit dieser Gespräche scheint man sich aber noch uneinig zu sein. Das Gespräch beruhe grundsätzlich auf Freiwilligkeit, aber «wenn jemand nicht mitmacht, wird es schwierig», meinte der Chef der Präventionsabteilung am 8. Dezember 2017 in der Limmattaler Zeitung. Roger Walder, Kantonspolizist und Gefährderansprecher in Zürich, ist anderer Meinung: Gefährder seien verpflichtet, mit der Polizei zu sprechen, dürften aber den Ort des Treffens selber bestimmen, offenbarte er am 1. November 2017 im Gespräch mit SRF.

Der Zürcher Polizei stehen nebst der Gefährderansprache noch weitere Massnahmen zur Verfügung. So darf sie Gefährdern/-innen etwa präventiv Waffen entziehen, ihnen ihre Ausweispapiere zur Verhinderung einer Ausreise sperren oder eine Meldepflicht verhängen. Genannt wurden diese Beispiele an der Pressekonferenz zur Interventionsstelle Terror vom 7. Dezember 2017.

In der Stadt Zürich basieren die beschriebenen polizeilichen Massnahmen auf dem Reglement über das Bedrohungsmanagment der Stadtpolizei Zürich. Auf kantonaler Ebene hingegen existiert keine entsprechende rechtliche Grundlage, lediglich eine polizeiliche Generalklausel (Art. 9 PolG ZH; Art. 36 Abs. 1 Satz 3 und Art. 185 Abs. 3 BV). Diese ermöglicht der zuständigen Behörde unter bestimmten Voraussetzungen polizeiliche Massnahmen zum Schutz von Polizeigütern, zur Verhinderung schwerer und unmittelbarer Gefahren oder zur Beseitigung einer bereits erfolgten schweren Störung einzuleiten. Die polizeiliche Generalklausel kommt insbesondere dann zum Zuge, wenn die Polizei durch eine grundrechtliche Schutzpflicht zum Handeln verpflichtet wäre, für die zu ergreifenden Massnahmen aber die spezifische gesetzliche Grundlage fehlt.

Stand der Dinge schweizweit

Besassen 2014 laut einer Umfrage der Schweizerischen Kriminalprävention (SKP) lediglich die Kantone Solothurn und Zürich über ein etabliertes kantonales Bedrohungsmanagement, stieg diese Zahl seither exponentiell an. Nur drei Jahre später, im Oktober 2017, waren 13 Kantone mit einem KBM ausgestattet, 8 weitere trafen Abklärungen zu dessen Aufbau. Nur gerade 2 von 13 Kantonen – Wallis und Zug –  beschränken sich in ihrem Gefahrenmanagement auf den Bereich häusliche Gewalt und Beziehungsdelikte. Alle anderen betreiben ein sogenannt «umfassendes» Bedrohungsmanagement eines breiten Spektrums von möglicherweise gefährlichen Personen. Dazu zählen sehr heterogene Kategorien: Täter/innen häuslicher Gewalt inkl. Stalker/innen, Beamtenschrecken, sich radikalisierende Jugendliche, potentielle Amokläufer/innen.

Zu jedem kantonalen Bedrohungsmanagement gehört auch eine Gefährder/innen-Liste. Insgesamt waren 2017 gemäss Recherchen von SRF über 3‘000 Personen als Gefährder/innen in polizeilichen Datenbanken registriert.

Ein Eintrag in einer KBM-Datenbank ist fatal. In den meisten Kantonen beträgt die Aufbewahrungsfrist für diese sensiblen Personendaten bis zu zehn Jahre – auch wenn sich die Befürchtungen als unbegründet erweisen. Während diesen 10 Jahren muss die betroffene Person mit einer ganz besonderen Aufmerksamkeit der Polizei rechnen.

Verbindung zur Terrorbekämpfung

Der Bund möchte im Rahmen seiner umfangreichen Vorkehrungen zur präventiven Terrorismusbekämpfung von den KBM-Datenbanken profitieren, obwohl diese nicht zur Terrorbekämpfung aufgebaut worden sind. Der Nationale Aktionsplan (NAP) zur Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus, welcher am 4. Dezember 2017 durch den Bund vorgestellt wurde, stellt eine explizite Verbindung zwischen kantonalem Bedrohungsmanagement und nationaler Terrorismusbekämpfung her.

So empfiehlt die Massnahme 14 des NAP jedem Kanton den Aufbau eines behörden- und institutionsübergreifenden kantonalen Bedrohungsmanagements unter Führung der Polizei – ganz nach dem Zürcher Modell. Register «potentiell gefährlicher Personen» sollen flächendeckend eingeführt und dank einem in Massnahme 15 vorgesehen Informationsaustausch schweizweit vernetzt werden.

Verstärkter Informationsaustausch Kantone-Bund...

Die im Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus vorgeschlagene schweizweite Vernetzung aller KBM-Datenbanken schafft offensichtlich nur schon auf der praktischen Ebene zusätzliche Probleme. In der Tat beruht nicht jedes kantonale Bedrohungsmanagement auf demselben Konzept: Nicht jedes KBM ist gleich umfassend und dementsprechend enthalten die jeweiligen kantonalen KBM-Register Personen mit sehr unterschiedlichen Gefährderprofilen. Wegen Risiko zu häuslicher Gewalt oder Querulantentum unter Beobachtung stehende Personen sind nicht unbedingt auch gefährdet, sich politisch bzw. ideologisch zu radikalisieren.

Klar ist, dass die Bundespolizei Fedpol und der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) im Bereich der Terrorbekämpfung den Informationsaustausch mit den Kantonen stark intensivieren möchten. Aus dem Bericht zum NAP zur Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus geht hingegen nicht hervor, wie genau die Fedpol und der NDB von einem vermehrten Informationsaustausch profitieren möchten. Hier sind verschiedene Strategien denk- und kombinierbar: Druck zur Vereinheitlichung nach dem Zürcher Modell der kantonalen Radikalisierungsbekämpfung oder das Abschöpfen von KBM-Register-Daten für eine spezielle Terrorgefährder/innen-Datenbank.

Aus einem Bericht des Bundesrates zur Beantwortung des Postulats 13.4011 RK-N (Besserer Schutz von Staatsangestellten vor Gewalt) von Dezember 2017 geht zudem hervor, dass die Fedpol bereits mit dem Aufbau einer eigenen Datenbank begonnen hat. Gestützt auf die neuen Artikel 23a-23cBWIS, welche gemeinsam mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG) am 1. September 2017 in Kraft getreten sind, führt der Bundessicherheitsdienst (BSD) eine Datenbank von gefährdenden und gefährdeten Personen, genannt SIBEDRO.

  • Besserer Schutz der Staatsangestellten vor Gewalt
    Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 13.4011 RK-N und in Berücksichtigung der Thematik des rechtlichen Schutzes für Einsatzkräfte bei einem Schusswaffengebrauch, 1. Dezember 2017 (pdf, 26 S.)

... in gefährlicher Kombination mit präventiv-polizeilichen Massnahmen

Zurzeit wird die Botschaft zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) vorbereitet. Diese Vorlage des Bundesrats sieht ausserhalb des Strafrechts einschneidende Massnahmen gegen radikalisierte Gefährder/innen vor.

Die PMT-Vorlage eröffnet unter anderem die Möglichkeit, dass die Fedpol mit den Daten aus einem KBM-Register bestimmte Gefährder/innen identifiziert und diese dann ohne richterliche Genehmigung einschneidenden Massnahmen wie dem obligatorischen Behördengespräch, Kontaktverbote zum eigenen Umfeld, Ausreiseverbote und elektronische Fussfesseln unterzieht. Einzig der Hausarrest bedarf einer richterlichen Genehmigung. Diese im PMT vorgesehenen Massnahmen kollidieren mit den Kerngehalten der Grund- und Menschenrechte auf Bewegungsfreiheit, persönliche Freiheit sowie auf Schutz der Privatsphäre. Sie sind deshalb per se verfassungswidrig (BV Art. 36 Abs. 4) und mit der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar.

Aus dieser Perspektive sind die kantonalen Bedrohungsmanagements ein wichtiges Mosaikteilchen in der Architektur eines Präventionsregimes, welches die Horrorvision eines Überwachungsstaats nicht mehr als komplett unrealistisch erscheinen lässt.

Kommentar: Sanfte Therapie oder Radikalkur?

Das eifrige Identifizieren, Beobachten und Disziplinieren von möglicherweise «gefährlichen Subjekten» – wie man sie früher nannte –  durch die Kantonspolizeien, Fedpol und NDB ist der Ausdruck eines Zeitgeists, welcher im Namen der Risikominimierung im Allgemeinen und der Terrorismusbekämpfung im Besonderen massive Grundrechtseingriffe toleriert.

Das fatale Motto «Der Zweck heiligt die Mittel» ist in Sicherheitsbelangen offensichtlich mehrheitsfähig geworden. Eine Gesellschaft, die wähnt, man könne die allgemeine Sicherheitslage erhöhen, indem «gefährliche Individuen» frühzeitig erkannt und unschädlich gemacht werden, befindet sich im Sicherheitswahn.

Wenn diese Diagnose für die Schweizer Gesellschaft zutreffen sollte, stellt sich die Frage nach der geeigneten Therapie. Zwei Interventionen bieten sich an: eine sanfte Therapie oder eine Radikalkur.

Der sanfte Weg beruft sich auf den Rahmen des Rechtsstaats, der selbst für eine Gesellschaft im Sicherheitswahn gelten sollte. Dazu gehört, dass auch Gefährder/innen-Register strengsten rechtsstaatlichen Regeln unterworfen werden müssen, sonst werden sie selbst zu einer Gefahr für den Rechtsstaat. Es braucht Rechtsgrundlagen, die klar festhalten, welche Daten gesammelt werden dürfen und welches die Kriterien sind, damit eine Person mit einem Gefährderprofil in einem Register eingetragen werden darf. Diese Kriterien sind hoch anzusetzen und müssen von einem Gericht im Einzelfall überprüft werden. Ausserdem muss der Zugriff auf die Daten restriktiv gehandhabt werden. Schliesslich sollen betroffene Personen über ihren Eintrag informiert werden und die Möglichkeit haben, vor Gericht die Löschung ihrer Daten zu erzwingen.

Es gibt allerdings ernsthafte Gründe daran zu zweifeln, ob sich der gesellschaftliche Sicherheitswahn mit solchen Regeln domestizieren lässt oder ob er nicht vielmehr noch Aufwind erhält, indem ihm ein rechtsstaatliches Mäntelchen umgehängt wird.

Entsprechend ist eine Radikalkur überzeugender: Gefährder/innen-Register und Massnahmen, die daran geknüpft werden, sind grundsätzlich verwerflich, weil sie wie eine kollektive Krankheit den Argwohn gegenüber nicht angepassten Individuen und die Missachtung von Grundrechten in der Gesellschaft schüren. Wenn von einer Person aufgrund ihres abweichenden Verhaltens vermutet wird, dass sie künftig eine Gewalttat begehen könnte, darf der Staat nicht eingreifen. Bei konkretem Verdacht oder Indizien für strafrechtlich relevantes Verhalten greift ohnehin das bestehende Instrumentarium mit polizeilichen Ermittlungen, Strafuntersuchung, Anklage und Urteil. Dieses kommt insbesondere auch bei Personen zur Anwendung, welche ernst zu nehmende Drohungen ausgesprochen oder Vorbereitungshandlungen für ein Delikt begangen haben.

Die Radikalkur lässt sich von der Überzeugung leiten, dass die polizeiliche Präventionsarbeit im Bereich der individuellen Verhaltensüberwachung und -steuerung ein gefährlicher Irrweg ist. Solche Eingriffe in die Grundrechte des Individuums dürfen nur im Rahmen des Straf- und Massnahmenrechts erlaubt sein. Deshalb sind kantonale Bedrohungsmanagements mit ihren Prognoseinstrumenten und Gefährder/innenkarteien grundsätzlich ein falscher Ansatz. Ein Marschhalt und eine öffentliche Diskussion darüber, ob wir nicht auf dem falschen Dampfer mit direktem Kurs auf eine Überwachungsgesellschaft sitzen, sind dringend geboten.