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Was sind die Schweizer Leitlinien für Menschenrechtsverteidiger/innen wert?

23.06.2014

Die Leitlinien der Schweiz sind ein erster Schritt zu mehr Schutz von Menschenrechtsverteidigern/-innen. Sie allein bewirken allerdings wenig, solange sich die Schweizer Botschaften im Ausland ihrer zentralen Funktion beim Schutz von Menschenrechtsverteidigern/-innen nicht bewusst sind. So lautet das Fazit einer Tagung, die swisspeace, die NGO-Arbeitsgruppe OSZE und Humanrights.ch am 12. Juni 2014 in Bern organisiert haben. Vertreter/innen des Bundes trafen sich mit Menschenrechtsverteidigern/-innen aus vier Ländern sowie Vertretern/-innen von schweizerischen Menschenrechtsorganisationen zu Workshops, um sich über die konkrete Umsetzung der schweizerischen Leitlinien zum Schutze von Menschenrechtsverteidigern/-innen auszutauschen.

Es gebe bei aller Unterschiedlichkeit der Kontexte viele Parallelen in den gewählten Ländern Russland, Sri Lanka, Serbien und Honduras/Guatemala, fasste die Co-Organisatorin Anna Leissing vom Kompetenzzentrum Friedensförderung (KOFF) die Ergebnisse aus den Workshops zusammen. Der Austausch in den Workshops sei sehr lebendig und teilweise emotional gewesen. Es zeige sich, dass überall Personen bedroht sind, die sich mit der Aufarbeitung von begangenem Unrecht befassten oder sich für Minderheiten oder für Frauen einsetzten. Problematisch sei die Lage zudem für Aktivisten/-innen, die sich für soziale und wirtschaftliche Rechte, insbesondere Landrechte, einsetzten.

Straflosigkeit und Kritik an staatlichen Medien

Die ausländischen Menschenrechtsverteidiger/innen berichteten von willkürlichen Verhaftungen und Polizeigewalt. Besonders schwierig ist für diese Aktivisten/-innen der Umstand, dass die heimische Öffentlichkeit ihrem Engagement teilweise mit Feindseligkeit begegnet. Die Aktivisten/-innen sehen die Rolle der oft staatlich kontrollierten Massenmedien sehr kritisch. Diese würden wesentlich dazu beitragen, dass die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern/-innen in einem schlechten Licht stehe. Diffamierung, Einschüchterung und Gewalt durch nichtstaatliche Akteure sind die Folge. Der Staat wiederum verfolgt die Verbrechen an Menschenrechtsaktivisten/-innen in der Regel nicht.

Demgegenüber zeigten die Vertreter/-innen des Bundes in den Workshops auf, mit welchen Aktivitäten die Schweiz in den jeweiligen Staaten auftritt. Dabei äusserten sich Menschenrechtsverteidiger/innen teilweise sehr kritisch über die Arbeit der Schweizer Botschaften.

Schweizer Botschaften: Ambivalente Leistungen

Die Schweiz sei in Russland im Bereich Menschenrechte nicht sichtbar, sagte etwa Juri Dzhibladze vom Center for the Development of Democracy and Human Rights in Moskau. Dies ganz im Gegensatz zu ihrem Engagement im Bereich Menschenrechte während der laufenden OSZE-Präsidentschaft (siehe hierzu den Artikel OSZE-Konferenz in Bern). Vertreter/innen anderer Staaten seien bei Prozessen gegen Menschenrechtsverteidiger/innen in den Gerichtssälen zu sehen. Nicht so die Schweizer, deren Erscheinen für den Schutz der Aktivisten/-innen  bedeutsam wäre.
Demgegenüber schildert eine NGO-Vertreterin aus der Region Guatemala und Honduras, dass die dortige Botschaft sehr aktiv sei beim Schutz von Menschenrechtsverteidiger/-innen und den Kontakt zur Zivilgesellschaft systematisch pflege.

Schutzversprechen der Schweiz soll nicht von Einzelpersonen abhängig sein

Erklärtes Ziel der Schweizer Leitlinien zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger/-innen ist es, dass alle Botschaften sich gegenüber Menschenrechtsverteidigern/-innen gleichermassen aktiv verhalten. Sie sollen sich über die Menschenrechtslage im Gastland informieren und Unterstützung anbieten. Die Instrumente der Botschaften sind vielfältig: Offizielle Stellungnahmen, Demarchen für Aktivisten/-innen, symbolische Akte wie der erwähnte Besuch von Prozessen oder offizielle Treffen. Dazu gehört auch, dass Verfolgten im Notfall ein rasches und unkompliziertes Visaverfahren und unmittelbarer Schutz sowie Obdach zur Verfügung stehen.

Konkurrenz zu andern Interessen?

Offenbar sind Ziel und Zweck der Leitlinien in etlichen Schweizer Botschaften noch unbekannt. Das Beispiel Russland zeigt es: Hier hat sich die Menschenrechtslage seit einigen Jahren bedenklich zugespitzt. Mit dem Gesetz zur Registrierung als ausländische Agenten für NGOs gerät die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern/-innen arg in Bedrängnis. Viele Aktivisten/-innen und Organisationen sehen sich mit Prozessen konfrontiert und sind gezwungen, ihre Arbeit einzustellen. Dennoch hat die Schweizer Botschaft in Moskau auch jüngst keine Schritte unternommen, um ihr Einstehen für den Schutz der Menschenrechte manifest zu machen.

Bekanntlich beabsichtigt die Schweiz seit Jahren mit Russland, Weissrussland und Kasachstan ein Freihandelsabkommen auszuhandeln. (Die Verhandlungen sind wegen dem Ukrainekonflikt im Moment sistiert.) Die Vermutung liegt nahe, dass die offizielle Schweiz Nachteile in den Wirtschaftsbeziehungen befürchtet, wenn sie sich in Menschenrechtsfragen zu stark exponiert.

Wirtschaftliche Interessen hätten oft einseitig Priorität, fasst  Florian Irminger vom Human Rights House Network mit Sitz in Oslo und Genf den Frust der Menschenrechtsverteidiger/innen zusammen. Das gehe nicht. Viel mehr müssten Menschenrechte und Wirtschaft Hand in Hand gehen. Nach Ansicht von schweizerischen NGO und ausländischen Menschenrechtsverteidigern/-innen muss diese Haltung mit der Lancierung der Schweizer Leitlinien in den Schweizer Botschaften noch viel stärker zum Durchbruch kommen. Es wären Schulungen in den Botschaften nötig und klare Anweisungen aus dem Aussendepartement sowie nicht zuletzt entsprechende Signale auch aus dem Wirtschaftsdepartement.

Austausch mit ausländischen Menschenrechtsverteidigern/-innen ist ein Gewinn

Die teilweise noch fehlende Umsetzung der Schweizer Leitlinien stand an der NGO-Veranstaltung im Zentrum. Dabei darf nicht vergessen gehen, dass sie erst ein halbes Jahr in Kraft sind. Es ist sehr positiv zu bewerten, dass sich das Aussendepartement im Zuge der OSZE-Präsidentschaft der Diskussion mit Menschenrechtsverteidigern/-innen derart öffnet.

Die Zivilgesellschaft konnte so wichtige Erfahrungen einbringen und Empfehlungen zuhanden der Schweiz formulieren. Dazu gehört etwa der Rat, die Schweiz solle das menschenrechtliche Monitoring im Ausland intensivieren und vermehrt in den ländlichen Regionen auftreten. Als besonders wichtig wird zudem das symbolische Einstehen für Menschenrechte durch Vertreter/innen aus der Schweiz erachtet, zum Beispiel durch offizielle Kontakte zu unliebsamen Menschenrechtsverteidigern/-innen. Ferner ist ein erleichterter Zugang zu humanitären Visa gefordert worden. Vertreter/innen von schweizerischen NGOs bemängelten, dass die Leitlinien gerade im Punkt der Visaerteilung unscharf bleiben, also dort, wo griffige und konkrete Regeln wichtig wären.

Dokumentation