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Das Asylwesen in der Corona-Pandemie – ein Krisenherd

24.04.2020

Geschlossene Grenzen und mangelnder Rechtsschutz: das Asylwesen steht in Zeiten des Coronavirus unter Druck. Trotzdem hat der Bundesrat laufende Asylverfahren bis anhin nicht sistiert – und verletzt damit Menschenrechte.

Seit das Coronavirus in der Schweiz um sich greift, steht der Alltag der Bevölkerung auf dem Kopf. Obwohl die Erkrankung an COVID-19 für alle Menschen gewisse Risiken birgt, stellt sie für einzelne Gruppen eine besondere Bedrohung dar – auch für Menschen auf der Flucht. Die Ansteckungsgefahr in Strukturen des Asylwesens ist verhältnismässig hoch: In den zum Teil unterirdischen Asyl- und Notunterkünften leben Menschen auf sehr engem Raum, Befragungen finden gemeinsam mit einer Handvoll Personen statt und der Zugang zu medizinischer Versorgung unterliegt bereits im Normalzustand gewissen Einschränkungen.

Nachdem der Bundesrat am 16. März 2020 die «Ausserordentliche Lage» gemäss Artikel 7 des Epidemiegesetzes ausgerufen hatte, machten verschiedene Nichtregierungsorganisationen ihn darauf aufmerksam, dass die angeordneten Hygienemassnahmen im Asylbereich nur schwer umsetzbar seien. Besonders stark kritisiert wurde zudem die angeordnete Grenzschliessung und das damit verbundene Einreiseverbot von Asylsuchenden. Auf Drängen der Zivilgesellschaft erliess der Bundesrat am 1. April 2020 schliesslich die COVID-19-Verordnung Asyl und passte einzelne Regeln des Asylverfahrens an. Die Umstände im Asylwesen sind jedoch nach wie vor prekär und es kommt zu Verletzungen der Menschenrechte.

Schutzsuchende haben Grundrechte – auch in Krisenzeiten

Aufgrund der Grenzschliessung gilt zurzeit auch für Asylsuchende ein Einreiseverbot in die Schweiz. An der Landesgrenze wird Schutzsuchenden die Einreise verweigert. Gemäss Bundesrat sollen Betroffene ihre Asylanträge in den Nachbarländern stellen. Eine solche Auslegung der Dublin-Verordnung ist völkerrechtswidrig.

Die Regierung beruft sich bei der Nichtannahme von Asylgesuchen auf Artikel 20 Ziffer 4 der Dublin-Verordnung: für die Prüfung eines Asylgesuches ist derjenige Staat zuständig, auf dessen Hoheitsgebiet sich eine Person befindet. Asylsuchende an der Grenze abzuweisen, ohne ihnen den Zugang zu einem Asylverfahren zu gewähren, verstösst jedoch gegen die Menschenrechte, denn jeder Mensch hat das Recht auf ein faires Asylverfahren. Die Schweiz wäre zudem gemäss der Dublin-Verordnung dazu verpflichtet eine Einreise zu gewähren und abzuklären, welches Land für das entsprechende Asylverfahren zuständig ist. In jedem Fall muss sie einen Asylantrag überprüfen um festzustellen, ob die Zurückweisung in ein anderes Land dem völkerrechtlichen Non-Refoulement-Gebot widerspricht. Das Rückweisungsverbot besagt, dass niemand in ein Land zurückgeschickt werden darf, in welchem ihm oder ihr unmenschliche Behandlung oder Folter droht.

Insbesondere im pandemiebetroffenen Italien dürfte es Flüchtlingen momentan praktisch unmöglich sein, einen Asylantrag zu stellen. Weil die Überstellung in andere Europäische Staaten aufgrund der Grenzschliessungen nicht umsetzbar ist, sollte die Schweiz Gesuche in Dublin-Verfahren durch Selbsteintritt behandeln. Ausserdem geboten wäre die vorläufige Aufnahme von Flüchtlinge an der Schweizer Grenze, wenn die Wegweisung in ihre Heimat- oder Herkunftsländer längerfristig nicht möglich ist. Dies gilt auch für Menschen aus «sicheren Drittstaaten».

Weil der Vollzug von Wegweisungen momentan nicht durchgeführt werden kann, müssen abgewiesene Asylsuchende zudem aus der Administrativhaft entlassen werden. Der Zweck ihrer Inhaftierung ist keine Strafe, sondern die Sicherstellung ihrer Ausreise. Ist diese innert nützlicher Frist nicht möglich, entbehrt ihre Inhaftierung jeglicher rechtlichen Grundlage.

Kein Asylverfahren ohne Rechtsschutz

Die per COVID-19-Verordnung Asyl angeordnete Verlängerung der Beschwerdefristen von 7 auf 30 Arbeitstage ist zwar grundsätzlich zu begrüssen, vermag jedoch in der Praxis nicht viel auszurichten: Die Weiterführung des Asylverfahrens während der Corona-Krise gefährdet die Gesundheit aller Beteiligten und stellt ein Verstoss gegen den Rechtsschutz dar.

Um an den Befragungen im Rahmen ihrer Asylverfahren teilzunehmen, müssen Asylsuchende sowie andere Beteiligte – Angestellte des Migrationsamts, Hilfswerkvertreter*innen, Rechtsschutzakteur*innen und medizinisches Fachpersonal – in vielen Fällen mit dem Öffentlichen Verkehr anreisen. Dies obwohl das Bundesamt für Gesundheit explizit von dessen Gebrauch abrät. Weiter empfehlen die Behörden eine Sitzungsdauer von maximal 15 Minuten. Die von Angesicht zu Angesicht durchgeführten Befragungen führen aufgrund ihrer Länge von bis zu mehreren Stunden zu einem massiv erhöhten Ansteckungsrisiko für alle Anwesenden.

Der Bundesrat hat in seiner Verordnung aus diesem Grund veranlasst, dass Anhörungen und Befragungen pandemiebedingt ohne Rechtsvertretung, Hilfswerkvertretung und bevollmächtigte Personen stattfinden können. Damit erhalten die Asylsuchenden nicht den Rechtsschutz, welcher ihnen zugesteht und ein faires, rechtsstaatliches Verfahren ist nicht gewährleistet. Der Bundesrat schiebt dadurch die Verantwortung zur Wahrung dieser Rechte an die Rechtsschutzorganisationen ab, welche sich zwischen den rechtlichen Ansprüchen der Flüchtenden und der Gesundheit ihrer Mitarbeitenden entscheiden müssen.

Schliesslich sind medizinische Sachverhaltsabklärungen zur Erstellung von Gutachten im Moment kaum möglich, weil die Verfügbarkeit des Fachpersonals stark eingeschränkt ist. Doch nicht nur die Durchführung des Asylverfahrens, sondern auch das Verfassen von Beschwerden gegen Asylentscheide ist zurzeit mit besonderen Hürden verbunden. Die Verständigung mit der Rechtsvertretung via Telefon, Mail und Skype stellt eine Herausforderung dar. Stark eingeschränkt ist zudem die Verfügbarkeit von Übersetzer*innen. Schliesslich haben viele unentgeltliche Rechtsberatungsstellen aufgrund der aktuellen Situation ihre Arbeit reduziert oder ihre Türen geschlossen. Das Hilfsangebot für die Asylsuchenden ist damit stark eingeschränkt und die Rechtsweggarantie nicht mehr gewährleistet.

Gesundheitsrisiken in den Asylunterkünften

Bewohnende von Asylunterkünften – von Bundesasylzentren, kantonalen Kollektivunterkünften und Nothilfezentren – sind einem besonders hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Es ist aufgrund der Platzverhältnisse praktisch unmöglich, den Zweimeter-Abstand in den Schlaf- und Gemeinschaftsräumen einzuhalten und Risikopatient*innen werden meist nicht separat untergebracht. Aus diesem Grund veranlasste der Bundesrat in seiner Verordnung durch Inbetriebnahme neuer Unterkünfte die Kapazität in den Bundesasylzentren zu erhöhen, um die Asylsuchenden gemäss der Hygieneempfehlung des Bundesamts für Gesundheit zu schützen. Obwohl der Ausbau der Unterkunftsmöglichkeiten grundsätzlich zu begrüssen ist, ergeben sich für die in den Asylunterkünften anwesenden Personen grosse gesundheitliche Risiken, da die Verdoppelung der Kapazitäten nicht unmittelbar umgesetzt werden kann.

Trotz der hohen Übertragbarkeit des neuartigen Coronavirus können nach wie vor Transfers zwischen den einzelnen Unterkünften vollzogen werden. Der Bundesrat besteht insbesondere auf die Weiterführung dieser Transfers zwischen den Bundesasylzentren und den kantonalen Kollektivunterkünften, da er die Kapazitätsgrenze der Bundesasylzentren innert Kürze erreicht sieht. Angesichts der sehr niedrigen Zahl an neuen Asylgesuchen ist dieser Einwand jedoch hinfällig.

Der Zugang zu medizinischen Leistungen ist für Schutzsuchende und insbesondere für abgewiesene Asylsuchende bereits im Normalzustand eingeschränkt. In Anbetracht der Corona-Krise verschärft sich diese Problematik zusätzlich. Es ist umso wichtiger, dass das Sicherheits- und Betreuungspersonal in den Asyl- und Notunterkünften die Krankheitssymptome kennt und schnell darauf reagieren kann.

Schliesslich führt die aktuelle Situation auch zu einer starken psychischen Belastung für die Bewohner*innen von Asylunterkünften. Die Schulschliessung und die Sistierung interner Beschäftigungsprogramme trifft die Kinder in Not- und Asylzentren besonders hart. Das Verbot externer Besuche und die reduzierte Betreuung kommt für alle Anwohnenden erschwerend hinzu. Die ohnehin schwierigen Bedingungen in den Unterkünften verschärfen sich unter der Corona-Krise zusätzlich und führen zu einem erhöhtem Leidensdruck.

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