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Institutionelle Diskriminierungen im neuen Bürgerrechtsgesetz

19.09.2016

Der Bundesrat hat am 17. Juni 2016 die Verordnung zum revidierten Bürgerrechtsgesetz verabschiedet und beschlossen, das neue Einbürgerungsgesetz auf den 1. Jan. 2018 in Kraft zu setzen. Das Gesetz war am 20. Juni 2014 vom Parlament verabschiedet worden.

Die neue Bürgerrechtsverordnung konkretisiert das Gesetz und war in der Vernehmlassung in manchen Punkten stark umstritten. In der Nachbearbeitung hat der Bundesrat die Chance verpasst, die soziale Diskriminierung der Einbürgerungswilligen sowie übermässige Grundrechtseinschränkungen auf dem Verordnungsweg zu entschärfen. Immerhin verzichtete er auf die ursprünglich vorgesehene peinliche Loyalitätserklärung.

Dennoch liefert das neue Einbürgerungsgesetz einige Musterbeispiele für institutionell getragene Diskriminierungen.

Ausgangslage

Unter welchen Bedingungen sollen Ausländerinnen und Ausländer das Bürgerrecht in der Schweiz erhalten? Diese Frage beschäftigt Behörden und Politiker/innen auf Gemeinde-, Kantons- und Bundes-Ebene sowie die Gerichte seit Jahren.

Menschenrechtliche Bedeutung

Das Bürgerrecht ist im Hinblick auf die Menschenrechte in der Schweiz heute vor allem aus folgenden Gründen von Belang: Erstens ist die Gewährung der politischen Rechte mit dem Bürgerrecht verbunden. Zweitens gelten bei Einbürgerungsverfahren verfahrensrechtliche Grundsätze, die eingehalten werden müssen. Drittens gilt es zu bedenken, dass das Bürgerrecht den einzigen garantierten Schutz vor einer Ausweisung bietet. Und schliesslich dürfen viertens die Einbürgerungskriterien und deren Umsetzung nicht zur Folge haben, dass Grundrechte der Bundesverfassung übermässig beschnitten werden.

Hohe Hürden

In der Schweiz gilt das ius sanguinis, der Erwerb der Nationalität und des Bürgerrechts durch väterliche oder mütterliche Abstammung. Mit dem Bürgerrecht erhält eine Person das Recht zu wählen und abzustimmen. Ausländerinnen und Ausländer, die in der Schweiz leben, können das Schweizer Bürgerrecht durch Einbürgerung erlangen. Diese ist auf nationaler Ebene im Bürgerrechtsgesetz (BüG) geregelt. Von Belang sind zudem die verschiedenen kantonalen Gesetze sowie die Regelungen auf Gemeindeebene, da ein Einbürgerungsgesuch von allen drei Ebenen beurteilt werden muss.

Die Schweiz verfolgt bisher eine  Einbürgerungspraxis mit hohen Hürden, was zur Folge hat, dass rund ein Viertel der in der Schweiz wohnhaften Bevölkerung von Wahlen und Abstimmungen ausgeschlossen ist. Dies ist im Hinblick auf die Verpflichtung der Schweiz, regelmässig freie und faire Wahlen durchzuführen (Art. 25 UNO-Pakt II), bedenklich (hier finden Sie unseren Artikel dazu). Auch gibt es die Sorge, dass nicht alle der vielfältigen Einbürgerungsprozedere in der Schweiz den verfahrensrechtlichen Ansprüchen genügen, welche die Menschenrechte vorgeben.

Pflicht zur Begründung einer Ablehnung

Das Bundesgericht rügte 2003 die Praxis, dass Gemeinden an der Urne über Einbürgerungen entscheiden (hier finden Sie unseren Artikel dazu). Es besteht demnach eine Begründungspflicht bei einer Ablehnung, unter anderem wegen dem Willkürverbot (Art. 9 BV). Als Folge davon bemühen sich Behörden auf allen Ebenen seit einigen Jahren, die Kriterien für eine erfolgreiche Einbürgerung zu harmonisieren  (siehe beispielhaft unseren Artikel zum Kanton Zürich).

Die Verordnung zum neuen Bürgerrechtsgesetz

Vor diesem Hintergrund ist die im Juni 2014 von den Eidg. Räten verabschiedete Revision des Bürgerrechtsgesetzes (BüG) zu sehen. Die für eine Einbürgerung vorausgesetzten Integrationskriterien sind im BüG umschrieben und in der entsprechenden Verordnung (BüV) konkretisiert. Letztere wurde vom Bundesrat am 17. Juni 2016 genehmigt.

Die in der Verordnung präzisierten Einbürgerungskriterien sind aus grundrechtlicher Perspektive teilweise problematisch. Sie wurden in der Vernehmlassung entsprechend kontrovers beurteilt. Doch der Bundesrat hat den Bedenken und Einwänden nicht Rechnung getragen und sich der mehrheitlichen Zustimmung der Kantone und Parteien gebeugt. Eine Ausnahme bildet die ursprünglich vorgesehene Pflicht der Einbürgerungswilligen zum Unterschreiben einer Loyalitätserklärung; diese wurde ersatzlos gestrichen.

In der Folge gehen wir auf einige der grundrechtlich anstössigen Punkte der BüV näher ein. Zum einen werden die Grundrechte auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit übermässig eingeschränkt, zum andern stellt sich die Frage, ob die Ausschlusskriterien für ehemalige straffällige Personen und für Sozialhilfebeziehende nicht gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV) verstossen.

Übermässiger Eingriff in die Privatsphäre

Eine Grundvoraussetzung für eine Einbürgerung, die das Bürgerrechtsgesetz enthält, ist das Vertrautsein mit den «schweizerischen Lebensverhältnissen». Die Verordnung BüV führt dazu aus, es gehe erstens um geographische, historische und staatskundliche Grundkenntnisse über die Schweiz, zweitens um Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft und drittens um die Kontaktpflege zu Schweizerinnen und Schweizern. Der erläuternde Bericht erwähnt in diesem Zusammenhang etwa Kenntnisse über Traditionen und Sehenswürdigkeiten der Schweiz sowie die Mitgliedschaft in einem Verein oder die Teilnahme an Festen und Anlässen.

Solche Kriterien stellen zweierlei grundrechtliche Probleme: Zum einen sind sie naturgemäss sehr offen formuliert, wodurch ihre Auslegung – gerade auf kommunaler Ebene etwa an Gemeindeversammlungen und in Bürgerkommissionen – anfällig wird für willkürliche Entscheide. Zum andern bedeuten die Vorgaben, an Festen, Vereinsaktivitäten oder ehrenamtlichen Tätigkeiten teilzunehmen oder den Kontakt zu Schweizerinnen und Schweizern zu pflegen, einen massiven Eingriff in das Grundrecht auf Privatsphäre (Art. 13 BV). Denn weil es sich um Einbürgerungserfordernisse handelt, stehen Einbürgerungswillige diesbezüglich unter einem Zwang, der mit dem Kernbereich des Rechts auf Privatleben kollidiert. Dies steht in einem unauflöslichen Widerspruch zum Selbstverständnis der Schweiz, ein liberaler Rechtsstaat zu sein.

Unverhältnismässige Beschränkung der Meinungsfreiheit

Das Erfordernis der «Respektierung der Werte der Bundesverfassung» wird in Art. 5 BüV näher dargelegt. Mit diesen Werten seien «rechtsstaatliche Prinzipien», «die Grundrechte wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das Recht auf Leben und persönliche Freiheit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Meinungsfreiheit», sowie die Militär- und die Schulpflicht gemeint. Einmal abgesehen davon, dass diese abstrakten Werte sehr viel Raum lassen für kontroverse Auslegungen: Wie kann überprüft werden, ob jemand diese Werte respektiert oder nicht?

Der erläuternde Bericht sagt dazu: «Bekenntnisse oder ein Verhalten von Bewerberinnen und Bewerbern, die diesen Grundrechten widersprechen, zum Beispiel mangelnde Toleranz gegenüber anderen Gruppierungen und/oder Religionen oder Befürwortung von Zwangsheiraten, weisen auf eine ungenügende Integration hin. Solche Bewerberinnen und Bewerber sollen von der Einbürgerung ausgeschlossen werden.» Offenbar sollen Meinungen («Bekenntnisse») oder Verhaltensweisen, die mit den genannten Werten in irgendeiner undefinierten Weise nicht zusammenstimmen, die aber gleichzeitig keinen Verstoss gegen das Strafgesetz darstellen, im Einbürgerungsverfahren sanktioniert werden können. Um einen solchen «Tatbestand» feststellen zu können, braucht es eine Überprüfung der Gesinnung des Einbürgerungswilligen.

Dieses Setting ist hoch paradox: Die verfassungsmässige Garantie der Meinungsfreiheit umfasst ja auch unliebsame Meinungen über Werte der Bundesverfassung. Die Verordnung erlaubt es nun, solche unliebsame Meinungen zu identifizieren und zu einem Ausschlussgrund zu machen.

Bisher konnte man naiv von der Annahme ausgehen, ein Grundrecht wie die Meinungsfreiheit stünde im Dienste von jedem einzelnen Menschen. Im vorliegenden Falle werden aber non-konforme Meinungen über die Grundrechte zu einem Instrument gegen Einbürgerungswillige umgebogen. Die Meinungsfreiheit wird mit Bezugnahme auf den moralisch geheiligten Fetisch der Grundrechte - u.a. der Meinungsfreiheit - schlicht unterlaufen und sabotiert. Dies ist nichts anderes als ein totalitär gewordener Verfassungspatriotismus.

Diskriminierung aufgrund des Strafregisters

Art. 4 Abs. 2 BüV macht die meisten Vorstrafen einer einbürgerungswilligen Person zu Ausschlusskriterien, solange diese Vorstrafen im Strafregister-Informationssystem VOSTRA für das Staatssekretariat für Migration einsehbar sind.

Das Strafregister war für eine Einbürgerung auch bisher von Bedeutung. Dabei wurde bisher jedoch nur der Privatauszug des Strafregisters berücksichtigt, welcher auch bei der Wohnungs- und Arbeitssuche vorgewiesen wird. Künftig soll eine Einbürgerung aber so lange ausgeschlossen sein, wie der Eintrag im Strafregister für die zuständigen Migrationsbehörden einsehbar ist, d.h. deutlich länger als der Privatauszug. Für Freiheitsstrafen liegt diese Wartefrist zwischen 10 und 20 Jahren. Das hat zur Folge, dass straffällig gewordene Einbürgerungswillige nach Verbüssung ihrer Strafe in Zukunft deutlich länger warten müssen als bisher, bevor sie ein Einbürgerungsgesuch stellen können.

Der erläuternde Bericht hält die Tatsache, dass das Strafregister ein Einbürgerungshindernis darstellen soll, für gerechtfertigt, «da die Einbürgerung als letzter Integrationsschritt die höchsten Anforderungen an die Integration stellen soll». Gemäss einer aktuellen Studie der Universität Zürich bewirkt eine Einbürgerung jedoch eine verstärkte und beschleunigte, langfristige Integration. Dadurch tritt anstelle des Anspruchs an die Einbürgerung, der «letzte Integrationsschritt» zu sein, die Erkenntnis von Fachkreisen, die Einbürgerung sei im Gegenteil eine unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration.

Diese Überlegung kann mühelos auch auf eines der Hauptziele des Strafvollzugs, der Resozialisierung, übertragen werden. Wer einmal straffällig geworden ist, für den rückt eine Einbürgerung in weite Ferne, auch wenn die Strafe schon längst verbüsst ist. Dies bedeutet für die Resozialisierung der betroffenen Person ein unnötiges Hindernis, oder genauer gesagt: eine institutionelle Diskriminierung aufgrund der sozialen Stellung gemäss Art. 8 Abs. 2 BV. Denn dieses hält ausdrücklich fest, dass niemand aufgrund der sozialen Stellung in der Gesellschaft – welche  unter anderem durch die strafrechtliche Vergangenheit einer Person geprägt ist – diskriminiert werden darf.

Diskriminierung aufgrund der finanziellen Verhältnisse

Die Verordnung legt fest, dass das Kriterium der «Teilnahme am Wirtschaftsleben» gemäss Art. 12 Abs. 1 d. des BüG nicht erfüllt sei, «wenn die einbürgerungswillige Person in den drei Jahren unmittelbar vor der Gesuchstellung Sozialhilfe bezogen hat oder während des Einbürgerungsverfahrens sozialhilfeabhängig wird.»

Laut der BüV gilt als integriert, wer am Wirtschaftsleben teilnimmt oder Bildung erwirbt, aber auch, wer genügend Vermögen hat. Ausländerinnen und Ausländer, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, aber über genügend finanzielle Mittel verfügen, sollen gemäss dem Willen des Gesetzgebers nicht von vornherein von einer Einbürgerung ausgeschlossen werden. Dem Kriterium der Teilnahme am Wirtschaftsleben oder Erwerb von Bildung liegt gemäss dem erläuternden Bericht zur Verordnung der «Grundsatz der wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit» zu Grunde, und somit gilt als integriert, wer diesen erfüllt.

Demnach müssten aber auch Schweizer Sozialhilfebezüger/innen als «nicht integriert» gelten, da sie den Grundsatz der wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit ebenso wenig erfüllen. Damit geht der Gesetzgeber einen weiteren Schritt in Richtung Ausgrenzung und Stigmatisierung von Personen, die Sozialhilfe beziehen. Denn das Kriterium diskriminiert zum einen Einbürgerungswillige real und zum andern Schweizer/innen symbolisch aufgrund ihrer sozialen Stellung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 BV. «Fatales Signal aus dem Bundeshaus: Wer Sozialhilfe bezieht, hat kein Recht auf politische Mitsprache.» (Matthias Bertschinger)

Die Tendenz zur Diskriminierung aufgrund der finanziellen Verhältnisse wird bestärkt durch Art. 4 Abs. 1 a. und b. der Verordnung, wonach gemäss dem erläuternden Bericht auch «Steuer-, Miet-, Krankenkassen- und Bussenausstände» sowie «generell die Anhäufung von Schulden» Einbürgerungshindernisse darstellen sollen.

Verwandlung von Garantien in Gnadenakte

Der strenge Ausschluss bei Sozialhilfebezug während der drei vorangehenden Jahre ist ein Minimalstandard, der auf kantonaler Ebene ausdrücklich noch verschärft werden kann - und bereits verschärft wurde, wie es die Revision des Bernischen Sozialhilfegesetzes zeigt. Abgemildert wird diese rigorose Bestimmung zum einen durch die (theoretische) Möglichkeit der Rückzahlung der bezogenen Sozialhilfegelder und zum andern durch die «Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse» in Art. 9 BüV, welcher der Behörde die Möglichkeit gibt, bei Behinderung, schwerer Krankheit, Lese- oder Schreibschwäche, Erwerbsarmut, Betreuungsaufgaben und Jugendarbeitslosigkeit vom Ausschlusskriterium der Sozialhilfe abzusehen.

Allerdings ist auch diese Kann-Bestimmung zwiespältig, weil sie die Behörde in die übermächtige Rolle versetzt, über vermeintlich selbst verschuldete und unverschuldete Sozialhilfeabhängigkeiten zu befinden. Auf dem Weg dieser Ausnahmebestimmung wird die Einbürgerung zum eigentlichen Gnadenakt. Voraussetzung für diese schiefe Auffassung ist die institutionelle Diskriminierung der sozialhilfebeziehenden Einbürgerungswilligen. Die Diskriminierung aufgrund der sozialen Stellung in der Gesellschaft ist aber gemäss Art. 8 Abs. 2 BV eigentlich verboten.

Dass der erläuternde Bericht festhält, mit dieser Möglichkeit eines Gnadenakts werde «namentlich dem Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV) und dem Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 2 BV) Rechnung getragen», entspricht einem inzwischen gängigen Muster im Ausländerrecht: Wo die rigorose Gesetzgebung rechtstaatliche Prinzipien missachtet, werden sie durch die Hintertür notdürftig in Form von Härtefallregelungen wieder ins Spiel gebracht. So verwandeln sich grundrechtliche Garantien in Gnadenakte.

Dokumentation

Stellungnahmen

  • Sozialhilfebeziehende werden nicht eingebürgert
    Medienmitteilung der SKOS vom 11.07.2016 (online nicht mehr verfügbar)
  • Vernehmlassungsantwort zur Bürgerrechtsverordnung
    von humanrights.ch, 16. November 2015
  • Einbürgerung: Bürgerrechtsverordnung
    Mitteilung der Eidg. Kommission für Migrationsfragen, 15. Okt. 2015
  • Einbürgerung beschleunigt Integration
    Artikel zur Studie auf der Webseite des Schweizerischen Nationalfonds (online nicht mehr verfügbar)

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