27.01.2020
Im Folgenden finden sich einige Eckpunkte für das Verständnis des im internationalen Recht und in der Bundesverfassung verankerten Menschenrechts auf Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit. Die Angaben dienen einer Einführung und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Grundgehalt
Dieses Recht schützt die ungehinderte Äusserung, Verbreitung, Übertragung, Beschaffung und den Empfang von Informationen und Gedankengut jeder Art. Die Verbreitung der Meinung wird dabei als Meinungsäusserungsfreiheit, die Beschaffung, der Empfang und die Verbreitung von Informationen als Informationsfreiheit bezeichnet.
Rechtsquellen
Die Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit wird sowohl von zahlreichen internationalen Menschenrechtsverträgen, als auch auf nationaler Ebene garantiert.
Pflichten des Staates
Individuen oder Gruppen sind die Rechtsträger von Menschenrechten. Demgegenüber fallen den Staaten drei Pflichten zu: Die Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungspflicht.
Achtungspflichten
Der Staat und seine Organe müssen nicht gerechtfertigte Eingriffe in das Recht auf Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit unterlassen. Dazu gehören beispielsweise:
- die direkte oder indirekte Zensur von Medien- und Verlagshäusern
- die Verhinderung der Verbreitung der eigenen Meinung an Dritte
Schutzpflichten
Der Staat und seine Organe müssen Massnahmen gegen Verletzungen des Rechts auf Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit durch nicht-staatliche Dritte (Privatpersonen, Unternehmen etc.) ergreifen, wie zum Beispiel:
- der Schutz gegen Beeinträchtigungen dieser Garantie durch Private
- der Schutz gefährdeter Journalisten/-innen
Gewährleistungspflichten
Der Staat und seine Organe müssen institutionelle und materielle Voraussetzungen schaffen für die volle Realisierung der Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit, so beispielsweise:
- die Gewährleistung wirksamer Beschwerdemöglichkeiten gegen Verletzungen dieses Menschenrechts
- der barrierefreie Zugang zu Informationen und Meinungen
- der Anspruch auf Zugang zu nicht allgemein zugänglichen Quellen für Medienschaffende
Kerngehalt
Jeder Eingriff in den Kernbereich eines Menschenrechts ist verboten. Einen klaren Eingriff in den Kerngehalt der Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit stellt beispielsweise die systematische Vorzensur im Sinne einer allgemeinen vorgängigen Inhaltskontrolle von Publikationen dar.
Legitime Einschränkungen
Die Recht auf Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit darf nur eingeschränkt werden, wenn die allgemeinen Bedingungen für Eingriffe in Grund- und Menschenrechte erfüllt sind. Dafür muss eine gesetzliche Grundlage vorhanden und die Einschränkung notwendig und verhältnismässig sein, um die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Sittlichkeit sicherzustellen, oder die Grund- und Menschenrechte anderer zu wahren.
Beispiele für legitime Einschränkungen:
- Verbot der Aufhetzung zu rassistischer Hassrede (zwingende Einschränkung)
- Verbot der Kriegspropaganda (zwingende Einschränkung)
- Verbot von Aufrufen zu Gewalthandlungen
- Einschränkungen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes oder der Privatsphäre von Dritten.
- Einschränkungen aus Gründen des Jugendschutzes
- Einschränkungen aus Gründen des Schutzes religiöser Gefühle von Dritten
Kontroverse Themen
- Hassreden: Die Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit
Dürfen Angehörige von Minderheiten beliebig beschimpft werden? - Kampagne zur Minarettverbots-Initiative: Zwischen Meinungsäusserungsfreiheit und Diskriminierungsverbot
Wie diffamierend darf politische Propaganda im Abstimmunskampf sein? - Die Debatte um die Roma-Titelseite der Weltwoche
Darf der graphische Aufmacher zu einem Zeitschriften-Artikel negative Stereotypen über eine Volksgruppe verstärken? - «Maulkorb-Artikel» (Art. 293 StGB) wird nicht gestrichen, aber angepasst
Informationsfreiheit und nationale Sicherheit: Wo überwiegt das staatliche Interesse an Geheimhaltung das Öffentlichkeitsprinzip? - Überwälzung von Polizeikosten auf Veranstalter/innen und Teilnehmer/innen von Demonstrationen
Dürfen durch Kundgebungen entstandene Kosten auf Demonstrierende überwälzt werden? - Medienförderung wegen Schrumpfung der Medienvielfalt eine staatliche Pflicht
Muss der Staat die Medienvielfalt fördern? - Das Verbot homophober Äusserungen und Handlungen kommt ins Strafgesetzbuch
Welchen Schutz bringt die Antirassismus-Strafnorm in der heutigen Form?
Ausgewählte Rechtsprechung und Empfehlungen
- Schweizer Fälle vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – Artikel 10 EMRK
Dokumentation auf humanrights.ch - Schutz journalistischer Quellen
Informationsblatt zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (pdf, 3 S.) - EGMR zum Fall Perincek: Auch die Grosse Kammer schützt die Meinungsäusserungsfreiheit
Perincek gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 27510/08, Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, 15. Oktober 2015 - Der EGMR verurteilt die Türkei wegen der unrechtmässigen Inhaftierung zweier Journalisten
Alpay und Altan gegen die Türkei, Beschwerde Nr. 16538/17 und 13237/17, Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, 20. März 2018 - Abgrenzung gegen Islam darf als «verbaler Rassismus» eingestuft werden
GRA gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 18597/13, Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, 9. Januar 2018 - Ungerechtfertigte Verweigerung eines Fernsehinterviews mit einer Gefängnisinsassin
SRG gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 34124/06, Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, 21. Juni 2012
Online-Texte zur Vertiefung
- Meinungs- und Meinungsäusserungsfreiheit (freedoms of opinion and expression)
Allgemeine Bemerkung Nr. 34 des UNO-Menschenrechtsausschusses, 12. September 2011 (Englisch, pdf, 13 S.)