27.01.2020
Im Folgenden finden sich einige Eckpunkte für das Verständnis des im internationalen Recht und in der Bundesverfassung verankerten Menschenrechts der Wissenschaftsfreiheit. Die Angaben dienen einer Einführung und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Grundgehalt
Die Wissenschaftsfreiheit beinhaltet sowohl die aktive Freiheit, Forschung und wissenschaftliche Lehre zu betreiben, als auch die passive Freiheit, die Forschungsergebnisse zur Kenntnis zu nehmen und von den wissenschaftlichen Errungenschaften profitieren zu können.
Rechtsquellen
Die Wissenschaftsfreiheit wird sowohl von zahlreichen internationalen Menschenrechtsverträgen, als auch auf nationaler Ebene garantiert.
Pflichten des Staates
Individuen oder Gruppen sind die Rechtsträger/innen von Menschenrechten. Demgegenüber fallen den Staaten drei Pflichten zu: Die Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungspflicht.
Achtungspflichten
Der Staat und seine Organe haben nicht gerechtfertigte Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit zu unterlassen. So beispielsweise:
- Einmischung der Behörden in Lehre und Forschung
- Steuerung der wissenschaftlichen Entwicklung im Interesse des Staates
Schutzpflichten
Der Staat und seine Organe müssen Massnahmen gegen Verletzungen der Wissenschaftsfreiheit durch nicht-staatliche Dritte (Privatpersonen, Unternehmen etc.) ergreifen. So beispielsweise:
- der Schutz der Wissenschaftsfreiheit vor kommerziellen Interessen
Gewährleistungspflichten
Der Staat und seine Organe müssen institutionelle und materielle Voraussetzungen schaffen, um die volle Realisierung dieses Rechts zu gewährleisten. Dazu zählt beispielsweise:
- die aktive Forschungsförderung
- die Gewährleistung wirksamer Beschwerdemöglichkeiten gegen Verletzungen der Wissenschaftsfreiheit
- das Bereitstellen notwendiger Infrastruktur
- die Gewährleistung, dass die gesamte Bevölkerung vom wissenschaftlichen Fortschritt profitieren kann
Kerngehalt
Jeder Eingriff in den Kerngehalt eines Menschenrechts ist verboten. Ein klarer Eingriff in den Kernbereich der Wissenschaftsfreiheit stellt beispielsweise die systematische inhaltliche Vorzensur von Äusserungen an die Öffentlichkeit dar.
Legitime Einschränkungen
Kulturelle Rechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn die allgemeinen Bedingungen für Eingriffe in Grund- und Menschenrechte erfüllt sind. Dafür muss eine gesetzliche Grundlage vorhanden und die Einschränkung notwendig und verhältnismässig sein, um die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Sittlichkeit sicherzustellen, oder die Grund- und Menschenrechte anderer zu wahren.
Beispiele für legitime Einschränkungen
- Voraussetzung der Zustimmung einer Ethikkommission für die Durchführung klinischer Versuche mit neuen Medikamenten
- beschlagnahmen von pseudowissenschaftlichen rassistischen Werken
Kontroverse Themen
- Biomedizinrecht und Menschenrechte
Welche Grenzen sind der Wissenschaftsfreiheit in der Biomedizin gesetzt, z.B. bei der Forschung am Menschen, in der Fortpflanzungsmedizin, in der Gentechnologie und bei genetischen Untersuchungen am Menschen? - Crispr-Entdecker fordern weltweiten Stopp von Embryonenversuchen
Ist die CRISPR-CAS-Methodik mit den Menschenrechten vereinbar?
Ausgewählte Rechtsprechung und Empfehlungen
- Beschlagnahmung eines Buches, welches teilweise eine Dissertation wiedergibt
Sapan gegen die Türkei, Beschwerde-Nr. 44102/04, Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, 8. Juni 2010 (Französisch) - Patentierbarkeit embryonaler Stammzellen
Oliver Brüstle gegen Greenpeace e.V., Beschwerde-Nr. C-34/10, Urteil des Europäischen Gerichtshofes, 18. Oktober 2011
Online-Texte zur Vertiefung
- Biomedizinrecht
Überblick von Helena Zaugg, Zürich, Januar 2010 (pdf, 16 S.) - Grund- und Grenzen der Wissenschaftsfreiheit
Bericht von Prof. Dr. Martin Schulte, Berlin, 2006 (pdf, 36 S.)