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Die Nationalen Aktionspläne der Schweiz und Deutschlands im Vergleich

27.10.2017

Fast gleichzeitig, im Dezember 2016, haben sowohl die Schweiz als auch Deutschland ihre jeweiligen Nationalen Aktionspläne für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) veröffentlicht. Die NAP basieren auf den Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechte der UNO. Dieser Artikel dient dazu, die zwei NAP der beiden Nachbarstaaten zu vergleichen.

In der Schweiz wurde der NAP am 9. Dezember 2016 vorgelegt, nachdem im Jahr 2012 der damalige Nationalrat und aktuelle Stadtpräsident von Bern, Alec von Graffenried, mit seinem Postulat 12.3503 dessen Erarbeitung innerhalb von zwei Jahren gefordert hatte. Während der Erarbeitung wurden Nichtregierungsorganisationen und andere Interessengruppen sporadisch konsultiert, worauf es einmal zu einer kompletten Überarbeitung des NAP kam.

Deutschland hat seinen NAP am 21. Dezember 2016 vorgelegt. Dieser NAP wurde in einem zweijährigen Multi-Stakeholder-Prozess erarbeitet. Dabei wurden mehrere Ministerien, Wirtschaftsverbände, Verbände der Nichtregierungsorganisationen, die Öffentlichkeit und weitere Stakeholder auf verschiedene Art konsultiert.

Die Schweiz verpasst eine solide Analyse der Lücken

Das Hochkommissariat für Menschenrechte der UNO hat Richtlinien für die Erstellung eines NAP herausgegeben. Darin hält es fest, dass Lücken in der Umsetzung der Leitprinzipien der UNO durch Unternehmen und den Staat identifiziert werden sollen. Die Schweiz hat darauf verzichtet und in der Vorbereitung des NAP keine solide Lückenanalyse durchgeführt. Vielmehr findet sich im Schweizer NAP vor allem eine Darstellung von bereits existierenden Instrumenten. Dies ist ein klares Versäumnis und trägt dazu bei, dass der Schweizer NAP nicht alle Problemfelder abdeckt.

Diesbezüglich steht der NAP von Deutschland auf einer solideren Grundlage. Als Basis des NAP hat Deutschland ein sogenanntes National Baseline Assessement durchgeführt. Darin wurden zunächst Regulierungen, Prozesse und Gesetze im Themenfeld Wirtschaft und Menschenrechte aufgeführt, die bereits vorhanden sind. Daraufhin wurde auf mögliche Lücken in der Umsetzung hingewiesen. Es wurden auch Fragen an die Regierung Deutschlands gestellt, wie man solche Lücken angehen könnte. Darin besteht ein markanter Unterschied zum Schweizer NAP.

Es fehlen verbindliche Massnahmen

Die UNO Leitprinzipien besagen, dass ein Staat auch mithilfe von bindenden Rechtsvorschriften von Wirtschaftsunternehmen die Achtung der Menschenrechte fördern soll. Im Schweizer NAP steht jedoch bereits in der Einleitung, dass dieser keine neuen rechtlich bindenden Massnahmen schaffe. Das ist insofern verständlich, als dass neue rechtlich verbindlichen Massnahmen durch einen Aktionsplan gar nicht geschaffen werden können. Es mangelt jedoch im Bericht  auch an Absichtserklärungen für die Schaffung von rechtlich bindenden Massnahmen.

Der Bundesrat stützt sich im NAP grossmehrheitlich auf das Freiwilligkeitsprinzip. Unternehmen werden angehalten, durch freiwillige Massnahmen den Menschenrechten bei ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten Achtung zu verschaffen. Der NAP versäumt es jedoch, die Wirksamkeit dieses Freiwilligkeitsprinzip nachzuweisen. Damit widerspricht der Bundesrat dem Konzept des Smart-Mix, das er selber als Konzeptgrundlage nennt. Der Smart-Mix propagiert eine intelligente Mischung von freiwilligen und rechtlich bindenden Massnahmen zur Umsetzung der UNO Leitprinzipien.

Auch Deutschlands NAP ist alles andere als ambitioniert, wenn es um verbindliche Maßnahmen geht. In einem gewichtigen Punkt jedoch geht Deutschland ein Stück weiter als die Schweiz, nämlich bei der Sorgfaltsprüfung im Bereich der Menschenrechte. Deutschland setzt sich zum Ziel, dass bis 2020 die Hälfte aller grossen Unternehmen eine menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung in ihre Unternehmensprozesse integrieren. Falls dieses Ziel nicht erreicht wird, wird die deutsche Bundesregierung weitere Schritte bis hin zu gesetzlichen Massnamen prüfen.

In diesem Zusammenhang bemerkt der Schweizer Bundesrat im NAP lediglich, dass er eine Sorgfaltsprüfung auf freiwilliger Basis unterstütze und ansonsten mögliche Regelungen international breit abgestützt werden müssen.

Es fehlt weiterhin ein wirksamer Zugang zum Recht

Eine Knacknuss im Bereich „Wirtschaft und Menschenrechte" ist und bleibt der Zugang zu Abhilfe für Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Der Schweizer Bundesrat anerkennt in seinem NAP im Allgemeinen „seine Verantwortung, Betroffenen Zugang zu Schweizer Beschwerdemechanismen zu ermöglichen, wenn in der Schweiz ansässige Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen im Ausland beteiligt sind und Betroffene im Gaststaat keinen angemessenen Zugang zu wirksamer Abhilfe haben.“ (Schweizer NAP, S. 37)  In der Umsetzung beschränkt sich der NAP aber mit Hinweisen auf bestehende Instrumente, insbesondere auf die laufende Abklärung bezüglich dem Zugang zu Schweizer Gerichten für ausländische Opfer von Menschenrechtsverletzungen (Postulat 12.2042 Zugang zur Wiedergutmachung der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats).

Deutschlands NAP gleicht in diesem Punkt weitgehend dem Schweizer NAP. Deutschland bewertet den Zugang zu deutschen Gerichten für Opfer von Menschenrechtsverletzungen im Ausland als gut. Dies ist, wie auch in der Schweiz, allerdings weitgehend realitätsfremd. Opfer haben selten konkret die Möglichkeit und die Mittel, Schweizer, oder deutsche Gerichte wegen erlittener Menschenrechtsverletzungen anzurufen.

Praktische Anwendbarkeit für Unternehmen

Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland hat sich im Konsultationsprozess gezeigt, dass Unternehmen konkrete Vorgaben verlangen, wie sie die UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte konkret umsetzen sollen. Sowohl der NAP der Schweiz als auch Deutschlands propagieren eine ähnliche Vorgehensweise. Sie nennen eine Reihe von Massnahmen, die weitgehend schon bestehen. Es handelt sich dabei unter anderem um Informationsveranstaltungen, Ausbildungen und Beratungen für Unternehmen und die Erarbeitung von branchenspezifischen Leitlinien. Dieser Ansatz ist zwar zu begrüssen. In Anbetracht dessen, dass beide Länder vor allem auf die Freiwilligkeit der Unternehmen in der Umsetzung der UNO Leitlinien setzen, greifen diese Massnahmen jedoch zu kurz. Nötig wären umfassendere Programme, die es Unternehmen ermöglichen, die UNO Leitprinzipien einfach und unkompliziert umzusetzen.

Überprüfungszeitraum der NAP

In der Schweiz und in Deutschland soll die erstmalige Veröffentlichung des NAP einen längerfristigen Prozess anstossen. Die NAP werden periodisch überarbeitetet, in der Schweiz zum ersten Mal bereits im Jahr 2019. Damit besteht die Möglichkeit und die Verpflichtung für die beiden Staaten, dass die Lücken in den aktuellen NAP erkannt und korrigiert werden - eine Chance, die es zu nutzen gilt.

Ausblick

Wenn man die NAP der Schweiz und Deutschlands anschaut, dann fällt einem etwas auf. Es mangelt an Selbstkritik. Bei der Lektüre beider NAP wird der Eindruck erweckt, dass die Umsetzung der UNO Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte bereits zu einem sehr grossen Teil erfüllt sei. Sowohl für die Schweiz als auch für Deutschland ist eine solche Haltung unzureichend. Als hochentwickelte Industrieländer mit einer Vielzahl von international sehr erfolgreich tätigen Unternehmen müssen die beiden Nachbarstaaten einen höheren Anspruch haben.

Deutschland hat als Mitglied der G7 einst einen «ambitionierten» NAP versprochen; es wolle führend bleiben in der Achtung von Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards. Obwohl der NAP Deutschlands nun sehr bescheiden ausgefallen ist, so ist doch der Anspruch der richtige. Die Schweiz und Deutschland müssen führend sein im Festlegen von Menschenrechtsstandards für Unternehmen, und das soll sich auch in den überarbeiteten NAP zeigen.