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Ungenügende Umsetzung der Unternehmensverantwortung von Schweizer Firmen

27.06.2023

Unternehmen mit Sitz in der Schweiz unterliegen seit Januar 2022 Transparenz- und Sorgfaltspflichten, welche sie zur Umsetzung der Menschenrechte in ihrer gesamten Produktionskette verpflichten. Geregelt wird dies im indirekten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative. Dieser ist hingegen eindeutig unzureichend, um internationale Standards zu erfüllen. 

Die Bemühungen der Schweizer Behörden der letzten Jahre, Unternehmen bezüglich der Einhaltung von Menschenrechten stärker in die Pflicht zu nehmen, bestanden aus zwei wichtigen Dynamiken.

Die erste hat ihren Ursprung in zivilgesellschaftlichem Engagement und will eine verbindliche Regulierung inklusive Haftungsregime für Unternehmen mit Sitz in der Schweiz einzuführen. Sie fand ihren Ausdruck in der Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen - Schutz der Menschenrechte und der Umwelt» bzw. der Ausarbeitung eines indirekten Gegenvorschlags, der schliesslich Ende 2021 angenommen wurde, nachdem die Volksinitiative rund ein Jahr zuvor am Ständemehr scheiterte. Dieses Gesetz wurde anschliessend durch die Verordnung über die Sorgfaltspflicht und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit (VSoTr) ergänzt.

Die zweite Dynamik geht von der staatlichen Initiative zur Umsetzung der Leitprinzipien der Vereinten Nationen (UNLP) aus, die in der Veröffentlichung eines überarbeiteten Nationalen Aktionsplans (NAP) 2020-2023 zu Wirtschaft und Menschenrechten resultierte. Die Gesetzgebung und die vom Bundesrat verfolgte Politik werden von der Zivilgesellschaft stark kritisiert.

Umsetzung des Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungsinitiative

Der vom Bundesrat vorgeschlagene und vom Parlament im Juni 2020 angenommene indirekte Gegenvorschlag geht weniger weit als die Konzernverantwortungsinitiative, die eine allgemeine Sorgfaltspflicht und eine Regelung für die zivilrechtliche Haftung forderte. Der Gegenvorschlag sieht lediglich für Unternehmen mit einer Bilanzsumme von über 20 Millionen Franken oder einem Umsatz von mindestens 40 Millionen Franken und einer Belegschaft von mindestens 500 Vollzeitbeschäftigten (Jahresdurchschnitt), eine allgemeine Verpflichtung zur Veröffentlichung nicht finanzbezogenen Informationen (zu Umwelt-, Sozial- und Personalfragen, in Bezug auf die Achtung der Menschenrechte und zur Korruptionsbekämpfung) sowie eine Sorgfaltspflicht, die auf die Bereiche Kinderarbeit und Mineralien aus Konfliktgebieten beschränkt ist, vor. Die Umsetzung der Sorgfaltspflicht ist Gegenstand einer Verordnung, die ein Vernehmlassungsverfahren durchlaufen hat (vgl. Verordnungsvorentwurf VE-VSoTr) und am 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist.

Laut der Koalition für Konzernverantwortung hat der Bundesrat die Kritik von 40 NGOs, 20’600 Privatpersonen, verschiedenen Kantonen, politischen Parteien und Wirtschaftsverbänden ignoriert, indem er eine minimalistische Durchführungsverordnung verabschiedet hat, die der internationalen Entwicklung entgegenläuft. Für die Koalition ist der Verordnungsentwurf ineffizient, willkürlich, rechtlich unpräzise sowie international überholt. Daher hat sie eine Petition lanciert, die ein starkes und wirksames Gesetz fordert, das drei Punkte umfasst: (1) Die gesetzliche Verankerung einer risikobasierten Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte und des Umweltschutzes, die internationalen Standards entspricht, insbesondere den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen; (2) die Schaffung einer unabhängigen Aufsichtsbehörde mit weitreichenden Befugnissen nach dem Vorbild des EU-Richtlinienentwurfs; (3) eine an das Schweizer Recht angepasste zivilrechtliche Haftung für Menschenrechts- oder Umweltschäden, die durch angemessene Sorgfalt hätten vermieden werden können. Weiter wurde die parlamentarische Initiative «Bekämpfung der Zwangsarbeit durch Ausweitung der Sorgfaltspflicht» von den Rechtskommissionen des Ständerats und des Nationalrats angenommen. Diese beiden Vorstösse könnten es ermöglichen, die Sorgfaltspflicht in das Gesetz über die Verantwortung multinationaler Unternehmen zu integrieren und es so wirksamer zu machen.

Eine problematische und minimalistische Gesetzgebung ...

Gemäss dem Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung richtet sich die Kritik der Gegner*innen des Verordnungsentwurfs vor allem gegen die Natur des indirekten Gegenvorschlags, aber auch gegen die Verordnung als solche, die den demokratischen Prozess umgeht. Der Gegenvorschlag und die Durchführungsverordnung fallen durch ihre fehlende Verbindlichkeit auf: Es geht nicht um eine rechtliche Verantwortung der Muttergesellschaften in der Schweiz und ihrer Wertschöpfungskette, weder im Zivilrecht noch im Straf- oder Verwaltungsrecht. Mehrere Parteien bedauern zudem, dass der Anwendungsbereich der Sorgfaltspflicht auf Kinderarbeit sowie Metalle und Mineralien aus Konfliktgebieten beschränkt ist und nicht auf die entscheidenden Themen Zwangsarbeit, gesundheitsschädliche Arbeit, Enteignungen, Privatisierung natürlicher Ressourcen oder Umweltzerstörung ausgeweitet wird.

Schliesslich wird auch der Inhalt der Sorgfaltspflichten selbst kritisiert. So bemängeln einige Vernehmlassungsteilnehmer*innen, dass die Instrumente der Sorgfaltspflichten (Art. 10 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 2 VSoTr) nur alternativ zur Anwendung kommen. Vor allem aber wird das Fehlen einer Wirksamkeitsüberprüfung der Sorgfaltspflichten – d.h. der auf der Grundlage des Risikomanagementplans (Art. 15 VSoTr) getroffenen Massnahmen – kritisiert. In diesem Sinne möchten einige Vernehmlassungsteilnehmer*innen die Überprüfung dieser Massnahmen verstärken: neben Revisionsexperten*innen sollten auch andere Stellen die Einhaltung der Sorgfaltspflichten im arbeits- und kinderrechtlichen Bereich überprüfen können. Das können z. B. akkreditierte Zertifizierungsstellen oder spezialisierte Anwält*innen sein.

... die mit Ausnahmen gespickt ist

Die Umsetzungsverordnung des Gegenvorschlags der Konzernverantwortungsinitiative enthält eine Reihe von Ausnahmen von den Sorgfaltspflichten, die die Reichweite der gesetzlichen Grundlage in der Schweiz diesem Bereich noch weiter schwächen. Das Gegenprojekt sieht eine Befreiung durch Bezugnahme auf ein internationales Regelwerk (Art. 9 VSoTr) vor. Ein Unternehmen müsste also nur behaupten, dass es bereits internationale Standards einhält, um von seiner Sorgfaltspflicht befreit zu werden – eine Art "Zirkelschluss", der von den Kritiker*innen als nicht nachvollziehbar bezeichnet wurde. Eine weitere Ausnahme, die von der Koalition Konzernverantwortung vorgebracht wurde, betrifft die zu hohen Schwellenwerte für die Einfuhr von Konfliktmineralien in die Schweiz, die der Sorgfaltspflicht unterliegen (Art. 4 VSoTr). Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Schwellenwerte sind umso problematischer, als die Europäische Union mit Zustimmung der betroffenen Branche (European Precious Metals Federation) eine Absenkung dieser Schwellenwerte ab 2023 vorgesehen hat. Die Koalition hatte daraufhin gefordert, dass die Schweiz mit der EU gleichzieht (Art. 1 Abs. 3 der Verordnung 2017/821) und sicherstellt, dass die Schwellenwerte auf mindestens 95% der importierten und in der Schweiz verarbeiteten Metalle angewandt werden. Eine weitere Ausnahme, die den Konfliktmineraliensektor betrifft, ist die Vermarktung von recycelten Mineralien, die nicht unter die Verordnung fällt (Art. 12, Abs. 3 VSoTr). Schliesslich wird Kobalt - ein Mineral, dessen Abbau mit zahlreichen und schweren Menschenrechtsverletzungen verbunden ist - nicht von der Gesetzgebung erfasst, obwohl Schweizer Unternehmen auf dem Kobalt-Weltmarkt eine führende Rolle spielen.

Die Verordnung enthält ausserdem drei als problematisch erachtete Ausnahmen im Bereich der Kinderarbeit. Erstens sind risikobehaftete KMU von der Gesetzgebung nicht betroffen (Art. 7 VSoTr). Zweitens werden – laut den erläuternden Berichten zum Vorentwurf und zur Verordnung – Unternehmen ausgenommen, wenn die Endproduktion ihrer Produkte in einem Land ohne "nachweisliches Risiko" von Kinderarbeit stattfindet, wodurch mögliche Verstösse entlang der Lieferkette unerwähnt bleiben. Schliesslich werden Unternehmen durch umstrittene Bestimmungen (Art. 2, 5, 6 7, 11 und 13) von ihrer Verantwortung befreit, wenn es keinen "begründeten Verdacht" auf Kinderarbeit gibt. In Bezug auf den letzten Punkt hatte die Zivilgesellschaft gefordert, die Überprüfung eines Verdachts systematisch mit der Sorgfaltspflicht zu verknüpfen.

Die Nationalen Aktionspläne (NAP)

Im Jahr 2014 ermutigte die UNO-Arbeitsgruppe für Menschenrechte und transnationale wie auch andere Unternehmen, die für die Förderung der UNGDPs zuständig ist, die Staaten, einen Nationalen Aktionsplan (NAP) zu erarbeiten, zu veröffentlichen und regelmässig zu aktualisieren. Der NAP definiert sich als «eine sich kontinuierlich entwickelnde politische Strategie, die von einem Staat zum Schutz gegen durch Unternehmen verursachte negative Auswirkungen auf die Menschenrechte erarbeitet wird». Diese Aktionsplänen können Sorgfaltspflichtüberprüfungsregulierungen gleichgesetzt werden, die in den Rechtsordnungen zur Regulierung von multinationalen Konzernen jener Länder verankert sind, in denen die Muttergesellschaft ansässig ist. Bisher haben nur 24 Staaten -überwiegend aus Europa - einen nationalen Aktionsplan erstellt, 21 haben sich dazu verpflichtet, einen solchen zu erarbeiten. Die NAP werden v.a. deswegen kritisiert, weil sie den nationalen und regionalen Gesetzgebern einen grossen Ermessensspielraum einräumen. NAPs können daher zu minimalistischen Regulierungen führen, die sich beispielsweise nur auf einen bestimmten Wirtschaftszweig beziehen oder nur bestimmte Rechte einbeziehen, meist ohne Definition von Kontrollmechanismen oder Sanktionsmöglichkeiten.

Der Schweizer NAP: ein enttäuschender Soft-Law-Mechanismus

Der vom Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) und dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) unter Beteiligung externer Interessengruppen (Wirtschaftsverbände, Zivilgesellschaft, Wissenschaft) ausgearbeitete NAP "UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte: Nationaler Aktionsplan der Schweiz 2020-2023" wurde vom Bundesrat am 16. Januar 2020 veröffentlicht. Er folgt auf einen ersten Aktionsplan für den Zeitraum 2016 bis 2019, den der Bundesrat im Dezember 2016 verfasst und publiziert hatte. Im aktuellen Aktionsplan «erwartet» der Bundesrat von Schweizer Unternehmen, dass sie "ihre Verantwortung im Bereich der Menschenrechte unabhängig vom Ort ihrer Geschäftstätigkeit angemessen wahrnehmen und Sorgfaltspflichtverfahren integrieren" und "negative Auswirkungen auf die Menschenrechte verhindern".

Dieser Aktionsplan wurde insbesondere von der Arbeitsgruppe "Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" der NGO-Plattform für Menschenrechte Schweiz kritisiert. Wie die Zivilgesellschaft in ihrer Empfehlung Nr. 11 des alternativen Follow-up-Berichts zum UNO-Pakt I festhält, beschränkt sich der Bundesrat im NAP darauf, Sensibilisierungsmassnahmen zu fördern und den Austausch von "guten Praktiken" zwischen bundesnahen Unternehmen zu unterstützen. Es werden keine klaren Anreize oder politische Rahmenbedingungen für diese Unternehmen vorgeschlagen. Mit dem Verzicht auf verbindliche Regelungen würde die Schweiz gegen die Pflicht zum Schutz der Menschenrechte, wie sie im UNO-Pakt I verankert ist, verstossen. Die Zivilgesellschaft hatte in ihrem Analysepapier "Unternehmen und Menschenrechte: Ein lückenhafter neuer Schweizer Aktionsplan" weitere wichtige Schwachstellen aufgezeigt. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass "der NAP 2020-2023 [...] in den Augen der Organisationen der Schweizer Zivilgesellschaft keinen soliden Rahmen darstellt, um sicherzustellen, dass Schweizer Unternehmen bei ihren Aktivitäten und denen ihrer ausländischen Geschäftspartner*innen die Menschenrechte respektieren".

Laut dem Analysepapier erklärt der Schweizer NAP nicht, mit welchen Mechanismen potenzielle Interessenkonflikte zwischen der wirtschaftlichen Förderung der Schweiz und der Förderung der Menschenrechte gelöst werden können. Nach Ansicht der Koalition der Zivilgesellschaft, die das Analysepapier verfasst hat, fehlt es dem Aktionsplan auch weiterhin an klaren Zielen und Indikatoren. Die Zivilgesellschaft moniert, dass der Bundesrat nicht klar festlegt, wieviele Firmen von der Sorgfaltsprüfungspflicht betroffen sind. Mit anderen Worten, der NAP gibt nicht an, welche Firmen bis 2023 eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht einführen muss. Im Gegensatz dazu hat Deutschland 2016 einen klaren Indikator für den Erfolg seines NAP festgelegt: 50% der grossen Unternehmen sollen innerhalb von vier Jahren eine Sorgfaltspflicht einführen. Und schliesslich erkennt der Bundesrat im NAP zwar "seine Verantwortung an, den Betroffenen Zugang zu schweizerischen Beschwerdemechanismen zu verschaffen, wenn in der Schweiz ansässige Unternehmen in Menschenrechtsverletzungen im Ausland verwickelt sind und die Opfer im Gastland keinen Zugang zu wirksamen Beschwerdemechanismen haben", doch die Möglichkeiten für ausländische Opfer, Zugang zu schweizerischen Gerichten zu erhalten, bleiben theoretischer Natur. Zusammenfassend bleibt der vom Bundesrat vorgeschlagene Aktionsplan 2020-2023 nach Aussage von FIAN Schweiz - federführende Organisation bei der Verfassung des NGO-Berichts - "vage, summarisch oder ungenau, (...) schwach oder sogar völlig ambitionslos".

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