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Gleichstellung der Frau - Dossier

Menschenhandel in der Schweiz

07.07.2023

Menschenhandel ist eine schwere Straftat und Menschenrechtsverletzung, die auch in der Schweiz stattfindet. Während die Statistiken zu Menschenhandel mit Vorsicht zu geniessen sind, können sich Betroffene, Unterstützungsorganisationen und Behörden auf handfeste, verbindliche internationale Verträge bei der Bekämpfung von Menschenhandel in der Schweiz stützen. In diesen Verträgen wird unter anderem die Straftat Menschenhandel definiert, die Rechte von Opfern von Menschenhandel festgeschrieben, sowie die Rechte von besonders vulnerablen Personengruppen, wie Frauen und Kinder, verankert. Wie diese internationalen Grundlagen mit der nationalen Gesetzgebung zu Menschenhandel korrespondieren und sich in der jeweiligen Rechtsprechung konkretisieren, thematisiert der folgende Text.

Verfasserin: FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (Auszug aus dem Grundlagenartikel «Menschenhandel in der Schweiz: Zahlen, Grundlagen, Herausforderungen», Juni 2023)

Das Bedürfnis, Menschenhandel in Zahlen und dadurch in seinem Ausmass und seinen Charakteristika fassen zu können, ist gross. Gleichzeitig sind repräsentative Zahlen praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Wird der Menschenhandel doch oft nicht erkannt («Hell-Feld») und ist die Dunkelziffer («Dunkel-Feld») dadurch unmessbar hoch. So gleichen die Zahlen eher einer Mutmassung, höchstens einer Tendenz. Die von der Schweizer Plattform gegen Menschenhandel erfassten Opfer von Menschenhandel sind zu ca. 80 Prozent weiblich. Rund zwei Drittel aller betroffenen Personen werden in der Prostitution ausgebeutet. Betroffene von Menschenhandel zwecks Ausbeutung der Arbeitskraft (z.B. im Haushalt, in der Gastronomie, in Nailstudios usw.) sowie Menschenhandel zwecks Ausübung krimineller Handlungen stellen das andere Drittel dar. Die Opfer kommen aus über 50 verschiedenen Ländern, während rund 40% aus afrikanischen Ländern sind.
Dieser Artikel befasst sich mit den internationalen und nationalen Rechtsgrundlagen sowie der relevanten Rechtssprechung. Mehr zur statistischen Erfassung und Herausforderungen in der Bekämpfung des Menschenhandels in der Schweiz finden Sie hier.

Internationale Rechtsgrundlagen, Monitoringprozesse und Rechtsprechung

Menschenhandel ist eine schwere Straftat und Menschenrechtsverletzung. Massnahmen zu seiner Bekämpfung und Bestrafung wurden in diversen internationalen Vereinbarungen festgehalten, welche auch die Schweiz ratifiziert hat. Darin wurde die Straftat definiert, die Rechte von Opfern von Menschenhandel festgeschrieben, sowie die Rechte von besonders vulnerablen Personengruppen, wie Frauen und Kinder, definiert und verankert.

UNO – Palermoprotokoll

Im sogenannten Palermo-Protokoll (d.h. Zusatzprotokoll zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität UNTOC, vom 15. November 2000, in Kraft getreten für die Schweiz am 26. November 2006) wurde die heute international gültige Definition von Menschenhandel festgelegt (Art. 3 Bs. a). Zudem wurde in diesem internationalen Vertrag erstmals festgehalten, dass Opfer des Menschenhandels unter voller Achtung ihrer Menschenrechte zu schützen sind (Art. 2) und Rechte des Opfers postuliert (Art. 6-8). Erstmals wurde 2020 ein Review Prozess zur Umsetzung des Palermo-Protokolls in der Schweiz durchgeführt. Der entsprechende Bericht wurde bis dato April 2023 noch nicht veröffentlicht, mehr Informationen dazu hier.

Das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie vom 25. Mai 2000 (in Kraft getreten für die Schweiz am 19.  Oktober 2006) wird der Schutz vor dem Handel mit Kindern detailliert geregelt.

Europarat – Europaratskonvention zur Bekämpfung von Menschenhandel

Seit dem 1. Februar 2008 ist das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels (ÜBM) vom 16. Mai 2005 in Kraft, welches seit dem 1. April 2013 auch für die Schweiz bindend ist. Sein Anwendungsbereich erstreckt sich gemäss Artikel 2 auf alle Formen des Menschenhandels, sei er innerstaatlich oder grenzüberschreitend, der organisierten Kriminalität zuzuordnen oder nicht. Ergänzend zum Palermo-Protokoll – von welchem die Definition des Menschenhandels übernommen wird – stärkt das ÜBM den Fokus auf die Rechte der Opfer (siehe auch den Erklärenden Bericht zum Übereinkommen), und stellt damit eine wichtige Ergänzung des Palermo-Protokolls dar, dessen Fokus stärker auf der Strafverfolgung liegt.  

Kapitel III des Übereinkommens, das dem Schutz und der Förderung der Rechte der Opfer gewidmet ist, enthält einen umfangreichen Katalog von Massnahmen. Angefangen von der Ausstattung der zuständigen Behörden mit geschultem und qualifiziertem Personal (Art. 10) über umfassende Rechte für Unterstützung, Schutz und Beratung der Betroffenen (Art. 12) bis hin zur Gewährleistung einer Entschädigung derselben (Art. 15) werden den Vertragsstaaten umfassende Verpflichtungen auferlegt. Die Formulierungen sind erheblich strenger als die Regelungen des Palermo-Protokolls und lassen den Vertragsparteien dadurch kaum Raum für eigene Beurteilungen. Die Bereitschaft des Opfers, als Zeug*in im Strafprozess aufzutreten, darf dabei nicht zur Voraussetzung für die Gewährung von Unterstützung gemacht werden (Art. 12 Abs. 6).

Die Europaratskonvention zur Bekämpfung von Menschenhandel gehört zur wichtigsten Grundlage in der Bekämpfung von Menschenhandel in der Schweiz. Alle 4 Jahre wird die Schweiz von einer Expert*innengruppe des Europarats (Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings, GRETA) bezüglich der Umsetzung überprüft und der Handlungsbedarf wird benannt. Zuletzt publizierte GRETA ihre Empfehlungen und dringenden Handlungsfelder 2019 in der zweiten Evaluationsrunde. Sie forderten die Einführung eines formalisierten Identifizierungsprozesses bei potentiellen Betroffenen von Menschenhandel, verbesserten Zugang zu spezialisiertem Opferschutz und die Unterstützung wie auch die Schliessung der Gesetzeslücke für Opfer mit Tatort Ausland. Diese decken sich zu grossen Teilen mit den aktuellen Herausforderungen in der Bekämpfung von Menschenhandel in der Schweiz, die weiter unten ausgeführt werden. 2023 stand die dritte Evaluationsrunde an, in welcher sich die menschenrechtlich und opferzentrierte Zivilgesellschaft erneut mit einem Alternativbericht zuhanden GRETA beteiligt hat.

Seit dem 1. Juli 2010 ist das Übereinkommen des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch vom 25. Oktober 2007 – auch Lanzarote-Konvention genannt – in Kraft. Die Schweiz hat dieses Übereinkommen unterzeichnet und am 18. März 2014 ratifiziert.

Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – Art. 4

Der Art. 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) hält fest, dass niemand in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten und gezwungen werden darf, Zwangs- und Pflichtarbeit zu verrichten. Darüber hinaus gilt Menschenhandel seit dem Leitentscheid des EGMR vom 27. Juli 2005, Silidian vs. France, als eigenständiges Verbot von Art. 4 EMRK. In weiteren Entscheiden untermauerte der EGMR diese Rechtsprechung betreffend Ausbeutung in der Prostitution (EGMR vom 7.1.2010, Rantsev v. Zypern u. Russland; EGMR vom 21.1.2016, L.E. v. Griechenland; EGMR vom 30.3.2017, S.M. v. Kroatien) und in der Hauswirtschaft (EGMR vom 25.7.2005, Siliadin vs. Frankreich; EGMR vom 10.11.2012, C.N. u.V. v. Frankreich; EGMR vom 13.11.2012, C.N. v. U.K.; EGMR vom 17.1.2017, J. u. andere v. Österreich). Erstmals gab es im Fall von Chowdry und andere vs. Griechenland vom 30.3.2017 auch ein Urteil bezüglich Ausbeutung in der Landwirtschaft (Erntehelfer*innen). Ein weiteres wegweisendes Urteil vom EGMR ist jenes vom 7.10.2021, Zoletić u.a. vs. Aserbaidschan, bei dem der Staat wegen unzureichender Ermittlungen bei Verdacht auf Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung verurteilt wurde. Dem Urteil gemäss ist es u.a. die Pflicht des Staates, unverzüglich Ermittlungen einzuleiten bei Bekanntwerden von Tatsachen, die auf Menschenhandel hinweisen. Dies muss unabhängig von Strafanzeigen der Betroffenen geschehen. Der Gerichtshof sprach in diesem Fall je 5'000 USD Entschädigung für 33 Betroffene. Ebenfalls wegweisend war das Urteil des EGMR vom 5. Juli 2021 im Fall von V.C.L. und A.N. v. UK, das in Bezug auf Art. 4 (und Art. 6) der EMRK (sowie Art. 26 des ÜBM) festgehalten hat, dass Menschen für Handlungen/Arbeit nicht bestraft werden dürfen, die zum Zweck von kriminellen Handlungen ausgebeutet werden.

Zum einen ist Art. 4 EMRK im Hinblick auf die Menschenrechtsverletzungen durch den Staat von Bedeutung, zum anderen auch bezüglich Übergriffen durch nicht-staatliche, also private Akteur*innen. Die Mitgliedstaaten, und somit auch die Schweiz, sind verpflichtet, die von der EMRK garantierten Rechte und Freiheiten vor Angriffen zu schützen und somit Menschenhandel (und alle anderen Ausbeutungsformen, die unter Art. 4 EMRK fallen), zu verhindern und zu bekämpfen.

Frauenrechtskonvention (CEDAW) – Art. 6

Im Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) – kurz Frauenrechtskonvention –, das von der Schweiz unterzeichnet und am 26. April 1997 in Kraft getreten ist, finden sich weitere wichtige internationale Grundlagen zur Bekämpfung des Menschen- bzw. Frauenhandels: In Art. 6 der Konvention wird festgehalten, dass die Vertragsstaaten verpflichtet sind, alle geeigneten Massnahmen (einschliesslich gesetzgeberische) zur Abschaffung jeder Form des Frauenhandels und der Ausbeutung von Frauen in der Prostitution zu treffen. Was dies konkreter bedeutet, wird in der General Recommendation Nr. 38 (2020) on trafficking in women and girls in the context of global migration zur Umsetzung der CEDAW ausgeführt. In einem Vierjahresturnus wird die Schweiz in ihrer Umsetzung der Konvention von der Expert*innengruppe der Konvention, ebenfalls CEDAW genannt, überprüft.

Istanbul Konvention (IK)

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – kurz Istanbul Konvention – ist eine weitere international-rechtliche und verbindliche Grundlage für die Schweiz. Die Konvention wurde am 14.12.2017 ratifiziert und trat am 1.4.2018 in der Schweiz in Kraft. Themen zum Opferschutz für Gewaltbetroffene, zur Sensibilisierung von Fachpersonen und Erreichbarkeit von Betroffenengruppen, oder aber Fragen des Schadenersatzes und der Genugtuung für Gewaltopfer wie auch aufenthaltsrechtliche Bestimmungen werden darin aufgegriffen. Diese beziehen sich auch auf die Rechte von Opfern von Frauen- bzw. Menschenhandel als eine spezifische Form von Gewalt bei Frauen und sind aufgrund dessen als internationaler Rechtsrahmen im Kontext Menschenhandel ebenfalls relevant. Hier insbesondere zu erwähnen sind Art. 3 (Begriffsbestimmung), Art. 18-28 (Opferschutz), Art. 59-61 (Migration und Asyl).

Das Äquivalent zu GRETA und CEDAW ist im Falle der Istanbul Konvention die Expert*innengruppe von GREVIO, welche im 2021/2022 erstmals die Schweiz bezüglich Umsetzung der Konvention überprüft hat und die Zivilgesellschaft mit ihrem Alternativbericht zum Prozess beigetragen hat.

Universal Periodic Review (UPR)

Im Rahmen des Universal Periodic Review-Verfahrens des UNO-Menschenrechtsrates (UPR) ist die Schweiz als Mitgliedstaat der Vereinten Nationen verpflichtet, regelmässig über die Menschenrechtssituation im Land Bericht zu erstatten. Im vierten Zyklus (2022/2023) bezogen sich sieben der insgesamt 317 Empfehlungen explizit auf die Bekämpfung von Menschenhandel, während viele weitere Empfehlungen die Gleichbehandlung von Arbeitsmigrant*innen mit inländischen Arbeiter*innen sowie die Verhinderung von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen in einem weiteren Sinne thematisieren.

Trafficking in Persons (TIP) Report

Die US-Regierung nimmt im Rahmen des Trafficking in Persons Reports – kurz TIP Report – jährlich und weltweit eine Einstufung der Länder aufgrund ihrer Massnahmen und Situation in der Bekämpfung von Menschenhandel vor. 2023 befand sich die Schweiz auf Tier 2, also auf mittlerer Rangstufe. Begründet wurde die Einstufung vor allem mit der Tatsache, dass der Opferschutz bzw. der Zugang zu spezialisierten Stellen aufgrund riesiger kantonaler Unterschiede nicht schweizweit gewährleistet ist, das Strafmass für Täter*innen sehr tief ist und nur wenige Urteile zu Menschenhandel gesprochen werden. Ebenfalls kritisiert werden die mangelhaften Bemühungen in der Strafverfolgung von Menschenhandel zwecks Ausbeutung der Arbeitskraft, die tiefe Zahl an identifizierten Opfern und die fehlende umfassende, vereinheitlichte Statistik zu Menschenhandel.

EU Richtlinien

Die EU arbeitet laufend an gemeinsamen Bestimmungen zur besseren Bekämpfung des Menschenhandels. Im Mittelpunkt ihrer Bemühungen steht der Schutz von bestimmten Personengruppen, die besonders betroffen vom Menschenhandel sind, sowie Massnahmen zur Prävention und Bekämpfung. Folgende Richtlinien sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung: Richtlinie 2004/81/EG, Richtlinie 2004/80/EG, Richtlinie 2009/52/EU, Richtlinie 2011/36/EU, Richtlinie 2011/92/EU. Die EU Richtlinien sind für die Schweiz nicht bindend. Weitere Informationen zu den EU Richtlinien finden Sie u.a. beim Bundesweiten Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. (KOK).

Umsetzung in der Schweiz

Gesetzgebung

StGB: Art. 182 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs wurde 2006 zuletzt revidiert. Aufgrund seiner offenen Formulierung, ist er auslegungsbedürftig, da er das Element der Tatmittel nicht erwähnt. Aus diesem Grund sind die Definition gemäss Europaratskonvention zur Bekämpfung von Menschenhandel sowie gemäss EMRK Art. 4 diesbezüglich von grosser Bedeutung. Gemäss Palermo-Protokoll und ÜBM besteht Menschenhandel aus den drei konstitutiven Elementen Tathandlung, Tatmittel, Tatzweck. Tathandlungen stellen die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Menschen dar. Als Tatmittel erwähnt die Definition neben der Androhung und Anwendung von Gewalt sowie der Täuschung u.a. die Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit. Das Tatmittel bewirkt gemäss der Definition die Irrelevanz der Einwilligung des (volljährigen) Opfers in die Ausbeutung. Als Tatzwecke gelten zusätzlich zur sexuellen Ausbeutung namentlich Zwangsarbeit, Sklaverei und Leibeigenschaft. Art. 182 StGB aber erwähnt die Tatmittel nicht, womit bei ihrer Definition direkt auf die internationalen Verträge zurückgegriffen wird.

OHG: Ab dem Moment des Verdachts auf Menschenhandel hat das (mutmassliche) Opfer Anrecht auf Opferhilfeleistungen gemäss Opferhilfegesetz (OHG). Das OHG bietet die Grundlage für die Betreuung und Unterstützung der Opfer von Menschenhandel. Die Kantone sind verpflichtet, Beratungsangebote für Opfer mit besonderen Bedürfnissen bereitzustellen (siehe auch weiter unten im Abschnitt «Zugang zum Opferschutz / Tatort Ausland»).
Fand die Straftat nicht in der Schweiz, sondern in einem anderen Land statt, so hat das Opfer gemäss aktueller Gesetzeslage keinen Zugang zu Opferhilfeleistungen (Art. 3 in Verbindung mit Art. 17 OHG). In einer globalisierten Welt, in der – gerade Menschenhandel – keine nationalen Grenzen kennt, hat diese Gesetzeslücke gravierende Folgen – gerade für geflüchtete Menschen, die im Herkunftsland und/oder auf der Flucht Ausbeutung und Gewalt erlebt haben und in der Schweiz Zuflucht suchen.

AIG: Das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG) regelt in Art. 30 und Art. 60 sowie die Verordnung über die Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) in Art. 31, Art. 35 und Art. 36 den Aufenthalt von Opfern und Zeug*innen des Menschenhandels (siehe auch weiter unten im Abschnitt «Aufenthalt»).

Zeug*innenschutz: Das Bundesgesetz über den ausserprozessualen Zeugenschutz vom 23. Dezember 2011 ermöglicht es, Opfer und Zeug*innen von Menschenhandel, die gewillt sind, gegen die Täter*innenschaft auszusagen, in das Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. In Ziffer 1 des Anhangs wird bestimmt, dass von den Zulassungsvoraussetzungen nach Art. 18 bis 29 AIG abgewichen werden kann, um den Aufenthalt von Opfern und Zeug*innen von Menschenhandel zu regeln. Die Verordnung über den ausserprozessualen Zeugenschutz regelt dazu die Einzelheiten. Das Zeugenschutzprogramm kam im Falle von Menschenhandel erst in sehr wenigen Fällen zur Anwendung.

Nationale Rechtsprechung (Auswahl)

Selbstbestimmungsrecht: Gemäss BGE 126 IV 225 vom 27. September 2000 sowie BGer Urteil vom 4.12.2914 6B_469/2014 (e 3.3) ist der Tatbestand des Menschenhandels dann erfüllt, wenn das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person beeinträchtigt wird, wenn also über einen Menschen wie über ein Objekt verfügt wird, weil er oder sie ahnungslos oder mangelhaft informiert oder aus irgendwelchen Gründen ausser Stande ist, sich zu wehren.

Einwilligung der Opfer: Weiter besagt das Bundesgericht im BGE 128 IV 117 vom 29. April 2002, (bestätigt im BGE 129 IV 81 vom 6. November 2002), dass die Einwilligung eines Opfers unerheblich sei, wenn durch die Täterschaft die wirtschaftliche Notlage im Herkunftsland ausgenutzt wird und das Opfer dadurch in den Prozess des Menschenhandels gerät.

Härtefallbewilligung für Opfer von Menschenhandel: Wichtige persönliche Gründe im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG bezüglich des Verbleibens in der Schweiz, können u. a. gemäss BGE 137 II 345 vom 26. Mai 2011 und BGE 138 II 229 vom 22. Juni 2012 auch dann vorliegen, wenn die ausländische Person Opfer im Zusammenhang des Menschenhandels geworden ist.

Das Bundesgericht ging in seinem Entscheid vom 14. Dezember 2021 (BGer 2C_483/2021) weiter und hat festgehalten, dass Art. 14 Abs. 1 des ÜBM direkt anwendbar und somit einklagbar ist, und entsprechend ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (via Härtefall) besteht (4.3.). Der Aufenthalt der betroffenen Person muss sich aufgrund ihrer persönlichen Notlage als erforderlich erweisen. In Anbetracht der weit gefassten Formulierung verfügen die Behörden weiterhin über einen grossen Ermessensspielraum (Urteil BGer 2C_483/2021 vom 14. Dezember 2021 E. 8.1.1).

Anspruch auf Kurzaufenthaltsbewilligung für Opfer von Menschenhandel im Asylverfahren: Gemäss Urteil des Bundesgerichts vom 14. Februar 2019 sollen auch Betroffene von Menschenhandel, die sich im Asylverfahren befinden, ihr Recht auf eine Kurzaufenthaltsbewilligung wahrnehmen können.

Dritter Nationaler Aktionsplan (2023-2027)

Im dritten Nationalen Aktionsplan (NAP) gegen Menschenhandel, verabschiedet durch den Bundesrat im Dezember 2022, wurden insgesamt 22 Ziele definiert, die bis Ende 2027 umgesetzt werden sollen. Thematisch konzentriert sich der NAP auf den Opferschutz für alle Betroffenen von Menschenhandel in der Schweiz, die Bekämpfung von Menschenhandel zwecks Ausbeutung der Arbeitskraft, Kinderhandel, Prävention und internationale Zusammenarbeit, Erfahrungs- und wissenschaftsbasierte Massnahmen in der Bekämpfung, fachspezifische und öffentlichkeitswirksame Sensibilisierung. Er gibt den Kantonen eine zentrale Rolle für die Umsetzung.