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X. und Y. gegen die Schweiz

31.10.2023

Mitteilung Nr. 1081/2021, Entscheid vom 7. Februar 2023

In seinem Entscheid vom 7. Februar 2023 vertritt der Ausschuss gegen Folter (CAT) die Auffassung, dass die Rückführung von zwei Asylsuchenden aus der Schweiz in den Kosovo eine Verletzung von Artikel 3 der Anti-Folter-Konvention darstellt. Bei einer allfälligen Rückführung würden sie in Gefahr laufen, zwangsweise in die Türkei überstellt und dort gefoltert zu werden.

X. und Y., verheiratete türkische Staatsangehörige mit zwei 2014 und 2017 geborenen Kindern, arbeiteten im Kosovo als Lehrpersonen an Schulen, die mit der Gülen-Bewegung in Verbindung stehen. Seit dem Putschversuch in der Türkei im Jahr 2016 hat die AKP-Regierung diese als Terrororganisation eingestuft und verfolgt weltweit Personen, die mit der Gülen-Bewegung in Verbindung gebracht werden. Im Jahr 2018 wurden sechs Personen, von denen fünf Arbeitskolleg*innen von X. waren, entführt und zwangsweise aus dem Kosovo in die Türkei gebracht, wo sie inhaftiert wurden. Daraufhin verliessen X. und Y. sowie ihre Kinder am 15. August 2020 den Kosovo in Richtung Schweiz und stellten dort im selben Jahr einen Asylantrag. Dieser wurde vom Staatssekretariat für Migration (SEM) abgelehnt. Eine als Reaktion auf den negativen Entscheid von X. und Y. eingereichte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2021 ab. Daraufhin reichten X. und Y. eine Individualbeschwerde beim CAT ein.

Der Ausschuss stellt fest, dass es ernsthafte Gründe für die Annahme gibt, dass die Beschwerdeführer*innen im Falle einer Abschiebung in die Türkei einem tatsächlichen, persönlichen, gegenwärtigen und vorhersehbaren Risiko ausgesetzt wären, gefoltert zu werden. Laut einem Bericht des Hochkommisariats der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) sowie des Sonderberichterstatters über Folter ist die Anwendung von Folter seit dem Putschversuch im Jahr 2016 in der Türkei weit verbreitet. Die geringe Anzahl an Ermittlungen und Strafverfolgungen im Zusammenhang mit Vorfällen deutet auf eine weit verbreitete Kultur der Straflosigkeit für Folter hin.

Der CAT stellt zudem fest, dass eine Rückführung in den Kosovo die Beschwerdeführenden einem erheblichen Risiko aussetzen würde, anschliessend zwangsweise in die Türkei überführt zu werden. In einer Nachricht der türkischen Botschaft im Kosovo an türkische Sicherheitsbeamte wurde X. als Mitglied einer terroristischen Organisation bezeichnet. In derselben Nachricht waren die Adressen der sechs Personen, die in die Türkei zwangsüberstellt wurden, aufgelistet. Da der Kosovo nicht Vertragsstaat des UN-Übereinkommens gegen Folter ist, ist er auch nicht laut Artikel 3 dazu verpflichtet, von einer Überstellung von X. in ein Land, in dem er gefoltert werden könnte, abzusehen. Der CAT ist ausserdem der Ansicht, dass das Land keine ausreichende Garantie gegen eine Abschiebung oder Zwangsüberstellung in die Türkei gewährt. Da die türkische Regierung einen erheblichen Einfluss auf den Kosovo ausübt, könnte dieser die Gülen-Bewegung jederzeit zu einer terroristischen Organisation erklären und damit die Beschwerdeführenden durch eine Auslieferung einem erheblichen Folterrisiko aussetzen.