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Antidiskriminierungsgesetz ADG - Dossier

Ausgangslage: Inwieweit schützt das aktuelle Recht vor Diskriminierung?

Das geltende Recht enthält zum einen eine Reihe von Spezialgesetzen, die vor bestimmten Diskriminierungen schützen. Zum anderen gibt es unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln wie der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz, der bis zu einem gewissen Grade Diskriminierung verbietet. Im folgenden wird dargelegt, was Diskriminierung bedeutet und wie das aktuell gültige Recht davor schützt.

Was ist Diskriminierung, und wie zeigt sie sich?

Diskriminierungen sind schwerwiegende Formen der Benachteiligung. Eine Benachteiligung wird dann zur Diskriminierung, wenn sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der tatsächlichen oder zugeschriebenen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder einem speziellen Persönlichkeitsmerkmal steht. Zu diesen Persönlichkeitsmerkmalen bzw. Gruppendimensionen zählen z.B. die soziale Stellung, das biologische und soziale Geschlecht sowie die Geschlechtsidentität, die ethnische Herkunft, eine rassistische oder antisemitische Zuschreibung, die Religionsangehörigkeit, Weltanschauung und politische Überzeugung, die Sprache, eine Behinderung und chronische Erkrankung, eine genetische Disposition, das Lebensalter, die sexuelle Orientierung, das Körpergewicht und die reisende Lebensform.

Die besondere Eigenschaft von Diskriminierungen besteht auch darin, dass sie nicht die Ausnahme bilden, sondern laufend und wiederholt geschehen. Das hängt damit zusammen, dass sie auf gesellschaftlich gewachsenen Werten und Normen beruhen, die bestimmte Menschengruppen stigmatisieren (zu den Theorien der Stigmatisierung siehe Studie zum Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit, S. 31). Diese gesellschaftlichen Stigmatisierungen prägen nicht nur das Denken und Fühlen einzelner Menschen, sondern auch die Regeln, den Aufbau und die Abläufe von Organisationen auf eine Weise, die die Diskriminierung von Menschen begünstigen (Ausführungen zum Diskriminierungs-Komplex). Betroffen sind u.a. Menschen mit Behinderungen (s. Parallelbericht von Inclusion Handicap), Menschen mit Migrationsgeschichte, of color, Jüd*innen und Muslim*innen (s. Übersicht der Fachstelle für Rassismusbekämpfung), Menschen, die von Armut betroffen sind (Hintergrundinformationen von CARITAS), Frauen (Übersicht des Gleichstellungsbüros), Trans* (Homepage vom Transgender Network Switzerland), Inter* bzw. Menschen mit Geschlechtsvarianten (Homepage von InterAction), non-binäre Personen, Homosexuelle (Homepage Lesbenorganisationen und Pink Cross), Menschen in hohem Lebensalter (Aufsatz zu Altersdiskriminierung) sowie auch junge Menschen (Aufsatz zu Diskriminierung von Kindern). Sie alle haben gemeinsam, dass sie aufgrund einer tatsächlichen oder zugeschriebenen Identität einer bestimmten gesellschaftlichen Norm nicht entsprechen bzw. einer Rollenvorstellung unterworfen oder aus ökonomischen und politischen Interessen vom gleichwertigen Zugang zu Ressourcen ausgeschlossen sind, klein gehalten oder ausgegrenzt werden.

Von Diskriminierung betroffene Gruppen verfügen statistisch betrachtet über weniger gesellschaftliche Anerkennung und einen geringeren Zugang zu öffentlichen Machtpositionen (Texte zu den Hintergründen und Folgen von Diskriminierungen). Zudem bewegen sie sich in einer Umwelt, deren Infrastruktur (z.B. Architektur, Dienstleistungen, Bildungswesen) sie nicht gleichwertig adäquat mitbedenkt wie etwa einen körperlich fitten, ca. 1.80 Meter grossen, gutsituierten, weissen Mann ohne Behinderung. Die Betroffenen gelten als Bedrohung, fremd oder «abnormal» und sind in ihrem Alltag wiederkehrend Benachteiligungen ausgesetzt, die ein breites Spektrum von Handlungen und Unterlassungen umfassen – von offener Gewalt über institutionelle Ausgrenzung und Unterrepräsentation bis zu Mikroaggressionen (Diskriminierungsformen).

Inwieweit schützt das aktuelle Recht vor Diskriminierung?

Verboten ist jede Form der direkten und indirekten Diskriminierung durch das Gemeinwesen bzw. Angestellte von staatlichen Behörden. Hierzu bietet das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot in Artikel 8 Absatz 2 Bundesverfassung eine breite Grundlage. Zudem gibt es eine Reihe von Gesetzen wie etwa das Behindertengleichstellungsgesetz und das Gleichstellungsgesetz von Frau und Mann, in denen das Verbot staatlicher Diskriminierung konkretisiert wird.

Weniger klar ist der rechtliche Schutz vor Diskriminierung durch private Organisationen oder natürliche Personen. Hier gibt es mit wenigen Ausnahmen keine ausdrücklichen Diskriminierungsverbote. Vielmehr muss auf unbestimmte Rechtsbegriffe und allgemeine Grundsätze wie den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz sowie den Grundsatz von Treu und Glauben zugegriffen werden. Dabei gilt auch hier, dass eine Diskriminierung nicht zulässig ist. Eine Ausnahme bilden Konstellationen, in denen das private Interesse der diskriminierenden Person überwiegt. So etwa darf die Mieterin einer 3-Zimmer-Wohnung ihren Untermieter nach diskriminierenden Kriterien auswählen. Begründet wird das damit, dass es sich in solchen Fällen um ein enges privates Naheverhältnis handelt – z.B. aufgrund der gemeinsamen Benutzung von Bad, Küche, Eingangsbereich usw. Bereits für den Eigentümer eines Blocks mit vier Wohneinheiten gilt aber, dass Diskriminierung rechtlich verboten ist. In diesem Fall geht das Interesse des Mietinteressenten, mit Respekt als Individuum und nicht minderwertig behandelt zu werden, vor.

Unabhängig davon, ob eine Diskriminierung durch eine Privatperson oder eine Person im Rahmen der Ausübung einer staatlichen Aufgabe erfolgt, kann eine Strafe erfolgen, sofern die Diskriminierung eine gewisse Schwere erreicht. Als schwerwiegende Formen der Diskriminierung können Tätlichkeiten oder Körperverletzungen (Art. 122, 123, 126 Strafgesetzbuch bzw. 71, 121 und 122 Militärstrafgesetzbuch), Ehrverletzung, Verleumdung und Üble Nachrede (Art. 173 ff. Strafgesetzbuch bzw. 145 ff. Militärstrafgesetzbuch) gelten. Für bestimmte Formen der diskriminierenden Herabsetzung, des Aufrufs zu Hass sowie der Leistungsverweigerung gegenüber Menschen aufgrund ihrer «Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung» gilt zudem die Spezialbestimmung in Artikel 261bis StGB bzw. 171c MStG.

Ein Verstoss gegen ein ausdrückliches oder implizites Diskriminierungsverbot bedeutet jedoch noch lange nicht, dass dieses auch funktioniert und durchgesetzt werden kann. Wer sich gegen staatliche oder private Diskriminierung rechtlich wehren möchte, muss sich auf die jeweils anwendbaren speziellen verfahrensrechtlichen Grundlagen stützen, die sich je nach Bereich und Gemeinwesen zum Teil stark unterscheiden. Zudem gibt es eine Reihe von psychologischen, wissensbezogenen, sozialen, ökonomischen und verfahrenstechnischen Hürden, die Menschen beim Zugang zum Rechtsschutz behindern. Schliesslich gibt es mit Blick auf das allgemeine Zivilrecht mangels Gerichtspraxis viele offene Rechtsfragen. Unter anderem bleibt unklar, inwieweit das Zivilrecht nicht nur vor offener und direkter, sondern auch vor indirekter Diskriminierung schützt.