Ein politisches Projekt für ein Rahmengesetz zur Bekämpfung jeder Form von Diskriminierung hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Politische Konfliktlinien
Seit Jahrzehnten wird die Schweiz von den verschiedenen internationalen Überwachungsorganen zum Schutz der Menschenrechte gerügt, weil sie die Bevölkerung nicht genügend vor Diskriminierung schützt. Immer wieder fordern sie die gesetzgebenden Organe dazu auf, umfassende zivil-, verwaltungs- und strafrechtliche Massnahmen gegen Diskriminierung zu ergreifen – mit Blick auf sämtliche betroffene Gruppen und Problemfelder. Es gibt von den zuständigen universalen und regionalen Menschenrechtsinstitutionen kaum eine Kritik, die derart deutlich und wiederholt vorgebracht wird (s. Synthesebericht und Mapping der schweizerischen Menschenrechtsinstitution].
Mit gleicher Hartnäckigkeit wehren sich Bundesrat und Parlament dagegen, die rechtlichen Grundlagen zur Bekämpfung von Diskriminierung auszubauen. Sie begründen dies damit, dass ihrer Meinung nach das geltende Recht eine genügende Handhabe dazu biete (s. Bericht Bundesrat zum Recht auf Schutz vor Diskriminierung). Weitere Regelungen seien rein symbolischer Natur. Zudem sieht der Bundesrat die Lösung weniger in einem umfassenden Gesetz als vielmehr in sektoriellen Ansätzen in bestimmten Problemfeldern (wie etwa bei Diskriminierung durch Künstliche Intelligenz und Algorithmen oder gegenüber Gruppen wie z.B. älteren Menschen).
Ein umfassendes Recht gegen Diskriminierung wird von der Mehrheitsmeinung in der institutionellen Politik dieses Landes nicht als selbstverständlicher Bestandteil einer liberalen Rechtsordnung begriffen, die die Freiheitsrechte für alle ermöglicht. Stattdessen wird es vorwiegend als ein Anliegen aus dem linken Spektrum verortet, über das Freiheiten bürokratisch eingeschränkt werden sollen. Damit unterscheidet sich das hiesige Verständnis von angelsächsischen Rechtstraditionen und mittlerweile zumindest teilweise auch vom Verständnis auf der Ebene der Europäischen Union, wo sich der Diskriminierungsschutz als Bestandteil eines republikanischen Staats- und liberalen Marktverständnisses etabliert hat [s. vergleichende Analyse des Antidiskriminierungsrechts in der EU].
Zurückhaltung innerhalb der Zivilgesellschaft
Für einen umfassenden gesetzlichen Rahmen zum Schutz vor Diskriminierung gibt es noch kein gruppenübergreifendes, zivilgesellschaftlich schlagkräftiges Projekt. Ein erster Anlauf für einen umfassenden Diskriminierungsschutz im Jahr 2012 lief ins Leere. Zwar wird der Anspruch auf eine diskriminierungsfreie Gesellschaft ideell von einem breiten Konsens der Fachleute und Entscheidungsträger*innen in den jeweiligen Organisationen getragen. Bislang jedoch fehlt die Bereitschaft, über längere Zeit gemeinsam mit den für die politische Durchsetzung nötigen Ressourcen dafür zu kämpfen. Die Bedenken sind, dass dadurch die Errungenschaften und wichtige Partikularinteressen eher konkurrenziert oder gar gefährden werden könnten. Der sektorielle Weg erscheint vielen politisch vielversprechender. Anstatt sich im grossen Ganzen zu verlieren, müsse vielmehr weiterhin an Teilerfolgen gearbeitet werden. Historische Beispiele solcher Erfolge, die auf jahrzehntelangen Kämpfen gründen, sind die Einführung des Frauenstimmrechts im Jahre 1971, der Kampf um das Gleichstellungsgesetz für Frau und Mann 1995, die Schaffung des strafrechtlichen Verbots zur Rassendiskriminierung im selben Jahr, das Behindertengleichstellungsgesetz 2007, die Ehe auch für homosexuelle Paare 2022 und die Stärkung des Sexualstrafrechts 2023.
Hinzu kommt, dass die Forderung nach einem ausgeweiteten Diskriminierungsschutz bei Mitgliedern der Interessenorganisationen aufgrund eigener Vorurteile und fehlenden Wissens umstritten ist, auf Skepsis stösst oder gar ganz abgelehnt wird. Letztlich sind auch Organisationen, die für Emanzipation und Gleichbehandlung kämpfen, Teil diskriminierender Strukturen. Für sie stehen die jeweils eigenen Anliegen der Mehrheit ihrer Mitglieder im Vordergrund. Projekte, die darüber hinausgehen, müssen mit Widerstand aus den eigenen Reihen rechnen.
Krise als Hürde … Krise als Chance?
In krisenbehafteten Zeiten, in denen wir uns derzeit befinden, erscheint eine progressive Forderung nach einem umfassenden Diskriminierungsschutz besonders aussichtslos – zumal darin die Botschaft mitschwingt, dass wir als Gesellschaft uns verändern und gerechter werden müssen. Pointiert formuliert: Menschen sollen sich anstrengen, weiterentwickeln und ihre tatsächlichen und scheinbaren Privilegien loslassen. Das jedoch könnte schwierig sein, da Gesellschaften durch alle Gruppen hindurch mehr oder weniger verunsichert sind. So ist auch ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung durch ökonomische, militärische, klimabezogene, migrationsbedingte und kulturelle Krisen und Umbrüche um Wohlstand, Sicherheit und Identität besorgt. Das macht viele Menschen für einfache politische Angebote anfällig, die ihnen versprechen, dass sie vor diesen Veränderungen geschützt werden bzw. die Krisen rasch beendet werden sollen.
Krisen bieten aber auch Raum für mutige Schritte. Gerade in diesen auch für die Mittelschicht krisenhaften Zeiten braucht es ein Projekt, das Optimismus, Solidarität und die Vorstellung einer gerechteren Zukunft stärkt. Der Druck auf die Menschenrechte und den Rechtsstaat wird zunehmend grösser. So etwa werden Freiheitsrechte verletzt, indem der öffentliche Raum und die Privatsphäre mit einschneidenden Massnahmen überwacht werden. Demonstrationen und Kundgebungen werden auf eine Weise durch den Staat beeinträchtigt, die den Einsatz von Menschenrechtsverteidiger*innen stark erschweren. Menschen, die Diskriminierung erfahren, sind besonders betroffen, wenn grundlegende Rechte beschnitten werden. Wenn nun auch wichtige Menschenrechtsinstitutionen wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte von Parlament und Bundesrat kritisiert und Urteile wie der Klimaseniorinnen-Entscheid nicht umgesetzt werden, hat das für jene Gruppen schwerwiegende Konsequenzen, die benachteiligt sind. Damit verbunden ist das aussenpolitische Signal an reaktionäre Regierungen und Bewegungen, die bereit sind, die Unabhängigkeit ihrer Gerichte offen anzugreifen, die Rechte von Minderheiten zu missachten und den Wert der Demokratie grundsätzlich in Frage zu stellen.
Wenn wir den Anspruch einer freien und gleichen Gesellschaft in diesen konfliktreichen Zeiten stärken möchten, braucht es demzufolge vermehrt Initiativen von progressiven Kräften, die sich füreinander und gemeinsam für die Menschenrechte einsetzen. Die Forderung nach einem Rahmengesetz gegen Diskriminierung hat das Potenzial, Motor einer solchen Entwicklung zu sein. Damit verbunden ist das Ziel, zusätzlich zu den vielen wichtigen Spezialanliegen Bündnisse untereinander zu stärken. Neben dem Lobbying für Spezialanliegen – wie etwa für den Abbau von Trottoir-Rändern für Menschen mit Mobilitätsbehinderung, die Liberalisierung der Geschlechterordnung oder gegen institutionellen Rassismus der Polizei – braucht es auch den Einsatz für das gemeinsame Anliegen: einen gerechten Schutz vor Diskriminierung für alle.
Ist die Zeit reif für ein politisches Projekt wie das Antidiskriminierungsgesetz?
Die letzten Jahre waren auch in der Schweiz zunehmend von antidiskriminatorischen Aktivitäten geprägt, die sich für einen solidarischen und breiteren Schutz vor Diskriminierung öffnen. So erweiterte sich der Kampf um die Frauenrechte in den letzten Jahren zu einer feministischen Bewegung für die Gleichstellung aller Geschlechter. Vermehrt Gehör verschaffen sich auch antirassistische Initiativen von Schwarzen Frauen* und Menschen mit Migrationsgeschichte. Mehr an Sichtbarkeit gewinnen zudem neue Projekte, die Antidiskriminierung gruppenübergreifend denken und die soziale Frage mitberücksichtigen. Dazu zählen neben der Klimabewegung auch antirassistische Initiativen sowie Projekte der postmigrantischen Schweiz wie die Stadt-für-alle-Bewegung. Teil davon ist die Aktion Vierviertel, die im November 2024 die Volksinitiative «Für ein modernes Bürgerrecht» (Demokratie-Initiative) einreichte. Darin fordert sie den Zugang zum Schweizer Bürger*innenrecht frei von Diskriminierung jeglicher Art – sei es aufgrund der Herkunft, Religionsangehörigkeit, sozialen Stellung, einer Behinderung oder des Aufenthaltsstatus.
Diese zivilgesellschaftliche Dynamik hat auch Auswirkungen auf die Institutionen. Etablierte Kultureinrichtungen wie das Schauspielhaus Zürich oder die Winterthurer Musikfestwochen greifen das Anliegen eines diversen und umfassenden Diskriminierungsschutzes auf mit dem Ziel, ihre Organisation zu transformieren. Zugleich gerät dieser «neue» Elan von Demokratisierungsbewegungen in einen Gegenwind etablierter rechter, konservativer und teilweise auch bürgerlicher Parteien und Medienhäuser, die versuchen, den Einsatz gegen Diskriminierung und für Diversität als «Wokeness» und «Genderwahn» zu diffamieren. Während sich die Mehrheit in der parlamentarischen Politik noch im ideologischen Abwehrmodus befindet, müssen sie sich gleichzeitig mit neuen Entwicklungen rund um Diskriminierung durch Künstliche Intelligenz und Algorithmen auseinandersetzen.
Doch der Druck auf den Rechtsstaat, die Bereitschaft und Offenheit der Zivilgesellschaft sowie neue Herausforderungen durch die Künstliche Intelligenz sind Argument genug, um das Projekt für ein Rahmengesetz zum Schutz vor Diskriminierung anzustossen. Es bietet eine Chance, voneinander zu lernen und die Aufmerksamkeit im politischen Diskurs zu erhöhen. Auch der Weg und die Bereitschaft, sich gegen Diskriminierung zu wehren, wird erleichtert. Organisationen erhalten die Möglichkeit, strategische Prozesse und Rechtsverfahren zu führen, mit denen grundsätzliche Veränderungen angestossen werden. Und schliesslich: Mit einem Rahmengesetz nehmen Behörden und Entscheidungsträger*innen, die für die Um- und Durchsetzung der Verbote und Verpflichtungen innerhalb der eigenen Organisation Verantwortung tragen, das Anliegen der Nichtdiskriminierung ernster und setzen sich stärker für Präventions- und Beratungsmassnahmen ein.