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Internationale Rechtsquellen der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit 

27.01.2023

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

In Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 wurde erstmals die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit im Völkerrecht verbrieft. Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit beinhaltet das Recht, die eigenen Gedanken und das eigene Gewissen autonom zu bilden, ohne unzulässige Beeinflussungen von aussen.

Internationale Menschenrechtsabkommen

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

Im UNO Pakt II ist die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit in Artikel 18 festgehalten. Sie umfasst das Recht, eine frei von Zwang gewählte Religion oder Weltanschauung zu bekunden und diese auch wechseln zu dürfen (Abs. 2). Die Bekundung der Religion oder Weltanschauung darf alleine, in Gemeinschaft, öffentlich oder privat erfolgen. Die Freiheit zu glauben, was man möchte, wird von der Freiheit, die Religion oder den Glauben zu manifestieren, unterschieden. Die Freiheit zu glauben kann auch im Falle des öffentlichen Notstandes nicht eingeschränkt werden, während die Freiheit zur Manifestation des Glaubens gesetzlich eingeschränkt werden kann, wenn die öffentliche Sicherheit oder die Grundrechte anderer Menschen dadurch gefährdet werden. Des Weiteren wird es Eltern gewährleistet, ihre Kinder nach ihren eigenen Überzeugungen religiös und sittlich zu erziehen.

Im General Comment No. 22 ergänzt der UNO-Menschenrechtsausschuss Artikel 18 des UNO Pakt II mit elf Auslegungshilfen. Darin beschreibt der Ausschuss, dass neben theistischen, nicht-theistischen und atheistischen Glaubensformen auch das Recht, keiner Religion und keinem Glauben anzugehören, durch Artikel 18 geschützt werden. Dabei ist Artikel 18 des UNO Pakts II nicht nur auf traditionelle, institutionalisierte Religionen beschränkt, sondern auch offen für neue und alternative Formen von Religion. Es werden darunter individuelle wie auch kollektive Phänomene von Religion erfasst.

Antirassismuskonvention

In Art. 5 lit. d des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung werden die Vertragsstaaten verpflichtet, die Gedanken‑, Gewissens‑ und Religionsfreiheit sämtlichen Menschen, ohne Unterschied der «Rasse»*, der Hautfarbe, des nationalen Ursprungs oder des «Volkstums», zu gewährleisten.

*Menschenrassen existieren nicht. Das Konzept von angeblichen, naturgegebenen Menschenrassen wurde sozial konstruiert und ist Kern der rassistischen Ideologie und wissenschaftlich unhaltbar. Der Begriff «Rasse» wird in Anführungszeichen geschrieben, um die soziale Konstruktion des Begriffs hervorzuheben und eine Analyse struktureller Ungleichheit und Diskriminierung zu ermöglichen.

Kinderrechtskonvention

In Art. 14 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes wird festgehalten, dass auch Kinder das Recht auf Gedanken‑, Gewissens- und Religionsfreiheit haben und ihre Eltern oder Vormunde das Recht haben, die Kinder entsprechend in der Entwicklung anzuleiten.

Wanderarbeiterkonvention

In Art. 12 der Wanderarbeiterkonvention wird der Text aus Artikel 18 UNO Pakt II spezifisch auf  Wanderarbeitnehmer*innen und ihre Familienangehörigen angewendet. Die Konvention wurde von der Schweiz nicht ratifiziert.

Genfer Flüchtlingskonvention

Die Genfer Flüchtlingskonvention schützt unter anderem jene Menschen als «Flüchtlinge», die aus Angst vor Verfolgung aufgrund ihrer Religion fliehen. Damit wird die Religionszugehörigkeit an den Flüchtlingsstatus geknüpft, aus welchem juristische und politische Rechte und Ansprüche erwachsen. In der Genfer Flüchtlingskonvention fehlt es bewusst an einer Legaldefinition von Religion, damit jegliche Glaubensvorstellungen vor Verfolgung geschützt sind.

Im Handbuch zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen UNHCR wird festgehalten, dass Personen neben der Angehörigkeit zu einer religiösen Minderheit auch aufgrund der Nicht-Angehörigkeit zu einer dominanten Religionsgemeinschaft verfolgt werden können. Ausserdem kann Religion eng mit kultureller und ethnischer Zugehörigkeit verknüpft werden und Personen können aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft verfolgt werden, unabhängig davon, ob sie deren religiöse Auffassungen teilen oder nicht.

Das UNO-Flüchtlingskommissariat schreibt zum Fluchtgrund Religion, dass bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der religiösen Überzeugungen im Vordergrund steht, ob die Überzeugungen und Praktiken für die fliehende Person «wesentlich und unverzichtbar» sind. Dabei sollen die Angaben der schutzsuchenden Person im Vordergrund stehen. Die individuelle Nachvollziehbarkeit der religiösen Handlungen und Haltungen tut in der Beurteilung nichts zur Sache. Woran genau geglaubt wird, ist nebensächlich, solange die Glaubensvorstellungen wesentlich und untrennbar mit einer Person oder Gruppe verbunden sind. Somit sind individuelle wie auch kollektive Vorstellungen von Religion geschützt. Das UNHCR anerkennt damit, dass Religion unmöglich rational beurteilt werden und ihre Bedeutung für die Gläubigen nicht objektiv und neutral verhandelt werden kann.

Europäische Menschenrechtsabkommen

Europäische Menschenrechtskonvention

Die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 enthält in Artikel 9 zwei Absätze zur Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Im Guide on Article 9 of the European Convention on Human Rights wird festgehalten, dass die Freiheit, einen eigenen Glauben zu wählen, unter keinen Umständen eingeschränkt werden darf. Die Freiheit, den eigenen Glauben zu manifestieren, darf nach Artikel 9 Absatz 2 eingeschränkt werden, wenn eine gesetzliche Grundlage, ein legitimes Ziel und die Verhältnismässigkeit gegeben sind. Dann darf ein Staat Handlungen, die im Zusammenhang mit der Religionsausübung stehen, verbieten, mit Strafen oder anderen negativen Konsequenzen belegen.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Die Rechtsprechung des EGMR gilt zwar nur für bestimmte Fälle, diese haben jedoch eine grosse Ausstrahlungskraft. Ausserdem sind die Urteile für die betroffenen Staaten bindend. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits in vielen Fällen über die Religionsfreiheit, Religiöse Symbole und Kleidung sowie die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen entschieden. Vielzitierte Urteile des EGMR umfassen unter anderem die Fälle Kokkinakis gegen Griechenland (1993) zum öffentlichen Missionieren, Şahin gegen die Türkei (2005) zum Ausschluss aus der Universität wegen dem Tragen des Kopftuchs, Osmanoğlu und Kocabaş gegen die Schweiz (2007) zur Dispens vom Schwimmunterricht, Lautsi u.a. gegen Italien (2011) zu Kruzifixen in Schulzimmern, S.A.S. gegen Frankreich (2014) zum Burkaverbot in Frankreich und E.S. gegen Österreich (2019) zum Religionsfrieden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beurteilt in seiner Rechtsprechung Fragen zum Religionsrecht teilweise anders als der UNO-Menschenrechtsausschuss, was beispielsweise beim französischen Burkaverbot der Fall war und für Unsicherheit in dieser Frage mit Bezug auf die Menschenrechtslage sorgt.

Europäische Grundrechtscharta

Die Europäische Grundrechtscharta der EU hält die Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit in Artikel 10 fest. Insbesondere wird im gleichen Artikel festgehalten, dass das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen nach einzelstaatlichen Gesetzen anerkannt wird, welche die Ausübung dieses Rechts regeln.

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