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EGMR Urteil zum Schutz der Privatsphäre von Arbeitnehmenden

16.10.2017

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 05. September 2017 ein Urteil (Bărbulescu gegen Rumänien, Application no. 61496/08) gefällt, welches sowohl für Arbeitnehmer/innen als auch für Arbeitgeber von erheblicher Bedeutung ist. Gemäss diesem Urteil muss die Arbeitgeberin ihre Angestellten in angemessener Weise über allfällige Überwachungsmassnahmen am Arbeitsplatz informieren. Unterlässt der Arbeitgeber diese Vorinformation der Angestellten, stellt die Überwachung einen Verstoss gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) dar.

Sachverhalt

Der rumänische Staatsangehörige Bogdan Bărbulescu (nachfolgend Beschwerdeführer) arbeitete vom August 2004 bis August 2007 als Ingenieur bei einem rumänischen Privatunternehmen. Er wurde vom Arbeitgeber dazu aufgefordert, einen Yahoo Messenger Account zu erstellen, der für die Kommunikation mit Kunden vorgesehen war. Zudem unterzeichnete er am 20. Dezember 2006 eine firmeninterne Regelung, welche die private Nutzung der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Computer, Telefone, Kopierer und Faxgeräte ausdrücklich verbot.

Mit einem Schreiben vom 03. Juli 2007 erinnerte das Unternehmen die Angestellten erneut daran, dass die private Nutzung der firmeninternen Infrastruktur verboten sei und die Arbeit der Angestellten überwacht werde. Es wurde ebenfalls darauf hingewiesen, dass aufgrund der privaten Nutzung des Internets bereits eine Mitarbeiterin entlassen worden sei.

Im Anschluss konfrontierte der Arbeitgeber den Beschwerdeführer am 13. Juli 2007 mit einem 45-seitigen Transkript seiner während einer Woche via Yahoo Messenger verschickten Nachrichten. Diese richteten sich an den Bruder und die Verlobte des Beschwerdeführers und enthielten u.a. intime Aussagen.

Nachdem der Beschwerdeführer den Arbeitgeber über die mögliche Rechtswidrigkeit solcher Überwachungsmassnahmen aufmerksam gemacht hatte, löste der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag mit dem Beschwerdeführer am 01. August 2007 auf.

Vor den nationalen Instanzen rügte der Beschwerdeführer erfolglos, dass die Überwachung seiner Kommunikation durch den Arbeitgeber ein Verstoss gegen sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK sei.

Urteil des EGMR

Nachdem die kleine Kammer des EGMR am 12. Januar 2016 zunächst eine Verletzung von Art. 8 EMRK verneint hatte, beurteilte die grosse Kammer des Gerichtshofs am 05. September 2017 den Fall zugunsten des Beschwerdeführers.

Der Gerichtshof hält in seinem Urteil fest, dass die Überwachung der privaten Korrespondenz einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK darstelle. Der Arbeitgeber darf das Recht auf Privatsphäre und die Vertraulichkeit der Kommunikation am Arbeitsplatz zwar einschränken, jedoch nicht auf null reduzieren. Der EGMR äussert sich jedoch nicht zur Frage, ob eine Überwachungssoftware, welche dem Arbeitgeber den Inhalt der Kommunikation offenlegt, unter allen Umständen gegen Art. 8 EMRK verstösst.

Es stellt sich somit die Frage, ob der Staat im vorliegenden Fall seinen positiven Schutzpflichten nachgekommen ist. Diesbezüglich sind die Behörden verpflichtet, das Interesse des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens und die Interessen des Unternehmens (bspw. Sicherstellung der ordnungsgemässen Unternehmensführung) gegeneinander abzuwägen. Im vorliegenden Fall kommt der Gerichtshof zu folgenden Schlussfolgerungen:

Die nationalen Gerichte haben es unterlassen zu überprüfen, ob der Beschwerdeführer im Voraus über die Überwachungsmassnahmen und deren Reichweite ausreichend informiert worden war. In der Einschätzung des EGMR war letzteres nicht der Fall. Insbesondere wurde der Beschwerdeführer nicht darüber informiert, dass sich der Arbeitgeber Zugriff auf den Inhalt der verschickten Nachrichten verschaffen kann.

Die nationalen Gerichte haben ausserdem unterlassen festzustellen, ob überhaupt ein ausreichender Verdacht bestand, welcher die Überwachung der Kommunikation des Beschwerdeführers hätte rechtfertigen können. Ein solch ausreichender Verdacht bestand gemäss EGMR im vorliegenden Fall nicht. Eine verdachtsunabhängige  Überwachung der elektronischen Kommunikation dürfte vermutlich nur in anonymisierter Form mit Art. 8 EMRK vereinbar sein.

Die nationalen Gerichte haben auch nicht untersucht, ob es ein milderes Mittel gegeben hätte, um die Interessen der Unternehmung zu wahren. Zudem wurden die Schwere des Eingriffs in Art. 8 EMRK und die Konsequenzen der Überwachung (Entlassung) von den rumänischen Gerichten nicht berücksichtigt.

Aufgrund dieser Überlegungen bejahte der EGMR eine Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienleben gemäss Art. 8 EMRK. Die Verletzung beruht jedoch nicht auf der Überwachungsmassnahme als solcher, sondern u.a. auf der mangelhaften Vorinformation des Beschwerdeführers über eben diese Massnahme.

Abweichende Meinung

Sechs der 17 Richter stützten den Entscheid der grossen Kammer jedoch nicht und vertraten die Meinung, der Beschwerdeführer sei in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht verletzt worden.

Begründet wird dieser Haltung u.a. damit, dass die nationalen Gerichte das Interesse des Beschwerdeführers auf Schutz seiner Privatsphäre und die Interessen der Unternehmung in ausreichendem Masse gegeneinander abgewogen hätten. Zudem sei der Beschwerdeführer in hinreichender Weise über die Überwachungsmassnahmen informiert worden.

Situation in der Schweiz

In der Schweiz dürfen Überwachungssysteme am Arbeitsplatz nicht eingesetzt werden, wenn sie der personenbezogenen Verhaltensüberwachung dienen (vgl. Art. 26 Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz).

Dieses Verbot gilt allerdings nicht absolut und kann unter gewissen Voraussetzungen eingeschränkt werden. Zu diesen Voraussetzungen gehören insbesondere die gehörige Vorinformation der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die Verhältnismässigkeit der Überwachungsmassnahme und das Vorhandensein eines konkreten Missbrauchsverdachts.

Erlaubt sind hingegen grundsätzlich Überwachungsmassnahmen, welche die gesammelten Daten vor der Auswertung anonymisieren. Solche Methoden werden von vielen Unternehmen eingesetzt, um zum Beispiel die IT-Sicherheit zu gewährleisten.

Dokumentation

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