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Das Recht auf Umwelt – ein neues Menschenrecht

13.04.2023

 

Eine saubere Umwelt ist grundlegend für die Wahrung menschlicher Würde, Gleichheit und Freiheit. Inzwischen ist unbestritten, dass der Umweltschutz eine Grundvoraussetzung für die Verwirklichung von Menschenrechtsnormen bildet. In einer wegweisenden Resolution anerkannte der UNO-Menschenrechtsrat im Oktober 2021 erstmals das Recht auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt. Im Juli 2022 folgte die UNO-Generalversammlung, deren Konsens als wichtiger Katalysator für Massnahmen zur Verwirklichung der Umweltgerechtigkeit, zur Bewältigung der Klimakrise, zum Naturschutz sowie zur Beendigung der Umweltverschmutzung dient.

Am 29. März 2023 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution, in der der Internationale Gerichtshof um ein Gutachten über die Verpflichtungen von Staaten zur Bekämpfung der globalen Erwärmung ersucht wurde. In diesem Gutachten sollen die Verpflichtungen der Staaten zum Schutz des Klimasystems und anderer Komponenten der Umwelt vor anthropogenen Treibhausgasemissionen festgelegt werden. Die Gutachten des IGH sind zwar nicht bindend, können jedoch von nationalen Gerichten berücksichtigt werden.

Menschenrechte werden grüner

Der Menschenrechtsschutz und der Umweltschutz haben sich für eine lange Zeit unabhängig voneinander entwickelt. Bis anhin handelte es sich um zwei getrennte völkerrechtliche Bereiche, die auf nationaler und internationaler Ebene von unterschiedlichen Organen geprägt und durchgesetzt wurden. Kein einziger UNO-Menschenrechtsvertrag erfasste den Anspruch auf eine saubere oder nachhaltige Umwelt. Umgekehrt wurde der menschenrechtlichen Dimension bei der Ausarbeitung des Umweltschutzrechts keine Beachtung geschenkt. Seit den 70er-Jahren ist zwischen den zwei Themenbereichen jedoch eine Annäherung zu beobachten. Im Laufe der Zeit wurde immer öfters die gegenseitige Abhängigkeit thematisiert: Menschenrechte und Umweltschutz seien aufeinander angewiesen und müssten gemeinsam gestärkt werden.

Im Zuge dieser Entwicklung erlangten die Menschenrechte eine ökologische Dimension. Durch dieses «Greening» der Menschenrechte wurden Ansprüche auf eine intakte Natur in den Geltungsbereich der Menschenrechte miteingeschlossen. Staatliche Akteur*innen wurden verpflichtet, die ökologische Komponente des Rechts zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Heute werden Menschenrechte so ausgelegt, dass sie den Schutz vor schädlichen Umwelteinflüssen umfassen. Trotzdem stösst das «Greening» in verschiedenen Bereichen an seine Grenzen. So sind menschenrechtliche Instrumente vor allem dafür geeignet, sich gegen menschenrechtswidrige Handlungen zu wehren, aber weniger, um gegen politische Untätigkeit vorzugehen. Ausserdem basieren Menschenrechtsklagen grundsätzlich auf individuellen Rechtsschutzinteressen. Gerade in Umweltbelangen sind aber oft nicht nur einzelne Individuen, sondern oftmals grössere Regionen, die gesamte Menschheit oder gar zukünftige Generationen betroffen.

UNO-Resolution ebnet den Weg für ein eigenständiges Recht auf Umwelt

Verschiedene Stimmen fordern neben dem «Greening» der Menschenrechte seit längerer Zeit die Anerkennung eines selbständigen Rechts auf eine gesunde, sichere, saubere und nachhaltige Umwelt. In diesem Sinne haben sich auch der Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt, verschiedene UNO Organisationen, einzelne Staaten sowie NGOs ausgesprochen.

Laut dem Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt gibt es drei verschiedene Möglichkeiten ein Recht auf Umwelt auf völkerrechtlicher Ebene zu verankern: die Schaffung eines eigenständigen völkerrechtlichen Vertrags, der Erlass eines Zusatzprotokolls zu einem bestehenden Menschenrechtsinstrument oder die Verabschiedung einer Resolution durch die UNO-Generalversammlung. Zum heutigen Zeitpunkt hat sich die dritte Variante – die Resolution – durchgesetzt. Am 28. Juli 2022 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit 161 zu 0 Stimmen bei 8 Enthaltungen eine Resolution, welche das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt anerkennt. Damit bekräftigte die internationale Gemeinschaft das Zusammenspiel zwischen Menschenrechten und Umwelt. Zur Umsetzung dieses Rechts sollen multilaterale Umweltabkommen und die Grundsätze des internationalen Umweltrechts beitragen. Die Resolution fordert die Staaten zur Ergreifung von politischen Massnahmen – welche die Ausübung dieses Rechts ermöglichen – und zur Umsetzung ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen auf. Dabei müssen die Staaten, das Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, die Zivilgesellschaft, nationale Menschenrechtsinstitutionen und Unternehmen effektiv zusammenarbeiten.

Noch vor diesem Entscheid in der UNO-Generalversammlung hat bereits der UNO-Menschenrechtsrat eine Resolution zur Implementierung des Rechts auf sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt verabschiedet. Der von Costa Rica, den Malediven, Marokko, Slowenien und der Schweiz vorgeschlagene Text wurde am 8. Oktober 2021 mit 43 Stimmen bei vier Enthaltungen (Russland, Indien, China, Japan) angenommen. Im Rahmen derselben Session schuf der UNO-Menschenrechtsrat zudem das Mandat des*der Sonderberichterstatter*in zu Menschenrechten und Klimawandel. Für seine Resolution zur Implementierung des Rechts auf Umwelt erarbeitete er ausserdem «16 Framework Principles», welche als Antwort auf die generelle Skepsis verschiedener UNO-Staaten dienen sollten.

Die Prinzipien stellen gemäss dem Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Klimawandel keine neuen Verpflichtungen für die Staaten dar, sondern zeigen vielmehr auf, in welchem Ausmass umweltrechtliche Anliegen bereits heute im Menschenrechtsschutz verankert sind. In den ersten beiden Prinzipien werden die Staaten dazu angehalten, die wechselseitige Abhängigkeit von Menschenrechts- und Umweltschutz anzuerkennen. Die restlichen Prinzipien lassen sich grob in prozedurale und substanzielle Prinzipien einteilen. Die prozeduralen Prinzipien zielen darauf ab, in Umweltbelangen Transparenz, freie Kommunikation und faire Verfahren sicherzustellen. So müssen Staaten etwa der Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, bei Fragen im Umweltbereich mitzuentscheiden oder bei Menschenrechtsverletzungen den Zugang zum Recht garantieren können. Die substanziellen Prinzipien hingegen verlangen von den Staaten inhaltliche Regelungen zum Schutz der Umwelt. So sind Vertragsstaaten beispielsweise verpflichtet, Umweltstandards zu schaffen, aufrechtzuerhalten und durchzusetzen. Weitere substanzielle Prinzipien verlangen explizit, dass besonders vulnerable Gruppen in Umweltbelangen zu schützen sind.

Sowohl in der Resolution der UNO-Generalversammlung als auch in den Resolutionen des UNO-Menschenrechtsrates wird bekräftigt, dass eine nachhaltige wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung der Verwirklichung der Menschenrechte heutiger und künftiger Generationen dient. Insbesondere vom Umweltschutz betroffen sind das Recht auf Leben, das Recht auf Gesundheit und das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard – so etwa ausreichende Ernährung, sauberes Trinkwasser, angemessene Unterkunft sowie die Teilhabe am kulturellen Leben. Beide Resolutionen betonen schliesslich, dass durch Umweltschäden insbesondere die Menschenrechte von vulnerablen Bevölkerungsgruppen gefährdet sind – wie jene von Frauen, Angehörigen indigener Völker, Kindern, älteren Menschen oder Menschen mit Behinderungen.

Eine Frage der Umsetzung

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stehen weltweit 24% aller Todesfälle – ungefähr 13,7 Millionen Fälle jährlich – im Zusammenhang mit der Umwelt, so etwa der Luftverschmutzung oder der Belastung durch Chemikalien. In den letzten Jahren  hat das Recht auf Umwelt deshalb an Dringlichkeit gewonnen. Die Kerngruppe für Menschenrechte und Umwelt des UNO-Menschenrechtsrates gab im März 2021 eine Erklärung ab, in welcher Staaten dazu aufgefordert wurden, sich im Prozess der Anerkennung des Rechts auf eine gesunde Umwelt im UNO-Menschenrechtsrat zu engagieren. Die Erklärung wurde von mehr als 60 Ländern unterstützt. Im gleichen Zeitraum gaben 15 UNO-Gremien eine gemeinsame Stellungnahme ab, in welcher sie auf die Dringlichkeit der Thematik hinwiesen. Schliesslich hat sich auch die globale Zivilgesellschaft organisiert: In einem offenen Brief haben während der 47. Session des UNO-Menschenrechtsrates (21. Juni–15. Juli 2021) über 200 zivilgesellschaftliche Organisationen sowie mehrere Indigene Völker die Einberufung eines*r UNO-Sonderberichterstatters*in für Menschenrechte und Klimawandel gefordert.

Die darauffolgenden Resolutionen von Seiten der UNO stiessen auf grosse Zustimmung. Der (damalige) Generalsekretär der Vereinten Nationen begrüsste die von der UNO-Generalversammlung verabschiedete Resolution und forderte die Staaten dazu auf, das Recht auf eine nachhaltige, gesunde und saubere Umwelt für alle und überall zu verwirklichen. Im Vorfeld dazu hatte die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, dem UNO-Menschenrechtsrat zu seiner Entscheidung gratuliert, die Umweltzerstörung und den Klimawandel als eindeutig miteinander verbundene Menschenrechtskrisen anzuerkennen. Sie rief die Mitgliedsstaaten dazu auf, nun mit mutigen Massnahmen die schnelle und effektive Umsetzung des Rechts auf eine gesunde Umwelt voranzutreiben. Laut Bachelet müssen Umweltmassnahmen auf rechtlich verankerten Menschenrechtsverpflichtungen basieren und dürfen nicht auf einer Ermessenspolitik beruhen.

Das Recht auf eine gesunde Umwelt besitzt jedoch nach wie vor hauptsächlich symbolischen Charakter, da die Resolutionen der UNO-Generalversammlung sowie des UNO-Menschenrechtsrates völkerrechtlich nicht bindend sind und damit lediglich Empfehlungen darstellen. Ihre Bedeutung sollte gleichzeitig nicht unterschätzt werden, da der Schutz internationaler Menschenrechte massgeblich auf einem internationalen Konsens beruht. Die Anerkennung des Rechts auf Umwelt ist historisch und das politische Signal besonders stark, da fast alle UNO-Mitgliedstaaten die Resolutionen unterstützt haben. Ausserdem ebnen diese Beschlüsse oft den Weg für die Annahme verbindlicher internationaler UNO-Abkommen.

Im Jahr 2019 schätzte der Sonderberichtserstatter für Umwelt und Menschenrechte, David Boyd, dass 155 Staaten über nationale Gesetze verfügen, die das Recht auf eine gesunde Umwelt garantieren. Diese Bestimmungen werden jedoch nicht immer vollständig wirksam durchgesetzt. Seiner Meinung nach mögen Resolutionen zwar abstrakt erscheinen, doch sie sind ein Massnahmenkatalysator und geben der Bevölkerung die Macht, ihre Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen. Bestehende verbindliche Umweltverträge – wie das Pariser Abkommen zur Begrenzung der globalen Erwärmung – schaffen zwar keine subjektiven Rechte auf die sich Einzelpersonen berufen könnten. Die Schaffung neuer internationaler Rechtsnormen führt jedoch dazu, dass sich die Rechtsprechung auf nationaler Ebene weiterentwickelt. Eine Studie des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR) aus dem Jahr 2021 zeigt, dass die vorgeschlagenen Rahmenprinzipien zur Verankerung des Rechts auf eine gesunde Umwelt bereits in verschiedenen von der Schweiz ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen enthalten sind. Trotzdem ist die rechtliche Durchsetzung des Rechts auf eine gesunde Umwelt auch in der Schweiz – ähnlich wie in anderen Staaten –  derzeit noch nicht etabliert, wie die Klage der Klimaseniorinnen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zeigt.

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