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General Comment Nr. 34 zu Artikel 19 Pakt II: Meinungsfreiheit

09.12.2011

Artikel 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) gewährt auf internationaler Ebene die Meinungsfreiheit bzw. Meinungsäusserungsfreiheit. Nun hat diese Garantie im Sommer 2011 eine zeitgemässe Kommentierung durch den Menschenrechtsauschuss erhalten. Mit dem neuen «General Comment» (Nr. 34) fixiert der Ausschuss seine Auslegung des Artikels und ersetzt damit den überholten «General Comment» Nr. 10 aus dem Jahr 1983. Zu seinem Inhalt trugen neben dem Ausschuss auch weitere Akteure bei: Primär Staaten und Menschenrechtsorganisationen, welche im Vorfeld zahlreiche Vorschläge und Hinweise einreichten (insgesamt 350 Anträge).

Bemerkenswert ist, dass der «Comment» auch aktuelle Themen aufgreift. So fanden beispielsweis die sog. «Social Media» (Facebook, Twitter etc.) den Weg in die Verhandlungen zum Entwurf des «Comments» im Frühjahr 2011. Grund dafür war ihre bedeutende Rolle im «arabischen Frühling», wo sie einen Raum für die freie Meinungsäusserung boten und als Organisationsinstrument der Aufstände dienten. Der Ausschuss hält fest, dass die Staaten die Freiheit und redaktionelle Unabhängigkeit der «Social Media» fördern und den Zugang zu Ihnen gewähren sollen. Während in den Verhandlungen eine spezielle Erwähnung der «Social Media» von der Mehrheit begrüsst wurde, werden sie nun von Ziffer 15 des «General Comments», vom breiteren Begriff der «neuen Medien» abgedeckt.

Eine weitere progressive Thematik wurde von mehreren NGOs mit der Forderung eingebracht, dass die Meinungsäusserungsfreiheit in Bezug auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität explizit zu garantieren sei. Bereits in den Verhandlungen zum Entwurf wurde das geforderte Recht kompromisshalber auf die Anerkennung der Kleidung als ein geschütztes Ausdrucksmittel der eigenen Meinung zurückbuchstabiert. Im «Comment» fehlt schliesslich jeglicher explizite Hinweis auf die «sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität».

Die Verhandlungen zum Entwurf brachten auch Kommunikationsprobleme zum Vorschein, die die Ausarbeitung des «Comments» erschwerten. Grösste Hürde war die Vielfalt der Sprachen und die Verschiedenheit der Rechtskulturen, was sich in zahlreichen Streitigkeiten um Formulierungen niederschlug.

Erwartungsgemäss konnte mancherorts auch eine Abwehr der Staaten gegen die Eindämmung ihrer Macht beobachtet werden. So hat beispielsweise Deutschland einen Antrag auf die Entfernung des Rechts auf Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung gestellt. Doch der Antrag wurde abgewiesen und damit die Informationsfreiheit gewährt. Ebenfalls als Sieg der Rechtsstaatlichkeit über drohende staatliche Willkür kann die explizite Verankerung des Verhältnismässigkeitsprinzips in der Bestimmung über die Einschränkung der Meinungsfreiheit (Ziffer 22) bewertet werden. Dies ist nicht selbstverständlich; im Entwurf fehlte das Prinzip der Verhältnismässigkeit noch.

Bemerkenswert ist, dass der General Comment den systematischen Versuchen, die Diffamierung einer Religion als legitimen Grund für die Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit international zu verankern, einen Riegel vorschiebt. Zum einen wird in Ziff. 24 festgehalten, Meinungsäusserungsfreiheit dürfe nicht mit Berufung auf traditionelles religiöses und anderes Gewohnheitsrecht eingeschränkt werden. Zum andern doppelt Ziff. 48 nach: Das Verbot von Anzeichen mangelnden Respekts für eine Religion (bzw. Blasphemiegesetze) seien nur unter gewissen Umständen kompatibel mit der Meinungsäusserungsfreiheit, zum Beispiel, falls es sich um ein Anstacheln von Hass und Gewalt handelt. Solche Gesetze dürften auf keinen Fall die eine Religion gegenüber der andern privilegieren oder herabsetzen und auch nicht die Kritik an religiösen Führern oder Doktrinen zu verhindern suchen.

Dokumentation: